Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich brachte gestern das Mittagsessen bei einer zu warmen Freundin
auf dem Lande; und die Vesperstunden bei der lieben geliebten theuersten
Platner zu, wozu zulezt noch der Alte sties, dessen Eitelkeit blos im
Kontrast seines Werths misfält und den man wegen seiner gut-5
müthigen Unbefangenheit immer lieben mus. -- -- Aber jezt zu
deinem Briefe.

(Aber doch eh ichs vergesse, der Spizbube Hennings giebt "die
hier beiliegende Reise etc." mündlich und in der L[itteratur] Zeitung
schriftlich so fein für meine aus, daß ich durchaus nicht widersprechen10
kan: thu du's!*))

[94]Wernlein hat freilich den Egoismus der Eitelkeit; aber auch keinen
härtern, indes auch kein philosophisches Auge. -- Ach der gute Ema-
nuel!
Er hat Hiobs Leiden ohne Hiobs Frau; grüsse diesen sanften
ächt-biblischen Jonathan und sag ihm, daß es sich im matten Leben15
die Mühe nicht verlohne, auch nur einen 1/2 Tag das Trauerpferd zu
beschreiten, es müst' einem denn der Rit und die Mozion ungemein
sanft thun. Ich gebe dieser Bestie fast keinen Haber mehr. -- Dein
Scherz über dein Beamten ist sehr ernst für mich; erstlich deinet- und
meinetwegen, -- ach wenn ich irgend dich und mich an Einen Ort20
zusammenbringen könte, denn so ist jeder nur halb -- und zweitens der
Seele wegen, der du die Wünsche, wenn auch nicht die Foderungen,
vergeben must, sobald du nur ihre Lage 10 Jahre später anschauest.
Ich gesteh' es, die nahe schmerzlich-frohe Änderung in deinem Hause
(wiewohl mir ist, als gienge durch euer Trennen ein Stük von meinem25
Innern mit los) seh ich für den Hebel einer 2ten an. -- Mein Bruder
wird mir wegen seines lügenhaften, tolkühnen, Zeit- und Geldzerstöhren-
den, nervenlosen Wahnsins verächtlich. Er kan nicht bei mir sein; auch
nicht im zu theuern Leipzig; er sol, wenn er wil, gar nicht studieren**),
wozu ohnehin ein Mensch, dem es nur Mittel ist wie ihm, nicht gehört30
und wozu ich ihn nur wegen meiner frühern grillenhaften Achtung fürs
Studieren bestimte. -- O diese Eitelkeit, die ich ihm so oft ernst und
bitter und satirisch vorrükte, zerfasert jeden bessern Muskel in ihm. --

*) ernstlich; aber mit deinem Namen.
**) Glaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich hätt' ihm so35
leicht vergeben! --

Ich brachte geſtern das Mittagseſſen bei einer zu warmen Freundin
auf dem Lande; und die Veſperſtunden bei der lieben geliebten theuerſten
Platner zu, wozu zulezt noch der Alte ſties, deſſen Eitelkeit blos im
Kontraſt ſeines Werths misfält und den man wegen ſeiner gut-5
müthigen Unbefangenheit immer lieben mus. — — Aber jezt zu
deinem Briefe.

(Aber doch eh ichs vergeſſe, der Spizbube Hennings giebt „die
〈hier beiliegende〉 Reiſe ꝛc.“ mündlich und in der L[itteratur] Zeitung
ſchriftlich ſo fein für meine aus, daß ich durchaus nicht widerſprechen10
kan: thu du’s!*))

[94]Wernlein hat freilich den Egoiſmus der Eitelkeit; aber auch keinen
härtern, indes auch kein philoſophiſches Auge. — Ach der gute Ema-
nuel!
Er hat Hiobs Leiden ohne Hiobs Frau; grüſſe dieſen ſanften
ächt-bibliſchen Jonathan und ſag ihm, daß es ſich im matten Leben15
die Mühe nicht verlohne, auch nur einen ½ Tag das Trauerpferd zu
beſchreiten, es müſt’ einem denn der Rit und die Mozion ungemein
ſanft thun. Ich gebe dieſer Beſtie faſt keinen Haber mehr. — Dein
Scherz über dein Beamten iſt ſehr ernſt für mich; erſtlich deinet- und
meinetwegen, — ach wenn ich irgend dich und mich an Einen Ort20
zuſammenbringen könte, denn ſo iſt jeder nur halb — und zweitens der
Seele wegen, der du die Wünſche, wenn auch nicht die Foderungen,
vergeben muſt, ſobald du nur ihre Lage 10 Jahre ſpäter anſchaueſt.
Ich geſteh’ es, die nahe ſchmerzlich-frohe Änderung in deinem Hauſe
(wiewohl mir iſt, als gienge durch euer Trennen ein Stük von meinem25
Innern mit los) ſeh ich für den Hebel einer 2ten an. — Mein Bruder
wird mir wegen ſeines lügenhaften, tolkühnen, Zeit- und Geldzerſtöhren-
den, nervenloſen Wahnſins verächtlich. Er kan nicht bei mir ſein; auch
nicht im zu theuern Leipzig; er ſol, wenn er wil, gar nicht ſtudieren**),
wozu ohnehin ein Menſch, dem es nur Mittel iſt wie ihm, nicht gehört30
und wozu ich ihn nur wegen meiner frühern grillenhaften Achtung fürs
Studieren beſtimte. — O dieſe Eitelkeit, die ich ihm ſo oft ernſt und
bitter und ſatiriſch vorrükte, zerfaſert jeden beſſern Muſkel in ihm. —

*) ernſtlich; aber mit deinem Namen.
**) Glaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich hätt’ ihm ſo35
leicht vergeben! —
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0095" n="86"/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 17 Aug.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ich brachte ge&#x017F;tern das Mittagse&#x017F;&#x017F;en bei einer zu warmen Freundin<lb/>
auf dem Lande; und die Ve&#x017F;per&#x017F;tunden bei der lieben geliebten theuer&#x017F;ten<lb/>
Platner zu, wozu zulezt noch der Alte &#x017F;ties, de&#x017F;&#x017F;en Eitelkeit blos im<lb/>
Kontra&#x017F;t &#x017F;eines Werths misfält und den man wegen &#x017F;einer gut-<lb n="5"/>
müthigen Unbefangenheit immer lieben mus. &#x2014; &#x2014; Aber jezt zu<lb/>
deinem Briefe.</p><lb/>
          <p>(Aber doch eh ichs verge&#x017F;&#x017F;e, der Spizbube Hennings giebt &#x201E;die<lb/>
&#x2329;hier beiliegende&#x232A; Rei&#x017F;e &#xA75B;c.&#x201C; mündlich und in der <hi rendition="#aq">L[itteratur] Zeitung</hi><lb/>
&#x017F;chriftlich &#x017F;o fein für meine aus, daß ich durchaus nicht wider&#x017F;prechen<lb n="10"/>
kan: thu du&#x2019;s!<note place="foot" n="*)">ern&#x017F;tlich; aber mit deinem Namen.</note>)</p><lb/>
          <p><note place="left"><ref target="1922_Bd3_94">[94]</ref></note>Wernlein hat freilich den Egoi&#x017F;mus der Eitelkeit; aber auch keinen<lb/>
härtern, indes auch kein philo&#x017F;ophi&#x017F;ches Auge. &#x2014; Ach der gute <hi rendition="#aq">Ema-<lb/>
nuel!</hi> Er hat Hiobs Leiden ohne Hiobs Frau; grü&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;en &#x017F;anften<lb/>
ächt-bibli&#x017F;chen <hi rendition="#g">Jonathan</hi> und &#x017F;ag ihm, daß es &#x017F;ich im matten Leben<lb n="15"/>
die Mühe nicht verlohne, auch nur einen ½ Tag das Trauerpferd zu<lb/>
be&#x017F;chreiten, es mü&#x017F;t&#x2019; einem denn der Rit und die Mozion ungemein<lb/>
&#x017F;anft thun. Ich gebe die&#x017F;er Be&#x017F;tie fa&#x017F;t keinen Haber mehr. &#x2014; Dein<lb/>
Scherz über dein Beamten i&#x017F;t &#x017F;ehr ern&#x017F;t für mich; er&#x017F;tlich deinet- und<lb/>
meinetwegen, &#x2014; ach wenn ich irgend dich und mich an Einen Ort<lb n="20"/>
zu&#x017F;ammenbringen könte, denn &#x017F;o i&#x017F;t jeder nur halb &#x2014; und zweitens der<lb/>
Seele wegen, der du die Wün&#x017F;che, wenn auch nicht die Foderungen,<lb/>
vergeben mu&#x017F;t, &#x017F;obald du nur ihre Lage 10 Jahre &#x017F;päter an&#x017F;chaue&#x017F;t.<lb/>
Ich ge&#x017F;teh&#x2019; es, die nahe &#x017F;chmerzlich-frohe Änderung in deinem Hau&#x017F;e<lb/>
(wiewohl mir i&#x017F;t, als gienge durch euer Trennen ein Stük von meinem<lb n="25"/>
Innern mit los) &#x017F;eh ich für den Hebel einer 2<hi rendition="#sup">ten</hi> an. &#x2014; Mein Bruder<lb/>
wird mir wegen &#x017F;eines lügenhaften, tolkühnen, Zeit- und Geldzer&#x017F;töhren-<lb/>
den, nervenlo&#x017F;en Wahn&#x017F;ins verächtlich. Er kan nicht bei mir &#x017F;ein; auch<lb/>
nicht im zu theuern Leipzig; er &#x017F;ol, wenn er wil, gar nicht &#x017F;tudieren<note place="foot" n="**)">Glaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich hätt&#x2019; ihm &#x017F;o<lb n="35"/>
leicht vergeben! &#x2014;</note>,<lb/>
wozu ohnehin ein Men&#x017F;ch, dem es nur Mittel i&#x017F;t wie ihm, nicht gehört<lb n="30"/>
und wozu ich ihn nur wegen meiner frühern grillenhaften Achtung fürs<lb/>
Studieren be&#x017F;timte. &#x2014; O die&#x017F;e Eitelkeit, die ich ihm &#x017F;o oft ern&#x017F;t und<lb/>
bitter und &#x017F;atiri&#x017F;ch vorrükte, zerfa&#x017F;ert jeden be&#x017F;&#x017F;ern Mu&#x017F;kel in ihm. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0095] d. 17 Aug. Ich brachte geſtern das Mittagseſſen bei einer zu warmen Freundin auf dem Lande; und die Veſperſtunden bei der lieben geliebten theuerſten Platner zu, wozu zulezt noch der Alte ſties, deſſen Eitelkeit blos im Kontraſt ſeines Werths misfält und den man wegen ſeiner gut- 5 müthigen Unbefangenheit immer lieben mus. — — Aber jezt zu deinem Briefe. (Aber doch eh ichs vergeſſe, der Spizbube Hennings giebt „die 〈hier beiliegende〉 Reiſe ꝛc.“ mündlich und in der L[itteratur] Zeitung ſchriftlich ſo fein für meine aus, daß ich durchaus nicht widerſprechen 10 kan: thu du’s! *)) Wernlein hat freilich den Egoiſmus der Eitelkeit; aber auch keinen härtern, indes auch kein philoſophiſches Auge. — Ach der gute Ema- nuel! Er hat Hiobs Leiden ohne Hiobs Frau; grüſſe dieſen ſanften ächt-bibliſchen Jonathan und ſag ihm, daß es ſich im matten Leben 15 die Mühe nicht verlohne, auch nur einen ½ Tag das Trauerpferd zu beſchreiten, es müſt’ einem denn der Rit und die Mozion ungemein ſanft thun. Ich gebe dieſer Beſtie faſt keinen Haber mehr. — Dein Scherz über dein Beamten iſt ſehr ernſt für mich; erſtlich deinet- und meinetwegen, — ach wenn ich irgend dich und mich an Einen Ort 20 zuſammenbringen könte, denn ſo iſt jeder nur halb — und zweitens der Seele wegen, der du die Wünſche, wenn auch nicht die Foderungen, vergeben muſt, ſobald du nur ihre Lage 10 Jahre ſpäter anſchaueſt. Ich geſteh’ es, die nahe ſchmerzlich-frohe Änderung in deinem Hauſe (wiewohl mir iſt, als gienge durch euer Trennen ein Stük von meinem 25 Innern mit los) ſeh ich für den Hebel einer 2ten an. — Mein Bruder wird mir wegen ſeines lügenhaften, tolkühnen, Zeit- und Geldzerſtöhren- den, nervenloſen Wahnſins verächtlich. Er kan nicht bei mir ſein; auch nicht im zu theuern Leipzig; er ſol, wenn er wil, gar nicht ſtudieren **), wozu ohnehin ein Menſch, dem es nur Mittel iſt wie ihm, nicht gehört 30 und wozu ich ihn nur wegen meiner frühern grillenhaften Achtung fürs Studieren beſtimte. — O dieſe Eitelkeit, die ich ihm ſo oft ernſt und bitter und ſatiriſch vorrükte, zerfaſert jeden beſſern Muſkel in ihm. — [94] *) ernſtlich; aber mit deinem Namen. **) Glaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich hätt’ ihm ſo 35 leicht vergeben! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/95
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/95>, abgerufen am 30.04.2024.