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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
Das Bedürfniß des herrschenden Grundstücks kam nur dann
zur Sprache, wenn es sich um das Maß einer concreten, dem
Inhalt nach nicht genau abgegränzten Servitut handelte; nicht
aber als Bedingung für die Errichtung einer Servitut über-
haupt. 360) Darin, daß die Servitut, wenn sie zwei Jahre hin-
durch nicht ausgeübt war, unterging, lag nur eine Consequenz
des obersten Gesichtspunktes, denn es ließ sich mit gutem Grunde
annehmen, daß eine Servitut, deren der Berechtigte sich zwei
Jahre hindurch nicht bedient hatte, durch ein wirkliches Be-
dürfniß fernerhin nicht mehr geboten oder es von Anfang an
nicht gewesen war.

Die Servitut war nun das einzige Verhältniß, mittelst des-
sen der Eigenthümer die Freiheit des Eigenthums beschrän-
ken konnte, und ganz treffend redete die Sprache hier von einem
Zustand der Unfreiheit der Sache selbst (servit praedium,
servitus
), wie bei Aufhebung desselben von einer Wiederher-
stellung der Freiheit (usucapio libertatis, praedium liberum). 361)
Die Dispositionsbefugniß des Eigenthümers war hier in so
enge Gränzen eingeschlossen, daß dem Eigenthum eine erheb-
liche Gefahr nicht drohte. Abgesehen von diesem einzigen Ver-
hältniß hatte aber der Eigenthümer über die Freiheit des Ei-
genthums keine Macht; sich selbst konnte er binden und ruini-
ren, das Eigenthum und den zukünftigen Eigenthümer nicht.

360) Das Institut hätte dadurch an praktischer Brauchbarkeit unendlich
eingebüßt. Die Rücksicht auf die formale Realisirbarkeit (Bd. 1. S. 42)
machte es nöthig, daß man die Frage von dem Bedürfniß, Interesse u. s. w.
der Servitut in abstracto erörterte und feststellte und sich damit der Noth-
wendigkeit einer Beantwortung derselben für den concreten Fall überhob,
d. h. man fragte: welche Servituten sind für den Verkehr ein Bedürfniß,
nicht aber ob z. B. dieser Weg für dieses Grundstück unentbehrlich oder ent-
behrlich gewesen sei.
361) Der Ausdruck servitus blieb auf dies Verhältniß beschränkt (S. jedoch
L. 86 §. 4 de leg. I [30]), auch nachdem im neuern Recht andere Arten der Eigen-
thumsbeschränkung hinzugekommen waren, eine Erscheinung, die sich im römi-
schen Recht bekanntlich öfter wiederholt (z. B. contractus, delicta u. s. w.).

A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33.
Das Bedürfniß des herrſchenden Grundſtücks kam nur dann
zur Sprache, wenn es ſich um das Maß einer concreten, dem
Inhalt nach nicht genau abgegränzten Servitut handelte; nicht
aber als Bedingung für die Errichtung einer Servitut über-
haupt. 360) Darin, daß die Servitut, wenn ſie zwei Jahre hin-
durch nicht ausgeübt war, unterging, lag nur eine Conſequenz
des oberſten Geſichtspunktes, denn es ließ ſich mit gutem Grunde
annehmen, daß eine Servitut, deren der Berechtigte ſich zwei
Jahre hindurch nicht bedient hatte, durch ein wirkliches Be-
dürfniß fernerhin nicht mehr geboten oder es von Anfang an
nicht geweſen war.

Die Servitut war nun das einzige Verhältniß, mittelſt deſ-
ſen der Eigenthümer die Freiheit des Eigenthums beſchrän-
ken konnte, und ganz treffend redete die Sprache hier von einem
Zuſtand der Unfreiheit der Sache ſelbſt (servit praedium,
servitus
), wie bei Aufhebung deſſelben von einer Wiederher-
ſtellung der Freiheit (usucapio libertatis, praedium liberum). 361)
Die Dispoſitionsbefugniß des Eigenthümers war hier in ſo
enge Gränzen eingeſchloſſen, daß dem Eigenthum eine erheb-
liche Gefahr nicht drohte. Abgeſehen von dieſem einzigen Ver-
hältniß hatte aber der Eigenthümer über die Freiheit des Ei-
genthums keine Macht; ſich ſelbſt konnte er binden und ruini-
ren, das Eigenthum und den zukünftigen Eigenthümer nicht.

360) Das Inſtitut hätte dadurch an praktiſcher Brauchbarkeit unendlich
eingebüßt. Die Rückſicht auf die formale Realiſirbarkeit (Bd. 1. S. 42)
machte es nöthig, daß man die Frage von dem Bedürfniß, Intereſſe u. ſ. w.
der Servitut in abstracto erörterte und feſtſtellte und ſich damit der Noth-
wendigkeit einer Beantwortung derſelben für den concreten Fall überhob,
d. h. man fragte: welche Servituten ſind für den Verkehr ein Bedürfniß,
nicht aber ob z. B. dieſer Weg für dieſes Grundſtück unentbehrlich oder ent-
behrlich geweſen ſei.
361) Der Ausdruck servitus blieb auf dies Verhältniß beſchränkt (S. jedoch
L. 86 §. 4 de leg. I [30]), auch nachdem im neuern Recht andere Arten der Eigen-
thumsbeſchränkung hinzugekommen waren, eine Erſcheinung, die ſich im römi-
ſchen Recht bekanntlich öfter wiederholt (z. B. contractus, delicta u. ſ. w.).
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[237/0251] A. Stellung des Indiv. Die Freiheit eine Schranke der Willkühr. §. 33. Das Bedürfniß des herrſchenden Grundſtücks kam nur dann zur Sprache, wenn es ſich um das Maß einer concreten, dem Inhalt nach nicht genau abgegränzten Servitut handelte; nicht aber als Bedingung für die Errichtung einer Servitut über- haupt. 360) Darin, daß die Servitut, wenn ſie zwei Jahre hin- durch nicht ausgeübt war, unterging, lag nur eine Conſequenz des oberſten Geſichtspunktes, denn es ließ ſich mit gutem Grunde annehmen, daß eine Servitut, deren der Berechtigte ſich zwei Jahre hindurch nicht bedient hatte, durch ein wirkliches Be- dürfniß fernerhin nicht mehr geboten oder es von Anfang an nicht geweſen war. Die Servitut war nun das einzige Verhältniß, mittelſt deſ- ſen der Eigenthümer die Freiheit des Eigenthums beſchrän- ken konnte, und ganz treffend redete die Sprache hier von einem Zuſtand der Unfreiheit der Sache ſelbſt (servit praedium, servitus), wie bei Aufhebung deſſelben von einer Wiederher- ſtellung der Freiheit (usucapio libertatis, praedium liberum). 361) Die Dispoſitionsbefugniß des Eigenthümers war hier in ſo enge Gränzen eingeſchloſſen, daß dem Eigenthum eine erheb- liche Gefahr nicht drohte. Abgeſehen von dieſem einzigen Ver- hältniß hatte aber der Eigenthümer über die Freiheit des Ei- genthums keine Macht; ſich ſelbſt konnte er binden und ruini- ren, das Eigenthum und den zukünftigen Eigenthümer nicht. 360) Das Inſtitut hätte dadurch an praktiſcher Brauchbarkeit unendlich eingebüßt. Die Rückſicht auf die formale Realiſirbarkeit (Bd. 1. S. 42) machte es nöthig, daß man die Frage von dem Bedürfniß, Intereſſe u. ſ. w. der Servitut in abstracto erörterte und feſtſtellte und ſich damit der Noth- wendigkeit einer Beantwortung derſelben für den concreten Fall überhob, d. h. man fragte: welche Servituten ſind für den Verkehr ein Bedürfniß, nicht aber ob z. B. dieſer Weg für dieſes Grundſtück unentbehrlich oder ent- behrlich geweſen ſei. 361) Der Ausdruck servitus blieb auf dies Verhältniß beſchränkt (S. jedoch L. 86 §. 4 de leg. I [30]), auch nachdem im neuern Recht andere Arten der Eigen- thumsbeſchränkung hinzugekommen waren, eine Erſcheinung, die ſich im römi- ſchen Recht bekanntlich öfter wiederholt (z. B. contractus, delicta u. ſ. w.).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/251>, abgerufen am 27.04.2024.