eine ganz andere Stellung und Bedeutung und eine ganz an- dere Festigkeit, als ihr im entwickelten Staat zukömmt; sie dient als Surrogat des Staats, und nimmt als solches bedeutende politische Elemente in sich auf.
Im Laufe der Zeit verwandelt sich die durch das staatliche Prinzip bestimmte Familie in einen durch das Familienprinzip bestimmten Staat. Mehre Familien vereinigen sich, eine Fa- milie erweitert sich zu einem Geschlecht oder Stamm, der seiner- seits sich wieder in mehre Zweige, Geschlechter und Familien spaltet. So entsteht der Geschlechterstaat, ein Geschiebe von kleinern oder größern compakten Einheiten, die ursprünglich die Verwandschaft zum Prinzip hatten. Die Verbindung dieses Geschlechterstaates ist ungleich loser, als die jener kleineren Kreise in sich. In letzteren liegt die eigentliche Lebenskraft der Verfassung; sie sind Staaten im Kleinen, die sich zu einem Staatenbund vereinigt haben.
Der Geschlechterstaat in seiner Jugendkraft bezeichnet nicht bloß eine bestimmte Form staatlicher Verbindung, sondern eine bestimmte Stufe der gesammten politischen und rechtlichen Ent- wicklung. Einerseits gibt die politische Function der Familie ihr auch in privatrechtlicher Beziehung eine eigenthümliche Gestal- tung, die wiederum auf das Vermögen zurückwirkt. Anderer- seits aber influirt die privatrechtliche Natur dieses Verhältnisses auf den Staat selbst und die ganze politische Gesinnungsweise. Dies bewährt sich auch in der exclusiven Stellung des Staats nach außen hin. Da nur derjenige politisch berechtigt ist, der zu einem Geschlecht gehört, die Geschlechter also die Pforten des Staats sind, so wird der Einlaß Fremder in den Staat sehr erschwert; er setzt ja Aufnahme in die enge, über die bloß poli- tischen Interessen weit hinausreichende Verbindung eines Ge- schlechts voraus.
Findet nun eine Reception Fremder auf das Staats gebiet ohne Aufnahme in die Geschlechter in einem irgend erheb- lichen Maße Statt, so liegt in diesem Verhältniß der Keim
2. Der Staat — allgemeine Betrachtung. §. 13.
eine ganz andere Stellung und Bedeutung und eine ganz an- dere Feſtigkeit, als ihr im entwickelten Staat zukömmt; ſie dient als Surrogat des Staats, und nimmt als ſolches bedeutende politiſche Elemente in ſich auf.
Im Laufe der Zeit verwandelt ſich die durch das ſtaatliche Prinzip beſtimmte Familie in einen durch das Familienprinzip beſtimmten Staat. Mehre Familien vereinigen ſich, eine Fa- milie erweitert ſich zu einem Geſchlecht oder Stamm, der ſeiner- ſeits ſich wieder in mehre Zweige, Geſchlechter und Familien ſpaltet. So entſteht der Geſchlechterſtaat, ein Geſchiebe von kleinern oder größern compakten Einheiten, die urſprünglich die Verwandſchaft zum Prinzip hatten. Die Verbindung dieſes Geſchlechterſtaates iſt ungleich loſer, als die jener kleineren Kreiſe in ſich. In letzteren liegt die eigentliche Lebenskraft der Verfaſſung; ſie ſind Staaten im Kleinen, die ſich zu einem Staatenbund vereinigt haben.
Der Geſchlechterſtaat in ſeiner Jugendkraft bezeichnet nicht bloß eine beſtimmte Form ſtaatlicher Verbindung, ſondern eine beſtimmte Stufe der geſammten politiſchen und rechtlichen Ent- wicklung. Einerſeits gibt die politiſche Function der Familie ihr auch in privatrechtlicher Beziehung eine eigenthümliche Geſtal- tung, die wiederum auf das Vermögen zurückwirkt. Anderer- ſeits aber influirt die privatrechtliche Natur dieſes Verhältniſſes auf den Staat ſelbſt und die ganze politiſche Geſinnungsweiſe. Dies bewährt ſich auch in der excluſiven Stellung des Staats nach außen hin. Da nur derjenige politiſch berechtigt iſt, der zu einem Geſchlecht gehört, die Geſchlechter alſo die Pforten des Staats ſind, ſo wird der Einlaß Fremder in den Staat ſehr erſchwert; er ſetzt ja Aufnahme in die enge, über die bloß poli- tiſchen Intereſſen weit hinausreichende Verbindung eines Ge- ſchlechts voraus.
Findet nun eine Reception Fremder auf das Staats gebiet ohne Aufnahme in die Geſchlechter in einem irgend erheb- lichen Maße Statt, ſo liegt in dieſem Verhältniß der Keim
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2. Der Staat — allgemeine Betrachtung. §. 13.
eine ganz andere Stellung und Bedeutung und eine ganz an-
dere Feſtigkeit, als ihr im entwickelten Staat zukömmt; ſie dient
als Surrogat des Staats, und nimmt als ſolches bedeutende
politiſche Elemente in ſich auf.
Im Laufe der Zeit verwandelt ſich die durch das ſtaatliche
Prinzip beſtimmte Familie in einen durch das Familienprinzip
beſtimmten Staat. Mehre Familien vereinigen ſich, eine Fa-
milie erweitert ſich zu einem Geſchlecht oder Stamm, der ſeiner-
ſeits ſich wieder in mehre Zweige, Geſchlechter und Familien
ſpaltet. So entſteht der Geſchlechterſtaat, ein Geſchiebe von
kleinern oder größern compakten Einheiten, die urſprünglich die
Verwandſchaft zum Prinzip hatten. Die Verbindung dieſes
Geſchlechterſtaates iſt ungleich loſer, als die jener kleineren
Kreiſe in ſich. In letzteren liegt die eigentliche Lebenskraft der
Verfaſſung; ſie ſind Staaten im Kleinen, die ſich zu einem
Staatenbund vereinigt haben.
Der Geſchlechterſtaat in ſeiner Jugendkraft bezeichnet nicht
bloß eine beſtimmte Form ſtaatlicher Verbindung, ſondern eine
beſtimmte Stufe der geſammten politiſchen und rechtlichen Ent-
wicklung. Einerſeits gibt die politiſche Function der Familie ihr
auch in privatrechtlicher Beziehung eine eigenthümliche Geſtal-
tung, die wiederum auf das Vermögen zurückwirkt. Anderer-
ſeits aber influirt die privatrechtliche Natur dieſes Verhältniſſes
auf den Staat ſelbſt und die ganze politiſche Geſinnungsweiſe.
Dies bewährt ſich auch in der excluſiven Stellung des Staats
nach außen hin. Da nur derjenige politiſch berechtigt iſt, der
zu einem Geſchlecht gehört, die Geſchlechter alſo die Pforten des
Staats ſind, ſo wird der Einlaß Fremder in den Staat ſehr
erſchwert; er ſetzt ja Aufnahme in die enge, über die bloß poli-
tiſchen Intereſſen weit hinausreichende Verbindung eines Ge-
ſchlechts voraus.
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/183>, abgerufen am 11.12.2023.
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