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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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(*)250. An Josephine von Sydow.

Meine Freundin! So geben wir uns die Hand, über Chausseen
und Wälder hinüber und wir haben uns lange gekant und uns
nie gesehen! -- Ihr lezter Brief, Ihr Vertrauen, Ihre Geschichte5
bleiben fest und warm in meiner Seele.
--

Aber Gute! Ihr verwundetes Herz wurde eben dadurch ein
festeres und wärmeres; eine beglükte Liebe hätte seine Sehnsucht
gestilt und sich vertilgt, aber eine unterbrochene hat sie verewigt.
Das Schiksal geht mit uns wie mit Pflanzen um, es macht uns10
durch kurze Fröste reifer. Ach der Mensch liebt nicht oft -- und
wer wenigstens einmal geliebt, der war glüklich, wenn er auch
sich nur täuschte.

[203]Ich las vor 13 Jahren so viele französische Bücher, daß ich
sehr leicht die Ihrigen kan gelesen haben, ohne es mehr zu wissen;15
ich vergesse bei Büchern und Menschen -- ihrer Menge wegen --
die Namen, aber nicht den Inhalt. --

Wir werden uns sehen, theuere Seele -- das Schiksal berechne
die Zeit -- allerdings thu' ich freudig einen Schritt einmal ent-
gegen, und zwar bis -- Berlin.
20


Jeder neue Absaz der Zeit in meinem Briefe macht, daß ich
Ihren wiederlese, worin gleichsam ein Mondschein der zurük-
gewichenen Zeit die Seele süs auflöset.

Ich schäme mich, Ihnen für die Länge Ihres Briefes zu danken25
bei der Kürze der meinigen, die Ihre Liebe mit meinen Arbeiten
und Korrespondenzen entschuldige. Ach, Sie können mir kein
Wort zu viel schreiben!

Ich freue mich innig auf Ihre Werke; ich liebe dan in den
Kindern die Mutter.
30

Gute, zarte Josephine! Sie waren glüklicher als manche be-
neidete. Nicht viele sind so glüklich, nur den Irthum der Liebe
zu haben und noch wenigere, die Wahrheit derselben zu
fühlen -- und auf jedem Gewitter Ihres Lebens ruht noch dazu
der bezaubernde Regenbogen Ihrer Poesie.
35

Lesen Sie von mir noch "das Kampaner Thal" -- die "bio-
graphischen Belustigungen" -- und "Jean Pauls Briefe". --

(*)250. An Joſephine von Sydow.

Meine Freundin! So geben wir uns die Hand, über Chausseen
und Wälder hinüber und wir haben uns lange gekant und uns
nie gesehen! — Ihr lezter Brief, Ihr Vertrauen, Ihre Geschichte5
bleiben fest und warm in meiner Seele.

Aber Gute! Ihr verwundetes Herz wurde eben dadurch ein
festeres und wärmeres; eine beglükte Liebe hätte seine Sehnsucht
gestilt und sich vertilgt, aber eine unterbrochene hat sie verewigt.
Das Schiksal geht mit uns wie mit Pflanzen um, es macht uns10
durch kurze Fröste reifer. Ach der Mensch liebt nicht oft — und
wer wenigstens einmal geliebt, der war glüklich, wenn er auch
sich nur täuschte.

[203]Ich las vor 13 Jahren so viele französische Bücher, daß ich
sehr leicht die Ihrigen kan gelesen haben, ohne es mehr zu wissen;15
ich vergesse bei Büchern und Menschen — ihrer Menge wegen —
die Namen, aber nicht den Inhalt. —

Wir werden uns sehen, theuere Seele — das Schiksal berechne
die Zeit — allerdings thu’ ich freudig einen Schritt einmal ent-
gegen, und zwar bis — Berlin.
20


Jeder neue Absaz der Zeit in meinem Briefe macht, daß ich
Ihren wiederlese, worin gleichsam ein Mondschein der zurük-
gewichenen Zeit die Seele süs auflöset.

Ich schäme mich, Ihnen für die Länge Ihres Briefes zu danken25
bei der Kürze der meinigen, die Ihre Liebe mit meinen Arbeiten
und Korrespondenzen entschuldige. Ach, Sie können mir kein
Wort zu viel schreiben!

Ich freue mich innig auf Ihre Werke; ich liebe dan in den
Kindern die Mutter.
30

Gute, zarte Josephine! Sie waren glüklicher als manche be-
neidete. Nicht viele sind so glüklich, nur den Irthum der Liebe
zu haben und noch wenigere, die Wahrheit derselben zu
fühlen — und auf jedem Gewitter Ihres Lebens ruht noch dazu
der bezaubernde Regenbogen Ihrer Poesie.
35

Lesen Sie von mir noch „das Kampaner Thal“ — die „bio-
graphischen Belustigungen“ — und „Jean Pauls Briefe“. —

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[184/0198] (*)250. An Joſephine von Sydow. Weimar d. 26 Apr. 99. Meine Freundin! So geben wir uns die Hand, über Chausseen und Wälder hinüber und wir haben uns lange gekant und uns nie gesehen! — Ihr lezter Brief, Ihr Vertrauen, Ihre Geschichte 5 bleiben fest und warm in meiner Seele. — Aber Gute! Ihr verwundetes Herz wurde eben dadurch ein festeres und wärmeres; eine beglükte Liebe hätte seine Sehnsucht gestilt und sich vertilgt, aber eine unterbrochene hat sie verewigt. Das Schiksal geht mit uns wie mit Pflanzen um, es macht uns 10 durch kurze Fröste reifer. Ach der Mensch liebt nicht oft — und wer wenigstens einmal geliebt, der war glüklich, wenn er auch sich nur täuschte. Ich las vor 13 Jahren so viele französische Bücher, daß ich sehr leicht die Ihrigen kan gelesen haben, ohne es mehr zu wissen; 15 ich vergesse bei Büchern und Menschen — ihrer Menge wegen — die Namen, aber nicht den Inhalt. — [203] Wir werden uns sehen, theuere Seele — das Schiksal berechne die Zeit — allerdings thu’ ich freudig einen Schritt einmal ent- gegen, und zwar bis — Berlin. 20 d. 29 Apr. Jeder neue Absaz der Zeit in meinem Briefe macht, daß ich Ihren wiederlese, worin gleichsam ein Mondschein der zurük- gewichenen Zeit die Seele süs auflöset. Ich schäme mich, Ihnen für die Länge Ihres Briefes zu danken 25 bei der Kürze der meinigen, die Ihre Liebe mit meinen Arbeiten und Korrespondenzen entschuldige. Ach, Sie können mir kein Wort zu viel schreiben! Ich freue mich innig auf Ihre Werke; ich liebe dan in den Kindern die Mutter. 30 Gute, zarte Josephine! Sie waren glüklicher als manche be- neidete. Nicht viele sind so glüklich, nur den Irthum der Liebe zu haben und noch wenigere, die Wahrheit derselben zu fühlen — und auf jedem Gewitter Ihres Lebens ruht noch dazu der bezaubernde Regenbogen Ihrer Poesie. 35 Lesen Sie von mir noch „das Kampaner Thal“ — die „bio- graphischen Belustigungen“ — und „Jean Pauls Briefe“. —

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/198>, abgerufen am 22.05.2024.