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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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71. An Christian Otto.[55]

Mein guter Otto! Mit unnenbarer Rührung und Freude hab' ich
gestern deinen lezten Brief gelesen, erstlich weil ich auf ihn so furchtsam5
und mit solchen schneidenden Träumen entweder deiner Gesinnung oder
deiner Gesundheit harrete und zweitens weil eine so schöne, helle,
ergebene und liebende Seele darin spricht -- aber auch eine zu er-
gebene: deine gänzliche insularische Seelenlage passet nicht für deinen
Werth und dein Wissen; du must dich unter andere Menschen und10
Verhältnisse werfen als die Höfer.

Noch vor Ostern Gegen Anfang Aprils, mein Theuerster, hab
ich dich an meiner Brust wegen der Ferien meines Bruders, der nach
Sparnek wil -- und wegen meiner Sehnsucht -- und weil ich dan von
Hof nach Weimar wil, wo ich mit der Berlepsch die da ihre Tochter15
beringet, noch vor der Messe hieher komme. Was braucht es im Para-
dies der Liebe für Wetter und Frühlinge? wiewohl ich dir metereo-
logisch [!] gestehen mus, daß es nach meinen Beobachtungen bis gegen
Aprils Ende und im ganzen Sommer trocken und heiter bleibt. Hier
dringt der Frühling schon grünend aus den Aesten. Nicht so viel20
Schnee fiel im ganzen Winter als ich eine Woche zum Trinken
brauchte. -- Zu Ende Mais geh' ich mit der Berlepsch nach Dresden,
Seifersdorf, Tarant, und auf der Elbe nach Wörliz. Sie wohnt im
Sommer in Golis und hält für mein dichterisches Seildrehen und Seil-
tanzen eine untere Stube offen und parat. --25

Das was du über die -- sagst, ist aus den tiefsten Mysterien dieser
Lage geholt. Aber schon eh mein lezter Brief geschrieben war, hatt'
ich entschieden und ihr gesagt, daß ich keine Leidenschaft für sie
hätte und wir nicht zusammengehörten. Ich hatte 2 aus der glühendsten
Hölle gehobene Tage und nun schliesset sich ihr zerschnittenes Herz sanft30
wieder zu und blutet weniger -- ich bin frei, frei, frei und seelig, geb
ihr aber was ich kan. Meine Rechtfertigung seze voraus -- in Hof
hörst du sie recht weitläuftig. Doch käm' es sogar nach meinen Con-[56]
fessions
vor ihr nur auf meinen Willen an, mit ihr ein bürgerliches
ewiges Band zu knüpfen. --35

Gegenwärtige Briefe sende mit deinen Büchern zurük, die immer
durch die vis inertiae der Diener gegen deine Wünsche und meine

4*
71. An Chriſtian Otto.[55]

Mein guter Otto! Mit unnenbarer Rührung und Freude hab’ ich
geſtern deinen lezten Brief geleſen, erſtlich weil ich auf ihn ſo furchtſam5
und mit ſolchen ſchneidenden Träumen entweder deiner Geſinnung oder
deiner Geſundheit harrete und zweitens weil eine ſo ſchöne, helle,
ergebene und liebende Seele darin ſpricht — aber auch eine zu er-
gebene: deine gänzliche inſulariſche Seelenlage paſſet nicht für deinen
Werth und dein Wiſſen; du muſt dich unter andere Menſchen und10
Verhältniſſe werfen als die Höfer.

Noch vor Oſtern 〈Gegen Anfang Aprils〉, mein Theuerſter, hab
ich dich an meiner Bruſt wegen der Ferien meines Bruders, der nach
Sparnek wil — und wegen meiner Sehnſucht — und weil ich dan von
Hof nach Weimar wil, wo ich mit der Berlepſch die da ihre Tochter15
beringet, noch vor der Meſſe hieher komme. Was braucht es im Para-
dies der Liebe für Wetter und Frühlinge? wiewohl ich dir metereo-
logiſch [!] geſtehen mus, daß es nach meinen Beobachtungen bis gegen
Aprils Ende und im ganzen Sommer trocken und heiter bleibt. Hier
dringt der Frühling ſchon grünend aus den Aeſten. Nicht ſo viel20
Schnee fiel im ganzen Winter als ich eine Woche zum Trinken
brauchte. — Zu Ende Mais geh’ ich mit der Berlepſch nach Dresden,
Seifersdorf, Tarant, und auf der Elbe nach Wörliz. Sie wohnt im
Sommer in Golis und hält für mein dichteriſches Seildrehen und Seil-
tanzen eine untere Stube offen und parat. —25

Das was du über die — ſagſt, iſt aus den tiefſten Myſterien dieſer
Lage geholt. Aber ſchon eh mein lezter Brief geſchrieben war, hatt’
ich entſchieden und ihr geſagt, daß ich keine Leidenſchaft für ſie
hätte und wir nicht zuſammengehörten. Ich hatte 2 aus der glühendſten
Hölle gehobene Tage und nun ſchlieſſet ſich ihr zerſchnittenes Herz ſanft30
wieder zu und blutet weniger — ich bin frei, frei, frei und ſeelig, geb
ihr aber was ich kan. Meine Rechtfertigung ſeze voraus — in Hof
hörſt du ſie recht weitläuftig. Doch käm’ es ſogar nach meinen Con-[56]
fessions
vor ihr nur auf meinen Willen an, mit ihr ein bürgerliches
ewiges Band zu knüpfen. —35

Gegenwärtige Briefe ſende mit deinen Büchern zurük, die immer
durch die vis inertiae der Diener gegen deine Wünſche und meine

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[51/0058] 71. An Chriſtian Otto. plus quam Maxime Citissime L[eipzig] d. 13 März 98 [Dienstag]. Mein guter Otto! Mit unnenbarer Rührung und Freude hab’ ich geſtern deinen lezten Brief geleſen, erſtlich weil ich auf ihn ſo furchtſam 5 und mit ſolchen ſchneidenden Träumen entweder deiner Geſinnung oder deiner Geſundheit harrete und zweitens weil eine ſo ſchöne, helle, ergebene und liebende Seele darin ſpricht — aber auch eine zu er- gebene: deine gänzliche inſulariſche Seelenlage paſſet nicht für deinen Werth und dein Wiſſen; du muſt dich unter andere Menſchen und 10 Verhältniſſe werfen als die Höfer. Noch vor Oſtern 〈Gegen Anfang Aprils〉, mein Theuerſter, hab ich dich an meiner Bruſt wegen der Ferien meines Bruders, der nach Sparnek wil — und wegen meiner Sehnſucht — und weil ich dan von Hof nach Weimar wil, wo ich mit der Berlepſch die da ihre Tochter 15 beringet, noch vor der Meſſe hieher komme. Was braucht es im Para- dies der Liebe für Wetter und Frühlinge? wiewohl ich dir metereo- logiſch [!] geſtehen mus, daß es nach meinen Beobachtungen bis gegen Aprils Ende und im ganzen Sommer trocken und heiter bleibt. Hier dringt der Frühling ſchon grünend aus den Aeſten. Nicht ſo viel 20 Schnee fiel im ganzen Winter als ich eine Woche zum Trinken brauchte. — Zu Ende Mais geh’ ich mit der Berlepſch nach Dresden, Seifersdorf, Tarant, und auf der Elbe nach Wörliz. Sie wohnt im Sommer in Golis und hält für mein dichteriſches Seildrehen und Seil- tanzen eine untere Stube offen und parat. — 25 Das was du über die — ſagſt, iſt aus den tiefſten Myſterien dieſer Lage geholt. Aber ſchon eh mein lezter Brief geſchrieben war, hatt’ ich entſchieden und ihr geſagt, daß ich keine Leidenſchaft für ſie hätte und wir nicht zuſammengehörten. Ich hatte 2 aus der glühendſten Hölle gehobene Tage und nun ſchlieſſet ſich ihr zerſchnittenes Herz ſanft 30 wieder zu und blutet weniger — ich bin frei, frei, frei und ſeelig, geb ihr aber was ich kan. Meine Rechtfertigung ſeze voraus — in Hof hörſt du ſie recht weitläuftig. Doch käm’ es ſogar nach meinen Con- fessions vor ihr nur auf meinen Willen an, mit ihr ein bürgerliches ewiges Band zu knüpfen. — 35 Gegenwärtige Briefe ſende mit deinen Büchern zurük, die immer durch die vis inertiae der Diener gegen deine Wünſche und meine 4*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/58>, abgerufen am 30.04.2024.