Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. B. Des ält. Rechts.
selben, ob derselbe also z. B. mehr oder minder complicirt oder einfach, knapp und eng oder weit und elastisch ist, ob die Form lediglich eine Thätigkeit der Parthei oder auch die Mitwirkung anderer Personen erfordert, ob sie im Sprechen, Schreiben, Handeln besteht, kurz die Elemente, aus denen die Form ge- bildet, und die Art, wie sie es ist. Einige Beispiele sollen den Einfluß dieses Moments veranschaulichen.
Vergleichen wir die Form des römischen Testaments mit der der Stipulation. Erstere war ungleich complicirter, und anderer- seits knapper, als letztere, eben darum aber die Gefahr eines Formfehlers bei ihr viel höher, als hier. Aus je mehr Stücken eine Form zusammengesetzt ist, um so mehr Quellen von Formfehlern enthält sie. Die Stipulation bestand, wenn man will, aus ei- nem Stück, aus der Frage des Gläubigers, denn die entspre- chende Antwort des Schuldners hatte keine Schwierigkeit. Die Testamentsform hingegen erforderte die Rogation der Zeugen, die familiae emtio, die nuncupatio, die Anwendung der richtigen Formeln für die einzelnen Bestimmungen, die richtige Reihen- folge der letzteren, die unitas actus. Bei der Stipulation ge- nügte jede Art der Wortfassung in Frageform, und nur für gewisse Zwecke bedurfte es eines bestimmten Schlagwortes (spondeo, fidejubeo, fidepromitto u. a.). Ein unfähiger Zeuge unter sieben, ein Mißgriff in der Formel der Erbeseinsetzung, und das ganze Testament mit allen seinen Anordnungen war hinfällig.
Ein anderes ganz instructives Beispiel gewährt der Ver- gleich des Legisactionenprocesses mit dem Formularproceß. Er- sterer war ungleich gefährlicher, als letzterer, und gerade hier- durch soll, wie Gajus656) uns berichtet, sein Untergang veran- laßt worden sein. Auch im Formularproceß blieb, wie es ein- mal im Wesen der Form begründet ist, ein Mißgriff in der Form nicht ohne nachtheilige Folgen, allein der Zuschnitt dieser Pro- ceßform machte die Gefahr eines Formfehlers ungleich seltener.
656)Gaj. IV §. 30.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
ſelben, ob derſelbe alſo z. B. mehr oder minder complicirt oder einfach, knapp und eng oder weit und elaſtiſch iſt, ob die Form lediglich eine Thätigkeit der Parthei oder auch die Mitwirkung anderer Perſonen erfordert, ob ſie im Sprechen, Schreiben, Handeln beſteht, kurz die Elemente, aus denen die Form ge- bildet, und die Art, wie ſie es iſt. Einige Beiſpiele ſollen den Einfluß dieſes Moments veranſchaulichen.
Vergleichen wir die Form des römiſchen Teſtaments mit der der Stipulation. Erſtere war ungleich complicirter, und anderer- ſeits knapper, als letztere, eben darum aber die Gefahr eines Formfehlers bei ihr viel höher, als hier. Aus je mehr Stücken eine Form zuſammengeſetzt iſt, um ſo mehr Quellen von Formfehlern enthält ſie. Die Stipulation beſtand, wenn man will, aus ei- nem Stück, aus der Frage des Gläubigers, denn die entſpre- chende Antwort des Schuldners hatte keine Schwierigkeit. Die Teſtamentsform hingegen erforderte die Rogation der Zeugen, die familiae emtio, die nuncupatio, die Anwendung der richtigen Formeln für die einzelnen Beſtimmungen, die richtige Reihen- folge der letzteren, die unitas actus. Bei der Stipulation ge- nügte jede Art der Wortfaſſung in Frageform, und nur für gewiſſe Zwecke bedurfte es eines beſtimmten Schlagwortes (spondeo, fidejubeo, fidepromitto u. a.). Ein unfähiger Zeuge unter ſieben, ein Mißgriff in der Formel der Erbeseinſetzung, und das ganze Teſtament mit allen ſeinen Anordnungen war hinfällig.
Ein anderes ganz inſtructives Beiſpiel gewährt der Ver- gleich des Legisactionenproceſſes mit dem Formularproceß. Er- ſterer war ungleich gefährlicher, als letzterer, und gerade hier- durch ſoll, wie Gajus656) uns berichtet, ſein Untergang veran- laßt worden ſein. Auch im Formularproceß blieb, wie es ein- mal im Weſen der Form begründet iſt, ein Mißgriff in der Form nicht ohne nachtheilige Folgen, allein der Zuſchnitt dieſer Pro- ceßform machte die Gefahr eines Formfehlers ungleich ſeltener.
656)Gaj. IV §. 30.
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Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. B. Des ält. Rechts.
ſelben, ob derſelbe alſo z. B. mehr oder minder complicirt oder
einfach, knapp und eng oder weit und elaſtiſch iſt, ob die Form
lediglich eine Thätigkeit der Parthei oder auch die Mitwirkung
anderer Perſonen erfordert, ob ſie im Sprechen, Schreiben,
Handeln beſteht, kurz die Elemente, aus denen die Form ge-
bildet, und die Art, wie ſie es iſt. Einige Beiſpiele ſollen den
Einfluß dieſes Moments veranſchaulichen.
Vergleichen wir die Form des römiſchen Teſtaments mit der
der Stipulation. Erſtere war ungleich complicirter, und anderer-
ſeits knapper, als letztere, eben darum aber die Gefahr eines
Formfehlers bei ihr viel höher, als hier. Aus je mehr Stücken eine
Form zuſammengeſetzt iſt, um ſo mehr Quellen von Formfehlern
enthält ſie. Die Stipulation beſtand, wenn man will, aus ei-
nem Stück, aus der Frage des Gläubigers, denn die entſpre-
chende Antwort des Schuldners hatte keine Schwierigkeit. Die
Teſtamentsform hingegen erforderte die Rogation der Zeugen,
die familiae emtio, die nuncupatio, die Anwendung der richtigen
Formeln für die einzelnen Beſtimmungen, die richtige Reihen-
folge der letzteren, die unitas actus. Bei der Stipulation ge-
nügte jede Art der Wortfaſſung in Frageform, und nur für gewiſſe
Zwecke bedurfte es eines beſtimmten Schlagwortes (spondeo,
fidejubeo, fidepromitto u. a.). Ein unfähiger Zeuge unter
ſieben, ein Mißgriff in der Formel der Erbeseinſetzung, und das
ganze Teſtament mit allen ſeinen Anordnungen war hinfällig.
Ein anderes ganz inſtructives Beiſpiel gewährt der Ver-
gleich des Legisactionenproceſſes mit dem Formularproceß. Er-
ſterer war ungleich gefährlicher, als letzterer, und gerade hier-
durch ſoll, wie Gajus 656) uns berichtet, ſein Untergang veran-
laßt worden ſein. Auch im Formularproceß blieb, wie es ein-
mal im Weſen der Form begründet iſt, ein Mißgriff in der Form
nicht ohne nachtheilige Folgen, allein der Zuſchnitt dieſer Pro-
ceßform machte die Gefahr eines Formfehlers ungleich ſeltener.
656) Gaj. IV §. 30.
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/214>, abgerufen am 16.06.2024.
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