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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Erstes Buch -- Uebergang zum spezifisch römischen Recht.
glauben, als ob sein Wesen in kosmopolitischer Allgemeinheit
bestände. Wer aber die Römer nur irgendwie kennt, weiß, daß
kaum ein anderes Volk eine so unverwüstliche Nationalität be-
sessen und so fest daran gehalten, wie sie. Nicht der Absperrung
bedurfte diese Nationalität, um sich rein zu halten, nicht der
Abwehr fremder Elemente; sie forderte alle Völker heraus, sich
mit ihr zu messen, nahm massenweis fremde Elemente in sich
auf, aber rasch zersetzt assimilirten sich dieselben dem römischen
Wesen, ohne ihrerseits Rückwirkungen auf dasselbe auszuüben.
In der Blüthezeit Roms, auf die wir uns bei dieser Charakte-
ristik beschränken, steht die römische Nationalität da wie ein
Fels im Meere, an dem die Völker der alten Welt wie Wogen
sich brechen.

Wie verträgt sich mit dieser Energie, die das Nationalitäts-
prinzip in Rom entfaltet, jene universelle, antinationale Mission
des römischen Volks? Das universelle Moment im römischen
Charakter geht hervor aus einer Eigenschaft, die nach der einen
Seite ebensowohl eine expansive, universelle, wie nach der an-
dern eine contraktive, exklusive Tendenz hat -- der Selbstsucht.
Die Selbstsucht, die sich selbst zum Mittelpunkt der Welt macht,
alles nur auf sich bezieht, kömmt nicht in Gefahr, sich zu ver-
gessen, ihre partikularistisch-exklusive Stellung aufzugeben; ihre
Universalität besteht bloß darin, daß sie alles begehrt. Diese
Expansionskraft des Begehrungsvermögens wie sehr sie im-
merhin mit der engherzigsten Gesinnung verbunden sein möge,
dient doch objektiv der Geschichte als ein sehr wirksames Mittel
für den Gedanken der Universalität. Rom liefert uns dazu den
glänzendsten Beleg.

Selbstsucht also ist das Motiv der römischen Universalität,
Selbstsucht -- und damit wenden wir uns unserer eigentlichen
Aufgabe zu -- der Grundzug des römischen Wesens. Es gibt
nun eine kleinliche Selbstsucht, kleinlich in moralischer und in-
tellektueller Beziehung, kurzsichtig in ihren Berechnungen, ohne
Energie in der Ausführung, in augenblicklichen, kleinlichen Vor-

Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht.
glauben, als ob ſein Weſen in kosmopolitiſcher Allgemeinheit
beſtände. Wer aber die Römer nur irgendwie kennt, weiß, daß
kaum ein anderes Volk eine ſo unverwüſtliche Nationalität be-
ſeſſen und ſo feſt daran gehalten, wie ſie. Nicht der Abſperrung
bedurfte dieſe Nationalität, um ſich rein zu halten, nicht der
Abwehr fremder Elemente; ſie forderte alle Völker heraus, ſich
mit ihr zu meſſen, nahm maſſenweis fremde Elemente in ſich
auf, aber raſch zerſetzt aſſimilirten ſich dieſelben dem römiſchen
Weſen, ohne ihrerſeits Rückwirkungen auf daſſelbe auszuüben.
In der Blüthezeit Roms, auf die wir uns bei dieſer Charakte-
riſtik beſchränken, ſteht die römiſche Nationalität da wie ein
Fels im Meere, an dem die Völker der alten Welt wie Wogen
ſich brechen.

Wie verträgt ſich mit dieſer Energie, die das Nationalitäts-
prinzip in Rom entfaltet, jene univerſelle, antinationale Miſſion
des römiſchen Volks? Das univerſelle Moment im römiſchen
Charakter geht hervor aus einer Eigenſchaft, die nach der einen
Seite ebenſowohl eine expanſive, univerſelle, wie nach der an-
dern eine contraktive, exkluſive Tendenz hat — der Selbſtſucht.
Die Selbſtſucht, die ſich ſelbſt zum Mittelpunkt der Welt macht,
alles nur auf ſich bezieht, kömmt nicht in Gefahr, ſich zu ver-
geſſen, ihre partikulariſtiſch-exkluſive Stellung aufzugeben; ihre
Univerſalität beſteht bloß darin, daß ſie alles begehrt. Dieſe
Expanſionskraft des Begehrungsvermögens wie ſehr ſie im-
merhin mit der engherzigſten Geſinnung verbunden ſein möge,
dient doch objektiv der Geſchichte als ein ſehr wirkſames Mittel
für den Gedanken der Univerſalität. Rom liefert uns dazu den
glänzendſten Beleg.

Selbſtſucht alſo iſt das Motiv der römiſchen Univerſalität,
Selbſtſucht — und damit wenden wir uns unſerer eigentlichen
Aufgabe zu — der Grundzug des römiſchen Weſens. Es gibt
nun eine kleinliche Selbſtſucht, kleinlich in moraliſcher und in-
tellektueller Beziehung, kurzſichtig in ihren Berechnungen, ohne
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[292/0310] Erſtes Buch — Uebergang zum ſpezifiſch römiſchen Recht. glauben, als ob ſein Weſen in kosmopolitiſcher Allgemeinheit beſtände. Wer aber die Römer nur irgendwie kennt, weiß, daß kaum ein anderes Volk eine ſo unverwüſtliche Nationalität be- ſeſſen und ſo feſt daran gehalten, wie ſie. Nicht der Abſperrung bedurfte dieſe Nationalität, um ſich rein zu halten, nicht der Abwehr fremder Elemente; ſie forderte alle Völker heraus, ſich mit ihr zu meſſen, nahm maſſenweis fremde Elemente in ſich auf, aber raſch zerſetzt aſſimilirten ſich dieſelben dem römiſchen Weſen, ohne ihrerſeits Rückwirkungen auf daſſelbe auszuüben. In der Blüthezeit Roms, auf die wir uns bei dieſer Charakte- riſtik beſchränken, ſteht die römiſche Nationalität da wie ein Fels im Meere, an dem die Völker der alten Welt wie Wogen ſich brechen. Wie verträgt ſich mit dieſer Energie, die das Nationalitäts- prinzip in Rom entfaltet, jene univerſelle, antinationale Miſſion des römiſchen Volks? Das univerſelle Moment im römiſchen Charakter geht hervor aus einer Eigenſchaft, die nach der einen Seite ebenſowohl eine expanſive, univerſelle, wie nach der an- dern eine contraktive, exkluſive Tendenz hat — der Selbſtſucht. Die Selbſtſucht, die ſich ſelbſt zum Mittelpunkt der Welt macht, alles nur auf ſich bezieht, kömmt nicht in Gefahr, ſich zu ver- geſſen, ihre partikulariſtiſch-exkluſive Stellung aufzugeben; ihre Univerſalität beſteht bloß darin, daß ſie alles begehrt. Dieſe Expanſionskraft des Begehrungsvermögens wie ſehr ſie im- merhin mit der engherzigſten Geſinnung verbunden ſein möge, dient doch objektiv der Geſchichte als ein ſehr wirkſames Mittel für den Gedanken der Univerſalität. Rom liefert uns dazu den glänzendſten Beleg. Selbſtſucht alſo iſt das Motiv der römiſchen Univerſalität, Selbſtſucht — und damit wenden wir uns unſerer eigentlichen Aufgabe zu — der Grundzug des römiſchen Weſens. Es gibt nun eine kleinliche Selbſtſucht, kleinlich in moraliſcher und in- tellektueller Beziehung, kurzſichtig in ihren Berechnungen, ohne Energie in der Ausführung, in augenblicklichen, kleinlichen Vor-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/310>, abgerufen am 28.04.2024.