Ich stelle meine zwei Entschuldigungen, theuere Freundin, sogleich voraus, um unbefangner mit Ihnen fortzusprechen: Ihren ersten Brief bekam ich nicht, den andern heute; und meine Reise wurde durch5 die Brustwassersucht meiner Mutter verschoben. -- --
Ihre Vermuthungen sind eben so viele Schmerzen für mich, nicht weil ich unschuldig bin sondern weil Sie trübe sind. Nein, Theuerste, so leicht vergess' ich nicht, und so leicht werden Sie nicht vergessen. Aus meinem Herzen durfte nie eine schöne Seele weichen, und keine, die ich10 liebte, und keine, die gelitten hatte -- wie könte Ihr Bild, bei der Ver- einigung dieser drei Beziehungen, je in meinem Geiste verschwinden oder erbleichen? Ich dachte oft an Sie, auch ohne meine 3 Lieblings- gesänge von Ihnen, aber immer beklommen, weil ich so viele Stunden Ihres Lebens denen ähnlich fand, die man auf zu hohen Bergen verlebt,15 in dünner oder leerer Luft, schwerathmend, um uns einsam und kalt, oben der stumme Himmel, unten der Glanz und die Kälte der Gebirge. -- -- Ach möcht' es mein Titan so klar darstellen, als es in mir steht, daß die ganze idealische Welt nur vom innern, nicht vom äussern Menschen betreten und beschauet werden kan -- daß der Irthum, sie zu20 verkörpern, der Wunsch, sie zu be- und erleben, noch widersprechender ist als die Sitte der Nordamerikaner, die jeden Traum erfüllen zu müssen glauben, und daß es so viel ist als Geister in Körper, Gott in die [354]Welt, Idyllen in Schäfereien verwandeln wollen. Auch mich haben diese Irthümer lange verwundet, aber endlich bekehrt. --25
Am Dienstag abends komm' ich gewis, wenn das Wetter und meine sieche Mutter es nicht verbieten: liessen sie es aber nicht zu, so komm' ich während Ihrer 4 Wochen zwar zuverlässig, aber ich meld' es nicht vorher; denn im Nothfalle könt ich ja in Eger so lange wohnen, bis Sie mir die schönere Nachbarschaft zubereitet hätten. --30 Recht viel Grüsse an Ihre guten Kinder!
Leben Sie wohl, liebe Emilie, der Himmel stille das bewegte Herz mit seinem Frieden und nehm' ihm alle Thränen weg, die nicht der Freude und der süssen Sehnsucht gehören!
Jean Paul Fr. Richter35
N. S. Der Kutscher übergab Ihren ersten Brief dem Hausknecht; dieser ist in Bayreuth; morgen abends kömt er und hoffentlich Ihr Brief.
666. An Emilie von Berlepſch in Franzensbad.
Hof d. 23 Jul. 97 [Sonntag].
Ich ſtelle meine zwei Entſchuldigungen, theuere Freundin, ſogleich voraus, um unbefangner mit Ihnen fortzuſprechen: Ihren erſten Brief bekam ich nicht, den andern heute; und meine Reiſe wurde durch5 die Bruſtwaſſerſucht meiner Mutter verſchoben. — —
Ihre Vermuthungen ſind eben ſo viele Schmerzen für mich, nicht weil ich unſchuldig bin ſondern weil Sie trübe ſind. Nein, Theuerſte, ſo leicht vergeſſ’ ich nicht, und ſo leicht werden Sie nicht vergeſſen. Aus meinem Herzen durfte nie eine ſchöne Seele weichen, und keine, die ich10 liebte, und keine, die gelitten hatte — wie könte Ihr Bild, bei der Ver- einigung dieſer drei Beziehungen, je in meinem Geiſte verſchwinden oder erbleichen? Ich dachte oft an Sie, auch ohne meine 3 Lieblings- geſänge von Ihnen, aber immer beklommen, weil ich ſo viele Stunden Ihres Lebens denen ähnlich fand, die man auf zu hohen Bergen verlebt,15 in dünner oder leerer Luft, ſchwerathmend, um uns einſam und kalt, oben der ſtumme Himmel, unten der Glanz und die Kälte der Gebirge. — — Ach möcht’ es mein Titan ſo klar darſtellen, als es in mir ſteht, daß die ganze idealiſche Welt nur vom innern, nicht vom äuſſern Menſchen betreten und beſchauet werden kan — daß der Irthum, ſie zu20 verkörpern, der Wunſch, ſie zu be- und erleben, noch widerſprechender iſt als die Sitte der Nordamerikaner, die jeden Traum erfüllen zu müſſen glauben, und daß es ſo viel iſt als Geiſter in Körper, Gott in die [354]Welt, Idyllen in Schäfereien verwandeln wollen. Auch mich haben dieſe Irthümer lange verwundet, aber endlich bekehrt. —25
Am Dienſtag abends komm’ ich gewis, wenn das Wetter und meine ſieche Mutter es nicht verbieten: lieſſen ſie es aber nicht zu, ſo komm’ ich während Ihrer 4 Wochen zwar zuverläſſig, aber ich meld’ es nicht vorher; denn im Nothfalle könt ich ja in Eger ſo lange wohnen, bis Sie mir die ſchönere Nachbarſchaft zubereitet hätten. —30 Recht viel Grüſſe an Ihre guten Kinder!
Leben Sie wohl, liebe Emilie, der Himmel ſtille das bewegte Herz mit ſeinem Frieden und nehm’ ihm alle Thränen weg, die nicht der Freude und der ſüſſen Sehnſucht gehören!
Jean Paul Fr. Richter35
N. S. Der Kutſcher übergab Ihren erſten Brief dem Hausknecht; dieſer iſt in Bayreuth; morgen abends kömt er und hoffentlich Ihr Brief.
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666. An Emilie von Berlepſch in Franzensbad.
Hof d. 23 Jul. 97 [Sonntag].
Ich ſtelle meine zwei Entſchuldigungen, theuere Freundin, ſogleich
voraus, um unbefangner mit Ihnen fortzuſprechen: Ihren erſten
Brief bekam ich nicht, den andern heute; und meine Reiſe wurde durch 5
die Bruſtwaſſerſucht meiner Mutter verſchoben. — —
Ihre Vermuthungen ſind eben ſo viele Schmerzen für mich, nicht
weil ich unſchuldig bin ſondern weil Sie trübe ſind. Nein, Theuerſte,
ſo leicht vergeſſ’ ich nicht, und ſo leicht werden Sie nicht vergeſſen. Aus
meinem Herzen durfte nie eine ſchöne Seele weichen, und keine, die ich 10
liebte, und keine, die gelitten hatte — wie könte Ihr Bild, bei der Ver-
einigung dieſer drei Beziehungen, je in meinem Geiſte verſchwinden
oder erbleichen? Ich dachte oft an Sie, auch ohne meine 3 Lieblings-
geſänge von Ihnen, aber immer beklommen, weil ich ſo viele Stunden
Ihres Lebens denen ähnlich fand, die man auf zu hohen Bergen verlebt, 15
in dünner oder leerer Luft, ſchwerathmend, um uns einſam und kalt,
oben der ſtumme Himmel, unten der Glanz und die Kälte der Gebirge.
— — Ach möcht’ es mein Titan ſo klar darſtellen, als es in mir ſteht,
daß die ganze idealiſche Welt nur vom innern, nicht vom äuſſern
Menſchen betreten und beſchauet werden kan — daß der Irthum, ſie zu 20
verkörpern, der Wunſch, ſie zu be- und erleben, noch widerſprechender
iſt als die Sitte der Nordamerikaner, die jeden Traum erfüllen zu
müſſen glauben, und daß es ſo viel iſt als Geiſter in Körper, Gott in die
Welt, Idyllen in Schäfereien verwandeln wollen. Auch mich haben
dieſe Irthümer lange verwundet, aber endlich bekehrt. — 25
[354]Am Dienſtag abends komm’ ich gewis, wenn das Wetter und
meine ſieche Mutter es nicht verbieten: lieſſen ſie es aber nicht zu, ſo
komm’ ich während Ihrer 4 Wochen zwar zuverläſſig, aber ich
meld’ es nicht vorher; denn im Nothfalle könt ich ja in Eger ſo lange
wohnen, bis Sie mir die ſchönere Nachbarſchaft zubereitet hätten. — 30
Recht viel Grüſſe an Ihre guten Kinder!
Leben Sie wohl, liebe Emilie, der Himmel ſtille das bewegte Herz
mit ſeinem Frieden und nehm’ ihm alle Thränen weg, die nicht der
Freude und der ſüſſen Sehnſucht gehören!
Jean Paul Fr. Richter 35
N. S. Der Kutſcher übergab Ihren erſten Brief dem Hausknecht; dieſer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/368>, abgerufen am 17.06.2024.
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