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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32.
seinem Sklaven zu leihen, anstatt ihm einfach das Geld, das
er nöthig hatte, wegzunehmen.

Daß die Lage der Sklaven keine so bemitleidenswerthe war,
wie man sich denkt, geht schließlich noch aus dem großen Vertrauen
hervor, das man ihnen erwies, indem man sie z. B. mit Geldsen-
dungen und andern werthvollen Transporten über See und in
weite Ferne schickte. Wenn das Loos der Sklaven ein so gräßli-
ches gewesen, so hätte man das in der That doch nicht wagen
können. 266) Es geht dies ferner hervor aus den rührendsten Zü-
gen der Anhänglichkeit, die die Sklaven ihren Herrn bewiesen
und zwar in Verhältnissen bewiesen, wo effektiv die Macht der Her-
ren über sie gebrochen war, sie selbst also völlig frei waren. 267)

Ein anderer Punkt, der den Geist, in dem die Sklaverei bei
den Römern gehandhabt wurde, charakterisirt, ist die Häufigkeit
der Freilassungen. Für die folgende Periode ist das Material
für diese Frage sehr reichhaltig, für die gegenwärtige dürftig.
Es war in späterer Zeit herkömmlich, unter gewissen Voraus-
setzungen dem Sklaven die Freiheit zu schenken, 268) ja es galt als
Ehrenpunkt, recht viel Freigelassene zu haben; es artete die Ge-
neigtheit zur Freilassung in eine wahre Sucht aus, der die
Gesetzgebung entgegentreten mußte. Welch bedeutenden Bruch-
theil der römischen Bevölkerung in späterer Zeit die Freigelasse-
nen bildeten, geht aus manchen Zügen hervor. Ich will einen
namhaft machen. Unter den 21 Grammatikern, die Sueton in
seiner Schrift de grammaticis (c. 3--24) aufführt, befinden
sich nicht weniger als 13, bei denen ausdrücklich erwähnt wird,
daß sie Freigelassene gewesen seien. Er berichtet ebendaselbst

266) So wird es erklärlich, was Suet. de grammaticis c. 21 berichtet, daß
der Grammatiker Cajus Melissus permansit in statu servitutis praesen-
temque conditionem verae origini
(er war frei geboren, aber von seinen
Eltern ausgesetzt worden) anteposuit.
267) z. B. zur Zeit der Bürgerkriege die Sklaven der Proscribirten. Val.
Max. VIII. 8 de fide servorum.
268) Siehe z. B. was Columella I. 8 von sich berichtet.

A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32.
ſeinem Sklaven zu leihen, anſtatt ihm einfach das Geld, das
er nöthig hatte, wegzunehmen.

Daß die Lage der Sklaven keine ſo bemitleidenswerthe war,
wie man ſich denkt, geht ſchließlich noch aus dem großen Vertrauen
hervor, das man ihnen erwies, indem man ſie z. B. mit Geldſen-
dungen und andern werthvollen Transporten über See und in
weite Ferne ſchickte. Wenn das Loos der Sklaven ein ſo gräßli-
ches geweſen, ſo hätte man das in der That doch nicht wagen
können. 266) Es geht dies ferner hervor aus den rührendſten Zü-
gen der Anhänglichkeit, die die Sklaven ihren Herrn bewieſen
und zwar in Verhältniſſen bewieſen, wo effektiv die Macht der Her-
ren über ſie gebrochen war, ſie ſelbſt alſo völlig frei waren. 267)

Ein anderer Punkt, der den Geiſt, in dem die Sklaverei bei
den Römern gehandhabt wurde, charakteriſirt, iſt die Häufigkeit
der Freilaſſungen. Für die folgende Periode iſt das Material
für dieſe Frage ſehr reichhaltig, für die gegenwärtige dürftig.
Es war in ſpäterer Zeit herkömmlich, unter gewiſſen Voraus-
ſetzungen dem Sklaven die Freiheit zu ſchenken, 268) ja es galt als
Ehrenpunkt, recht viel Freigelaſſene zu haben; es artete die Ge-
neigtheit zur Freilaſſung in eine wahre Sucht aus, der die
Geſetzgebung entgegentreten mußte. Welch bedeutenden Bruch-
theil der römiſchen Bevölkerung in ſpäterer Zeit die Freigelaſſe-
nen bildeten, geht aus manchen Zügen hervor. Ich will einen
namhaft machen. Unter den 21 Grammatikern, die Sueton in
ſeiner Schrift de grammaticis (c. 3—24) aufführt, befinden
ſich nicht weniger als 13, bei denen ausdrücklich erwähnt wird,
daß ſie Freigelaſſene geweſen ſeien. Er berichtet ebendaſelbſt

266) So wird es erklärlich, was Suet. de grammaticis c. 21 berichtet, daß
der Grammatiker Cajus Melissus permansit in statu servitutis praesen-
temque conditionem verae origini
(er war frei geboren, aber von ſeinen
Eltern ausgeſetzt worden) anteposuit.
267) z. B. zur Zeit der Bürgerkriege die Sklaven der Proſcribirten. Val.
Max. VIII. 8 de fide servorum.
268) Siehe z. B. was Columella I. 8 von ſich berichtet.
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[187/0201] A. Stellung des Indiv. Hausherrl. Gewalt. Sklaven. §. 32. ſeinem Sklaven zu leihen, anſtatt ihm einfach das Geld, das er nöthig hatte, wegzunehmen. Daß die Lage der Sklaven keine ſo bemitleidenswerthe war, wie man ſich denkt, geht ſchließlich noch aus dem großen Vertrauen hervor, das man ihnen erwies, indem man ſie z. B. mit Geldſen- dungen und andern werthvollen Transporten über See und in weite Ferne ſchickte. Wenn das Loos der Sklaven ein ſo gräßli- ches geweſen, ſo hätte man das in der That doch nicht wagen können. 266) Es geht dies ferner hervor aus den rührendſten Zü- gen der Anhänglichkeit, die die Sklaven ihren Herrn bewieſen und zwar in Verhältniſſen bewieſen, wo effektiv die Macht der Her- ren über ſie gebrochen war, ſie ſelbſt alſo völlig frei waren. 267) Ein anderer Punkt, der den Geiſt, in dem die Sklaverei bei den Römern gehandhabt wurde, charakteriſirt, iſt die Häufigkeit der Freilaſſungen. Für die folgende Periode iſt das Material für dieſe Frage ſehr reichhaltig, für die gegenwärtige dürftig. Es war in ſpäterer Zeit herkömmlich, unter gewiſſen Voraus- ſetzungen dem Sklaven die Freiheit zu ſchenken, 268) ja es galt als Ehrenpunkt, recht viel Freigelaſſene zu haben; es artete die Ge- neigtheit zur Freilaſſung in eine wahre Sucht aus, der die Geſetzgebung entgegentreten mußte. Welch bedeutenden Bruch- theil der römiſchen Bevölkerung in ſpäterer Zeit die Freigelaſſe- nen bildeten, geht aus manchen Zügen hervor. Ich will einen namhaft machen. Unter den 21 Grammatikern, die Sueton in ſeiner Schrift de grammaticis (c. 3—24) aufführt, befinden ſich nicht weniger als 13, bei denen ausdrücklich erwähnt wird, daß ſie Freigelaſſene geweſen ſeien. Er berichtet ebendaſelbſt 266) So wird es erklärlich, was Suet. de grammaticis c. 21 berichtet, daß der Grammatiker Cajus Melissus permansit in statu servitutis praesen- temque conditionem verae origini (er war frei geboren, aber von ſeinen Eltern ausgeſetzt worden) anteposuit. 267) z. B. zur Zeit der Bürgerkriege die Sklaven der Proſcribirten. Val. Max. VIII. 8 de fide servorum. 268) Siehe z. B. was Columella I. 8 von ſich berichtet.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/201>, abgerufen am 05.05.2024.