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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Die Jurisprudenz. §. 42.
desselben an die Beobachtung des strengen juristischen Sprach-
gebrauchs, die Erträglichkeit der engen, knappen Formen des
Verkehrs, die Möglichkeit der rücksichtslosen Consequenz, die
Freiheit ihrer eignen wissenschaftlichen Bewegung, kurz die
Durchführbarkeit der alten Theorie und damit sie selbst -- das
Reich und der Triumph der Jurisprudenz als einer
Mathematik des Rechts
!

Auch in Rom änderte sich dies, und als Ulpian 583) seinen
schönen Ausspruch that, den man als Motto über die alte Ju-
risprudenz schreiben könnte: civilis sapientia est res sanctis-
sima, quae pretio nummario non sit aestimanda nec dehone-
standa,
hatte derselbe weder für die Lehrer des Rechts, denen
Ulpian die Worte zurief, noch für den größten Theil der prakti-
schen Juristen, die Advokaten, eine praktische Wahrheit mehr,
und die Einzigen, die noch in seinem Sinne handelten, waren
jene namhaften von Staatswegen mit dem jus respondendi
versehenen Juristen, deren Gedächtniß noch die ferne Nachwelt
feiert. Wie wesentlich auch dies jus respondendi, wenigstens
in der ihm später gegebenen Gestalt, mit dem Gesichtspunkt der
Unentgeltlichkeit zusammenhängt, wie es in den Händen von
Leuten, die aus dem Respondiren eine Erwerbsquelle gemacht
hätten, absolut unmöglich gewesen wäre, das will ich, da die
Einrichtung selbst nicht mehr in unsere Periode gehört, dem
eignen Nachdenken des Lesers überlassen.

583) L. 1 §. 5 de extr. cogn. (50. 13).

Die Jurisprudenz. §. 42.
deſſelben an die Beobachtung des ſtrengen juriſtiſchen Sprach-
gebrauchs, die Erträglichkeit der engen, knappen Formen des
Verkehrs, die Möglichkeit der rückſichtsloſen Conſequenz, die
Freiheit ihrer eignen wiſſenſchaftlichen Bewegung, kurz die
Durchführbarkeit der alten Theorie und damit ſie ſelbſt — das
Reich und der Triumph der Jurisprudenz als einer
Mathematik des Rechts
!

Auch in Rom änderte ſich dies, und als Ulpian 583) ſeinen
ſchönen Ausſpruch that, den man als Motto über die alte Ju-
risprudenz ſchreiben könnte: civilis sapientia est res sanctis-
sima, quae pretio nummario non sit aestimanda nec dehone-
standa,
hatte derſelbe weder für die Lehrer des Rechts, denen
Ulpian die Worte zurief, noch für den größten Theil der prakti-
ſchen Juriſten, die Advokaten, eine praktiſche Wahrheit mehr,
und die Einzigen, die noch in ſeinem Sinne handelten, waren
jene namhaften von Staatswegen mit dem jus respondendi
verſehenen Juriſten, deren Gedächtniß noch die ferne Nachwelt
feiert. Wie weſentlich auch dies jus respondendi, wenigſtens
in der ihm ſpäter gegebenen Geſtalt, mit dem Geſichtspunkt der
Unentgeltlichkeit zuſammenhängt, wie es in den Händen von
Leuten, die aus dem Reſpondiren eine Erwerbsquelle gemacht
hätten, abſolut unmöglich geweſen wäre, das will ich, da die
Einrichtung ſelbſt nicht mehr in unſere Periode gehört, dem
eignen Nachdenken des Leſers überlaſſen.

583) L. 1 §. 5 de extr. cogn. (50. 13).
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[445/0151] Die Jurisprudenz. §. 42. deſſelben an die Beobachtung des ſtrengen juriſtiſchen Sprach- gebrauchs, die Erträglichkeit der engen, knappen Formen des Verkehrs, die Möglichkeit der rückſichtsloſen Conſequenz, die Freiheit ihrer eignen wiſſenſchaftlichen Bewegung, kurz die Durchführbarkeit der alten Theorie und damit ſie ſelbſt — das Reich und der Triumph der Jurisprudenz als einer Mathematik des Rechts! Auch in Rom änderte ſich dies, und als Ulpian 583) ſeinen ſchönen Ausſpruch that, den man als Motto über die alte Ju- risprudenz ſchreiben könnte: civilis sapientia est res sanctis- sima, quae pretio nummario non sit aestimanda nec dehone- standa, hatte derſelbe weder für die Lehrer des Rechts, denen Ulpian die Worte zurief, noch für den größten Theil der prakti- ſchen Juriſten, die Advokaten, eine praktiſche Wahrheit mehr, und die Einzigen, die noch in ſeinem Sinne handelten, waren jene namhaften von Staatswegen mit dem jus respondendi verſehenen Juriſten, deren Gedächtniß noch die ferne Nachwelt feiert. Wie weſentlich auch dies jus respondendi, wenigſtens in der ihm ſpäter gegebenen Geſtalt, mit dem Geſichtspunkt der Unentgeltlichkeit zuſammenhängt, wie es in den Händen von Leuten, die aus dem Reſpondiren eine Erwerbsquelle gemacht hätten, abſolut unmöglich geweſen wäre, das will ich, da die Einrichtung ſelbſt nicht mehr in unſere Periode gehört, dem eignen Nachdenken des Leſers überlaſſen. 583) L. 1 §. 5 de extr. cogn. (50. 13).

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/151>, abgerufen am 29.04.2024.