konnt' ich bei der Überschauung der höhern Weiberwelt meine Wahrnehmung an der hiesigen niedern wiederholen, daß es hier äußerst wenige schöne Gesichter gibt, aber dafür feste, gesundfarbige und eckige; zehnmal wolgebauter als die Gesichter sind die Straßen, worein sie wandeln.5
den 10ten
Das Regenwetter verwandelte die Fahrt in ein Mittagessen, wo fast lauter Männer, Boisseree, Haug, ein Graf, ein Oberpost- meister waren.10
den 12ten
Der überaus über mein Kommen erfreute Matthison lud mich gestern zu einem Thee. Er und der Hofrath Reinbeck werden zu viel für meine Freuden thun. Nun gerath ich leider in den Strom und nichts wird mir fehlen als ein Bißchen Einsamkeit. Auch das Wetter hat seine schönere Form wieder angenommen. Bedeutende15 oder auch phantastische Frauen hab' ich noch nicht gefunden, aber vernünftige und gute; unverheirathete noch wenig gesehen. -- Die treffliche Beroldingen erreicht nicht ihre Schwester an Ideen- und Sprech-Kraft, an Lebendigkeit und an Gefühlwärme bei aller ihrer Güte. -- Ein Professor Müller aus Bremen wurde in dem gedachten20 Gartenkonzert, als er eine Damengesellschaft nach dem Dichter Uhland fragte, für mich angesehen, und bekam ihren Wagen und fuhr damit wieder zurück ... aber jetzo weiß ich selber nicht mehr wie der Spaß ausging.
Heute d. h. nach einigen Stunden geht die Landfarth mit der25 Gräfin vor sich. Die Post versäume ich nicht. -- Grüße meine Freunde. Die guten Kinder sollen für meine Sachen sorgen. Schreibe mir viel von ihnen; und lebe froh, meine Seele.
R.
531. An Therese Huber in Stuttgart.30
Stuttgart d. 14ten Jun. 1819
Ich danke Ihnen herzlich für die eilige Güte, womit Sie gestern meinen nur auf einem Umwege an Sie gelangten Wunsch erfüllt haben. Mit Vergnügen geb' ich Ihnen -- und mir -- schon um
konnt’ ich bei der Überſchauung der höhern Weiberwelt meine Wahrnehmung an der hieſigen niedern wiederholen, daß es hier äußerſt wenige ſchöne Geſichter gibt, aber dafür feſte, geſundfarbige und eckige; zehnmal wolgebauter als die Geſichter ſind die Straßen, worein ſie wandeln.5
den 10ten
Das Regenwetter verwandelte die Fahrt in ein Mittageſſen, wo faſt lauter Männer, Boiſſéree, Haug, ein Graf, ein Oberpoſt- meiſter waren.10
den 12ten
Der überaus über mein Kommen erfreute Matthiſon lud mich geſtern zu einem Thée. Er und der Hofrath Reinbeck werden zu viel für meine Freuden thun. Nun gerath ich leider in den Strom und nichts wird mir fehlen als ein Bißchen Einſamkeit. Auch das Wetter hat ſeine ſchönere Form wieder angenommen. Bedeutende15 oder auch phantaſtiſche Frauen hab’ ich noch nicht gefunden, aber vernünftige und gute; unverheirathete noch wenig geſehen. — Die treffliche Beroldingen erreicht nicht ihre Schweſter an Ideen- und Sprech-Kraft, an Lebendigkeit und an Gefühlwärme bei aller ihrer Güte. — Ein Profeſſor Müller aus Bremen wurde in dem gedachten20 Gartenkonzert, als er eine Damengeſellſchaft nach dem Dichter Uhland fragte, für mich angeſehen, und bekam ihren Wagen und fuhr damit wieder zurück ... aber jetzo weiß ich ſelber nicht mehr wie der Spaß ausging.
Heute d. h. nach einigen Stunden geht die Landfarth mit der25 Gräfin vor ſich. Die Poſt verſäume ich nicht. — Grüße meine Freunde. Die guten Kinder ſollen für meine Sachen ſorgen. Schreibe mir viel von ihnen; und lebe froh, meine Seele.
R.
531. An Thereſe Huber in Stuttgart.30
Stuttgart d. 14ten Jun. 1819
Ich danke Ihnen herzlich für die eilige Güte, womit Sie geſtern meinen nur auf einem Umwege an Sie gelangten Wunſch erfüllt haben. Mit Vergnügen geb’ ich Ihnen — und mir — ſchon um
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konnt’ ich bei der Überſchauung der höhern Weiberwelt meine
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äußerſt wenige ſchöne Geſichter gibt, aber dafür feſte, geſundfarbige
und eckige; zehnmal wolgebauter als die Geſichter ſind die Straßen,
worein ſie wandeln. 5
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Das Regenwetter verwandelte die Fahrt in ein Mittageſſen, wo
faſt lauter Männer, Boiſſéree, Haug, ein Graf, ein Oberpoſt-
meiſter waren. 10
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Der überaus über mein Kommen erfreute Matthiſon lud mich
geſtern zu einem Thée. Er und der Hofrath Reinbeck werden zu viel
für meine Freuden thun. Nun gerath ich leider in den Strom und
nichts wird mir fehlen als ein Bißchen Einſamkeit. Auch das
Wetter hat ſeine ſchönere Form wieder angenommen. Bedeutende 15
oder auch phantaſtiſche Frauen hab’ ich noch nicht gefunden, aber
vernünftige und gute; unverheirathete noch wenig geſehen. — Die
treffliche Beroldingen erreicht nicht ihre Schweſter an Ideen- und
Sprech-Kraft, an Lebendigkeit und an Gefühlwärme bei aller ihrer
Güte. — Ein Profeſſor Müller aus Bremen wurde in dem gedachten 20
Gartenkonzert, als er eine Damengeſellſchaft nach dem Dichter
Uhland fragte, für mich angeſehen, und bekam ihren Wagen und
fuhr damit wieder zurück ... aber jetzo weiß ich ſelber nicht mehr wie
der Spaß ausging.
Heute d. h. nach einigen Stunden geht die Landfarth mit der 25
Gräfin vor ſich. Die Poſt verſäume ich nicht. — Grüße meine
Freunde. Die guten Kinder ſollen für meine Sachen ſorgen. Schreibe
mir viel von ihnen; und lebe froh, meine Seele.
R.
531. An Thereſe Huber in Stuttgart. 30
Stuttgart d. 14ten Jun. 1819
Ich danke Ihnen herzlich für die eilige Güte, womit Sie geſtern
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/277>, abgerufen am 16.06.2024.
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