Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
gen gerichteten Vertrages gehört erst den letzten Jahrhunderten der Republik an, und sie beschränkte sich zudem lange Zeit hin- durch auf Dienstleistungen niederer Art (operae locari solitae). Kunst und Wissenschaft treten erst spät in den Kreis des Rechts, und nur mit Widerstreben öffnet es ihnen denselben und erst, nachdem das Leben thatsächlich ihren Anspruch auf Lohn an- erkannt hatte.
Wie es nun die ältere Zeit noch nicht zu einer Abstraction der einzelnen Arbeit von dem Arbeiter, so hat sie es auch noch nicht zu einer Abstraction der einzelnen Gebrauchshandlung von der Sache gebracht. Wie der Arbeiter, so zu sagen, nichts ist, als der Inbegriff, die Summe von zukünftigen, einzelnen Lei- stungen, so die Sache der reale Niederschlag, die von der Natur gegebene Concentration einer Reihe von möglichen Dienstlei- stungen; der Werth beider ist im Grunde nichts anderes, als die nach Grundsätzen des Disconto berechnete Summe der sämmtlichen während ihrer Existenz möglichen Dienste nach Abzug der Gewinnungskosten. Haben nun beide nur darum einen Werth, weil sie die Summe dieser einzelnen Dienstlei- stungen sind, so bilden letztere eine Quote dieses Werths, und in wirthschaftlicher wie rechtlicher Beziehung müßte von den Nutzungen einer Sache ganz dasselbe gelten, wie von der Sache selbst, das Recht müßte also nicht bloß die entgeltliche Ueber- lassung, sondern auch die Vorenthaltung, Störung oder ver- zögerte Ueberlassung der Nutzungen auf gleiche Linie stellen mit dem Verkauf und der Vernichtung oder Beschädigung der Sache selbst. Allein jene idealen Stücke der Sache fallen in die Zeit, die Sache selbst in den Raum, und diese Verschiedenheit, die das geübte Auge nicht beirrt, wird doch für die materialistische Anschauungsweise sehr einflußreich. Dies wollen wir jetzt am ältern Recht nachweisen.
Die Entziehung der Nutzungen einer Sache kann theils den Charakter eines Delicts (furtum usus) annehmen, theils bei Gelegenheit eines anderen auf Restitution der Sache selbst
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
gen gerichteten Vertrages gehört erſt den letzten Jahrhunderten der Republik an, und ſie beſchränkte ſich zudem lange Zeit hin- durch auf Dienſtleiſtungen niederer Art (operae locari solitae). Kunſt und Wiſſenſchaft treten erſt ſpät in den Kreis des Rechts, und nur mit Widerſtreben öffnet es ihnen denſelben und erſt, nachdem das Leben thatſächlich ihren Anſpruch auf Lohn an- erkannt hatte.
Wie es nun die ältere Zeit noch nicht zu einer Abſtraction der einzelnen Arbeit von dem Arbeiter, ſo hat ſie es auch noch nicht zu einer Abſtraction der einzelnen Gebrauchshandlung von der Sache gebracht. Wie der Arbeiter, ſo zu ſagen, nichts iſt, als der Inbegriff, die Summe von zukünftigen, einzelnen Lei- ſtungen, ſo die Sache der reale Niederſchlag, die von der Natur gegebene Concentration einer Reihe von möglichen Dienſtlei- ſtungen; der Werth beider iſt im Grunde nichts anderes, als die nach Grundſätzen des Disconto berechnete Summe der ſämmtlichen während ihrer Exiſtenz möglichen Dienſte nach Abzug der Gewinnungskoſten. Haben nun beide nur darum einen Werth, weil ſie die Summe dieſer einzelnen Dienſtlei- ſtungen ſind, ſo bilden letztere eine Quote dieſes Werths, und in wirthſchaftlicher wie rechtlicher Beziehung müßte von den Nutzungen einer Sache ganz daſſelbe gelten, wie von der Sache ſelbſt, das Recht müßte alſo nicht bloß die entgeltliche Ueber- laſſung, ſondern auch die Vorenthaltung, Störung oder ver- zögerte Ueberlaſſung der Nutzungen auf gleiche Linie ſtellen mit dem Verkauf und der Vernichtung oder Beſchädigung der Sache ſelbſt. Allein jene idealen Stücke der Sache fallen in die Zeit, die Sache ſelbſt in den Raum, und dieſe Verſchiedenheit, die das geübte Auge nicht beirrt, wird doch für die materialiſtiſche Anſchauungsweiſe ſehr einflußreich. Dies wollen wir jetzt am ältern Recht nachweiſen.
Die Entziehung der Nutzungen einer Sache kann theils den Charakter eines Delicts (furtum usus) annehmen, theils bei Gelegenheit eines anderen auf Reſtitution der Sache ſelbſt
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
gen gerichteten Vertrages gehört erſt den letzten Jahrhunderten
der Republik an, und ſie beſchränkte ſich zudem lange Zeit hin-
durch auf Dienſtleiſtungen niederer Art (operae locari solitae).
Kunſt und Wiſſenſchaft treten erſt ſpät in den Kreis des Rechts,
und nur mit Widerſtreben öffnet es ihnen denſelben und erſt,
nachdem das Leben thatſächlich ihren Anſpruch auf Lohn an-
erkannt hatte.
Wie es nun die ältere Zeit noch nicht zu einer Abſtraction
der einzelnen Arbeit von dem Arbeiter, ſo hat ſie es auch noch
nicht zu einer Abſtraction der einzelnen Gebrauchshandlung von
der Sache gebracht. Wie der Arbeiter, ſo zu ſagen, nichts iſt,
als der Inbegriff, die Summe von zukünftigen, einzelnen Lei-
ſtungen, ſo die Sache der reale Niederſchlag, die von der Natur
gegebene Concentration einer Reihe von möglichen Dienſtlei-
ſtungen; der Werth beider iſt im Grunde nichts anderes, als
die nach Grundſätzen des Disconto berechnete Summe der
ſämmtlichen während ihrer Exiſtenz möglichen Dienſte nach
Abzug der Gewinnungskoſten. Haben nun beide nur darum
einen Werth, weil ſie die Summe dieſer einzelnen Dienſtlei-
ſtungen ſind, ſo bilden letztere eine Quote dieſes Werths, und
in wirthſchaftlicher wie rechtlicher Beziehung müßte von den
Nutzungen einer Sache ganz daſſelbe gelten, wie von der Sache
ſelbſt, das Recht müßte alſo nicht bloß die entgeltliche Ueber-
laſſung, ſondern auch die Vorenthaltung, Störung oder ver-
zögerte Ueberlaſſung der Nutzungen auf gleiche Linie ſtellen mit
dem Verkauf und der Vernichtung oder Beſchädigung der Sache
ſelbſt. Allein jene idealen Stücke der Sache fallen in die Zeit,
die Sache ſelbſt in den Raum, und dieſe Verſchiedenheit, die
das geübte Auge nicht beirrt, wird doch für die materialiſtiſche
Anſchauungsweiſe ſehr einflußreich. Dies wollen wir jetzt am
ältern Recht nachweiſen.
Die Entziehung der Nutzungen einer Sache kann theils
den Charakter eines Delicts (furtum usus) annehmen, theils
bei Gelegenheit eines anderen auf Reſtitution der Sache ſelbſt
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/164>, abgerufen am 16.06.2024.
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