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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

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Pharisäer, sondern sogar die Jünger des
frommen Johannes daran stoßten. Marc.
C. 2. v. 18-28. Jch mache mir daher
eben ein so grosses Gewissen, zu strenge
als zu gelinde in der Sittenlehre zu seyn.
Es dienet mir zu einem grossen Beweise
der Göttlichkeit des Neuen Testaments,
daß die Sittenlehre desselben eine so genaue
Mittelstrasse hält. Jch kann es dreiste sa-
gen, es ist keine einzige dergestalt abgemes-
sene Sittenlehre, woran anders die geof-
fenbarte keinen Antheil gehabt, auf diesem
Erdboden von blossen Weltweisen oder
Priestern hervorgebracht. Die Sitten-
lehren der von der Offenbarung nicht er-
leuchteten Weltweisen sind entweder Epi-
curäisch oder Stoisch, oder aus beyden ge-
mischt, und die Sittenlehre der heidnischen
Priester war im höchsten Grade abergläu-
bisch. Wie schwer, vielleicht kann ich sa-
gen, wie unmöglich es sey, eine recht ab-
gemessene Sittenlehre, wie wir in der Bi-
bel finden, hervorzubringen, erhellet dar-
aus, daß es selbst den Christen so schwer
wird, dabey zu bleiben. Wie oft haben
sich nicht die gelehrtesten und frömmesten
Männer auf die Seite der Stoiker gewen-
det, und viele gleichgültige Dinge für un-
erlaubt gehalten, und dem Leibe die ihm
gegönneten Bequemlichkeiten entzogen?
Keine bloß menschliche Sittenlehre hat je

die
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Phariſaͤer, ſondern ſogar die Juͤnger des
frommen Johannes daran ſtoßten. Marc.
C. 2. v. 18-28. Jch mache mir daher
eben ein ſo groſſes Gewiſſen, zu ſtrenge
als zu gelinde in der Sittenlehre zu ſeyn.
Es dienet mir zu einem groſſen Beweiſe
der Goͤttlichkeit des Neuen Teſtaments,
daß die Sittenlehre deſſelben eine ſo genaue
Mittelſtraſſe haͤlt. Jch kann es dreiſte ſa-
gen, es iſt keine einzige dergeſtalt abgemeſ-
ſene Sittenlehre, woran anders die geof-
fenbarte keinen Antheil gehabt, auf dieſem
Erdboden von bloſſen Weltweiſen oder
Prieſtern hervorgebracht. Die Sitten-
lehren der von der Offenbarung nicht er-
leuchteten Weltweiſen ſind entweder Epi-
curaͤiſch oder Stoiſch, oder aus beyden ge-
miſcht, und die Sittenlehre der heidniſchen
Prieſter war im hoͤchſten Grade aberglaͤu-
biſch. Wie ſchwer, vielleicht kann ich ſa-
gen, wie unmoͤglich es ſey, eine recht ab-
gemeſſene Sittenlehre, wie wir in der Bi-
bel finden, hervorzubringen, erhellet dar-
aus, daß es ſelbſt den Chriſten ſo ſchwer
wird, dabey zu bleiben. Wie oft haben
ſich nicht die gelehrteſten und froͤmmeſten
Maͤnner auf die Seite der Stoiker gewen-
det, und viele gleichguͤltige Dinge fuͤr un-
erlaubt gehalten, und dem Leibe die ihm
gegoͤnneten Bequemlichkeiten entzogen?
Keine bloß menſchliche Sittenlehre hat je

die
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[389/0409] Phariſaͤer, ſondern ſogar die Juͤnger des frommen Johannes daran ſtoßten. Marc. C. 2. v. 18-28. Jch mache mir daher eben ein ſo groſſes Gewiſſen, zu ſtrenge als zu gelinde in der Sittenlehre zu ſeyn. Es dienet mir zu einem groſſen Beweiſe der Goͤttlichkeit des Neuen Teſtaments, daß die Sittenlehre deſſelben eine ſo genaue Mittelſtraſſe haͤlt. Jch kann es dreiſte ſa- gen, es iſt keine einzige dergeſtalt abgemeſ- ſene Sittenlehre, woran anders die geof- fenbarte keinen Antheil gehabt, auf dieſem Erdboden von bloſſen Weltweiſen oder Prieſtern hervorgebracht. Die Sitten- lehren der von der Offenbarung nicht er- leuchteten Weltweiſen ſind entweder Epi- curaͤiſch oder Stoiſch, oder aus beyden ge- miſcht, und die Sittenlehre der heidniſchen Prieſter war im hoͤchſten Grade aberglaͤu- biſch. Wie ſchwer, vielleicht kann ich ſa- gen, wie unmoͤglich es ſey, eine recht ab- gemeſſene Sittenlehre, wie wir in der Bi- bel finden, hervorzubringen, erhellet dar- aus, daß es ſelbſt den Chriſten ſo ſchwer wird, dabey zu bleiben. Wie oft haben ſich nicht die gelehrteſten und froͤmmeſten Maͤnner auf die Seite der Stoiker gewen- det, und viele gleichguͤltige Dinge fuͤr un- erlaubt gehalten, und dem Leibe die ihm gegoͤnneten Bequemlichkeiten entzogen? Keine bloß menſchliche Sittenlehre hat je die B b 3

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/409>, abgerufen am 05.05.2024.