Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

aber wegen alles übrigen bilt er mich an. Und ganz recht: so lang noch
ein Bogen von mir 3 Leser hat, so hat seine windeierhafte Poetik
3 weniger.

Ich lernte auf Frege's Landgut Mdme Grey kennen, die wizigste
Kokette, die ich noch gesehen, die eheliche Koadjutrix des vorigen5
Königs, des Weimarischen Herzogs, und anderer krönenden Häup-
ter. -- Ein hiesiger D. Rauh (denk' ich) (sie ist hier in den besten Gesel-
schaften) sagte seinem Namen zufolge zu ihr: "sie habe sich doch noch
ganz wohl erhalten, sie sei eine alte Eiche, an die man sich noch immer
lehnen könne." -- "So thun Sie es, sagte sie, nur der Früchte wegen." --10
Wir stallen gut zusammen (wiewohl mir sonderbar und unbequem
und der Ton bei einem weiblichen Wesen ungewis wird, bei welchem
fast keiner verboten ist) und wir haben uns beide Nachts in einem
Gartenwäldgen verirt, aber nur physisch. Ich versprach zu kommen und
that es noch nicht. So mach' ich [es] hier mit allem Volk, nicht blos15
aus Zeit-Geiz sondern weil am merkantilischen nicht viel ist. Ich lobe
mir den Adel und den gebildeten Gelehrten. In Weissens herzliche
Familie und deren Herzen wachs' ich wie ein Herzpolype immer tiefer
hinein; daher mir einer der vortreflichsten Menschen, Prediger Wolf
aus Prenzlau, auf Starke's Aviso gratulierte, daß ich die Weissin20
heirathete, wiewohl dazu das hiesige Gerede mit Dlle Feind der
[92]jüngern nicht passen wil, wenn man nicht beides durch die Hypothese
vereint, daß ich etwan eine dritte heirathe, welches Gott gebe meinet-
wegen. Warlich ich brauch' eine Frau und Ruhe und ein Dorf (oder
eine elende) neben einer Stadt.25


Das mit der Stadt kan nicht wahr sein; an eine grössere gewöhnt,
erträgt man höchstens nur das Dorf, oder die Nähe an dieser.

Übrigens hat mein Thorax noch sein Gewölbe; du misverstandest
mich -- ich lerne die Menschen immer mehr lieben; aber Liebe zu mir30
ist noch kein Gehalt, für den man sich hingeben kan. Ach man mus nur
so viel errathen oder vergeben! Gleim hätt' ich mit seiner einäugigen
Volherzigkeit gewis in keinem frühern Jahre so geliebt als in diesem,
wo sie eben seltener auftrit. -- -- (Ich wagte gegen ihn nur einige
leichte Bemerkungen, als er Ludwigs XVI Leiden gegen Christus35
seine hielt.)

Gestern gieng ich von diesem Blatte zur -- Grey, die ich auf dem

aber wegen alles übrigen bilt er mich an. Und ganz recht: ſo lang noch
ein Bogen von mir 3 Leſer hat, ſo hat ſeine windeierhafte Poetik
3 weniger.

Ich lernte auf Frege’s Landgut Mdme Grey kennen, die wizigſte
Kokette, die ich noch geſehen, die eheliche Koadjutrix des vorigen5
Königs, des Weimariſchen Herzogs, und anderer krönenden Häup-
ter. — Ein hieſiger D. Rauh (denk’ ich) (ſie iſt hier in den beſten Geſel-
ſchaften) ſagte ſeinem Namen zufolge zu ihr: „ſie habe ſich doch noch
ganz wohl erhalten, ſie ſei eine alte Eiche, an die man ſich noch immer
lehnen könne.“ — „So thun Sie es, ſagte ſie, nur der Früchte wegen.“ —10
Wir ſtallen gut zuſammen (wiewohl mir ſonderbar und unbequem
und der Ton bei einem weiblichen Weſen ungewis wird, bei welchem
faſt keiner verboten iſt) und wir haben uns beide Nachts in einem
Gartenwäldgen verirt, aber nur phyſiſch. Ich verſprach zu kommen und
that es noch nicht. So mach’ ich [es] hier mit allem Volk, nicht blos15
aus Zeit-Geiz ſondern weil am merkantiliſchen nicht viel iſt. Ich lobe
mir den Adel und den gebildeten Gelehrten. In Weiſſens herzliche
Familie und deren Herzen wachſ’ ich wie ein Herzpolype immer tiefer
hinein; daher mir einer der vortreflichſten Menſchen, Prediger Wolf
aus Prenzlau, auf Starke’s Aviſo gratulierte, daß ich die Weiſſin20
heirathete, wiewohl dazu das hieſige Gerede mit Dlle Feind der
[92]jüngern nicht paſſen wil, wenn man nicht beides durch die Hypotheſe
vereint, daß ich etwan eine dritte heirathe, welches Gott gebe meinet-
wegen. Warlich ich brauch’ eine Frau und Ruhe und ein Dorf (oder
eine elende) 〈neben einer〉 Stadt.25


Das mit der Stadt kan nicht wahr ſein; an eine gröſſere gewöhnt,
erträgt man höchſtens nur das Dorf, oder die Nähe an dieſer.

Übrigens hat mein Thorax noch ſein Gewölbe; du misverſtandeſt
mich — ich lerne die Menſchen immer mehr lieben; aber Liebe zu mir30
iſt noch kein Gehalt, für den man ſich hingeben kan. Ach man mus nur
ſo viel errathen oder vergeben! Gleim hätt’ ich mit ſeiner einäugigen
Volherzigkeit gewis in keinem frühern Jahre ſo geliebt als in dieſem,
wo ſie eben ſeltener auftrit. — — (Ich wagte gegen ihn nur einige
leichte Bemerkungen, als er Ludwigs XVI Leiden gegen Chriſtus35
ſeine hielt.)

Geſtern gieng ich von dieſem Blatte zur — Grey, die ich auf dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="84"/>
aber wegen alles übrigen bilt er mich an. Und ganz recht: &#x017F;o lang noch<lb/>
ein Bogen von mir 3 Le&#x017F;er hat, &#x017F;o hat &#x017F;eine windeierhafte Poetik<lb/>
3 weniger.</p><lb/>
        <p>Ich lernte auf Frege&#x2019;s Landgut <hi rendition="#aq">Mdme</hi> Grey kennen, die wizig&#x017F;te<lb/>
Kokette, die ich noch ge&#x017F;ehen, die eheliche Koadjutrix des vorigen<lb n="5"/>
Königs, des Weimari&#x017F;chen Herzogs, und anderer <hi rendition="#g">krönenden</hi> Häup-<lb/>
ter. &#x2014; Ein hie&#x017F;iger <hi rendition="#aq">D.</hi> Rauh (denk&#x2019; ich) (&#x017F;ie i&#x017F;t hier in den be&#x017F;ten Ge&#x017F;el-<lb/>
&#x017F;chaften) &#x017F;agte &#x017F;einem Namen zufolge zu ihr: &#x201E;&#x017F;ie habe &#x017F;ich doch noch<lb/>
ganz wohl erhalten, &#x017F;ie &#x017F;ei eine alte Eiche, an die man &#x017F;ich noch immer<lb/>
lehnen könne.&#x201C; &#x2014; &#x201E;So thun Sie es, &#x017F;agte &#x017F;ie, nur der Früchte wegen.&#x201C; &#x2014;<lb n="10"/>
Wir &#x017F;tallen gut zu&#x017F;ammen (wiewohl mir &#x017F;onderbar und unbequem<lb/>
und der Ton bei einem weiblichen We&#x017F;en ungewis wird, bei welchem<lb/>
fa&#x017F;t keiner verboten i&#x017F;t) und wir haben uns beide Nachts in einem<lb/>
Gartenwäldgen verirt, aber nur phy&#x017F;i&#x017F;ch. Ich ver&#x017F;prach zu kommen und<lb/>
that es noch nicht. So mach&#x2019; ich [es] hier mit allem Volk, nicht blos<lb n="15"/>
aus Zeit-Geiz &#x017F;ondern weil am merkantili&#x017F;chen nicht viel i&#x017F;t. Ich lobe<lb/>
mir den Adel und den gebildeten Gelehrten. In Wei&#x017F;&#x017F;ens herzliche<lb/>
Familie und deren Herzen wach&#x017F;&#x2019; ich wie ein Herzpolype immer tiefer<lb/>
hinein; daher mir einer der vortreflich&#x017F;ten Men&#x017F;chen, Prediger Wolf<lb/>
aus Prenzlau, auf Starke&#x2019;s Avi&#x017F;o gratulierte, daß ich die Wei&#x017F;&#x017F;in<lb n="20"/>
heirathete, wiewohl dazu das hie&#x017F;ige Gerede mit <hi rendition="#aq">Dlle</hi> Feind der<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd3_92">[92]</ref></note>jüngern nicht pa&#x017F;&#x017F;en wil, wenn man nicht beides durch die Hypothe&#x017F;e<lb/>
vereint, daß ich etwan eine dritte heirathe, welches Gott gebe meinet-<lb/>
wegen. Warlich ich brauch&#x2019; eine Frau und Ruhe und ein Dorf (oder<lb/>
eine elende) &#x2329;neben einer&#x232A; Stadt.<lb n="25"/>
</p>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">d.</hi> 16 Aug.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Das mit der Stadt kan nicht wahr &#x017F;ein; an eine grö&#x017F;&#x017F;ere gewöhnt,<lb/>
erträgt man höch&#x017F;tens nur das Dorf, oder die Nähe an die&#x017F;er.</p><lb/>
          <p>Übrigens hat mein <hi rendition="#aq">Thorax</hi> noch &#x017F;ein Gewölbe; du misver&#x017F;tande&#x017F;t<lb/>
mich &#x2014; ich lerne die Men&#x017F;chen immer mehr lieben; aber Liebe zu mir<lb n="30"/>
i&#x017F;t noch kein Gehalt, für den man &#x017F;ich hingeben kan. Ach man mus nur<lb/>
&#x017F;o viel errathen oder vergeben! Gleim hätt&#x2019; ich mit &#x017F;einer einäugigen<lb/>
Volherzigkeit gewis in keinem frühern Jahre &#x017F;o geliebt als in die&#x017F;em,<lb/>
wo &#x017F;ie eben &#x017F;eltener auftrit. &#x2014; &#x2014; (Ich wagte gegen ihn nur einige<lb/>
leichte Bemerkungen, als er Ludwigs <hi rendition="#aq">XVI</hi> Leiden gegen Chri&#x017F;tus<lb n="35"/>
&#x017F;eine hielt.)</p><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern gieng ich von die&#x017F;em Blatte zur &#x2014; Grey, die ich auf dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0093] aber wegen alles übrigen bilt er mich an. Und ganz recht: ſo lang noch ein Bogen von mir 3 Leſer hat, ſo hat ſeine windeierhafte Poetik 3 weniger. Ich lernte auf Frege’s Landgut Mdme Grey kennen, die wizigſte Kokette, die ich noch geſehen, die eheliche Koadjutrix des vorigen 5 Königs, des Weimariſchen Herzogs, und anderer krönenden Häup- ter. — Ein hieſiger D. Rauh (denk’ ich) (ſie iſt hier in den beſten Geſel- ſchaften) ſagte ſeinem Namen zufolge zu ihr: „ſie habe ſich doch noch ganz wohl erhalten, ſie ſei eine alte Eiche, an die man ſich noch immer lehnen könne.“ — „So thun Sie es, ſagte ſie, nur der Früchte wegen.“ — 10 Wir ſtallen gut zuſammen (wiewohl mir ſonderbar und unbequem und der Ton bei einem weiblichen Weſen ungewis wird, bei welchem faſt keiner verboten iſt) und wir haben uns beide Nachts in einem Gartenwäldgen verirt, aber nur phyſiſch. Ich verſprach zu kommen und that es noch nicht. So mach’ ich [es] hier mit allem Volk, nicht blos 15 aus Zeit-Geiz ſondern weil am merkantiliſchen nicht viel iſt. Ich lobe mir den Adel und den gebildeten Gelehrten. In Weiſſens herzliche Familie und deren Herzen wachſ’ ich wie ein Herzpolype immer tiefer hinein; daher mir einer der vortreflichſten Menſchen, Prediger Wolf aus Prenzlau, auf Starke’s Aviſo gratulierte, daß ich die Weiſſin 20 heirathete, wiewohl dazu das hieſige Gerede mit Dlle Feind der jüngern nicht paſſen wil, wenn man nicht beides durch die Hypotheſe vereint, daß ich etwan eine dritte heirathe, welches Gott gebe meinet- wegen. Warlich ich brauch’ eine Frau und Ruhe und ein Dorf (oder eine elende) 〈neben einer〉 Stadt. 25 [92]d. 16 Aug. Das mit der Stadt kan nicht wahr ſein; an eine gröſſere gewöhnt, erträgt man höchſtens nur das Dorf, oder die Nähe an dieſer. Übrigens hat mein Thorax noch ſein Gewölbe; du misverſtandeſt mich — ich lerne die Menſchen immer mehr lieben; aber Liebe zu mir 30 iſt noch kein Gehalt, für den man ſich hingeben kan. Ach man mus nur ſo viel errathen oder vergeben! Gleim hätt’ ich mit ſeiner einäugigen Volherzigkeit gewis in keinem frühern Jahre ſo geliebt als in dieſem, wo ſie eben ſeltener auftrit. — — (Ich wagte gegen ihn nur einige leichte Bemerkungen, als er Ludwigs XVI Leiden gegen Chriſtus 35 ſeine hielt.) Geſtern gieng ich von dieſem Blatte zur — Grey, die ich auf dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/93
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/93>, abgerufen am 30.04.2024.