Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
Metall zuzuwägen -- durch jene Maßregel ward man dessen überhoben. Allein im Nexum und in der Mancipation behielt man, wenn auch nicht das Wägen selbst, so doch das Erz und die Wagschale bei (§. 46).
In allen diesen Fällen, die sich noch durch manche vermeh- ren ließen, hatte die Form von vornherein nicht die geringste innere Bedeutung, sie war ein bloßer Niederschlag vergangner Zustände, ein reines Caput mortuum. Was verhalf ihr nun zu diesem Leben als Form? Die bloße Vis inertiä, die Macht der Gewohnheit? Mögen wir immerhin so sagen, aber übersehen wir nur nicht, daß die Macht der Gewohnheit ihrerseits hier wiederum subjectiv eine der Form geneigte Stimmung voraus- setzt. Bei einem gleichgültigen Verhalten des Geistes gegen das Moment des Aeußerlichen würde das Alte, nachdem es einmal der Sache nach und in der praktischen Anwendung dem Neuen Platz gemacht, es auch der Form nach gethan haben. Uebrigens ist es sehr wohl möglich, daß die residuären Formen für eine spätere Zeit, der der historische Ursprung derselben entschwunden ist, dadurch daß sie in dieselben einen Sinn hin- einträgt, den sie ursprünglich nicht hatten, die Kraft und Be- deutung von symbolischen erhalten, und ich bin überzeugt, daß eine Menge von Formen als symbolische angesehen werden, die von Haus aus nichts waren als residuäre. 677)
Wie nun in den letztern ein Stück Vergangenheit, ganz so wie es war, zur Form versteinert, so wird in andern Fällen, wenn ich so sagen darf, wenigstens die Reminiscenz erhal- ten, nämlich vermöge repräsentativer Darstellung (s. oben). An Stelle der bisherigen Weise, die man gezwungen ist ganz oder zum Theil zu verlassen, wird eine bequemere, zeit- gemäßere Nachbildung gesetzt und zwar lediglich als Form, lediglich des Aeußern wegen -- eine Concession, durch die man
677) So ist z. B. die Auffassung, deren Puchta Curs. der Instit. B. 2 §. 162 Note m gedenkt, nicht so weit wegzuwerfen, als er es thut.
Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
Metall zuzuwägen — durch jene Maßregel ward man deſſen überhoben. Allein im Nexum und in der Mancipation behielt man, wenn auch nicht das Wägen ſelbſt, ſo doch das Erz und die Wagſchale bei (§. 46).
In allen dieſen Fällen, die ſich noch durch manche vermeh- ren ließen, hatte die Form von vornherein nicht die geringſte innere Bedeutung, ſie war ein bloßer Niederſchlag vergangner Zuſtände, ein reines Caput mortuum. Was verhalf ihr nun zu dieſem Leben als Form? Die bloße Vis inertiä, die Macht der Gewohnheit? Mögen wir immerhin ſo ſagen, aber überſehen wir nur nicht, daß die Macht der Gewohnheit ihrerſeits hier wiederum ſubjectiv eine der Form geneigte Stimmung voraus- ſetzt. Bei einem gleichgültigen Verhalten des Geiſtes gegen das Moment des Aeußerlichen würde das Alte, nachdem es einmal der Sache nach und in der praktiſchen Anwendung dem Neuen Platz gemacht, es auch der Form nach gethan haben. Uebrigens iſt es ſehr wohl möglich, daß die reſiduären Formen für eine ſpätere Zeit, der der hiſtoriſche Urſprung derſelben entſchwunden iſt, dadurch daß ſie in dieſelben einen Sinn hin- einträgt, den ſie urſprünglich nicht hatten, die Kraft und Be- deutung von ſymboliſchen erhalten, und ich bin überzeugt, daß eine Menge von Formen als ſymboliſche angeſehen werden, die von Haus aus nichts waren als reſiduäre. 677)
Wie nun in den letztern ein Stück Vergangenheit, ganz ſo wie es war, zur Form verſteinert, ſo wird in andern Fällen, wenn ich ſo ſagen darf, wenigſtens die Reminiscenz erhal- ten, nämlich vermöge repräſentativer Darſtellung (ſ. oben). An Stelle der bisherigen Weiſe, die man gezwungen iſt ganz oder zum Theil zu verlaſſen, wird eine bequemere, zeit- gemäßere Nachbildung geſetzt und zwar lediglich als Form, lediglich des Aeußern wegen — eine Conceſſion, durch die man
677) So iſt z. B. die Auffaſſung, deren Puchta Curſ. der Inſtit. B. 2 §. 162 Note m gedenkt, nicht ſo weit wegzuwerfen, als er es thut.
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 45.
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überhoben. Allein im Nexum und in der Mancipation behielt
man, wenn auch nicht das Wägen ſelbſt, ſo doch das Erz und
die Wagſchale bei (§. 46).
In allen dieſen Fällen, die ſich noch durch manche vermeh-
ren ließen, hatte die Form von vornherein nicht die geringſte
innere Bedeutung, ſie war ein bloßer Niederſchlag vergangner
Zuſtände, ein reines Caput mortuum. Was verhalf ihr nun zu
dieſem Leben als Form? Die bloße Vis inertiä, die Macht der
Gewohnheit? Mögen wir immerhin ſo ſagen, aber überſehen
wir nur nicht, daß die Macht der Gewohnheit ihrerſeits hier
wiederum ſubjectiv eine der Form geneigte Stimmung voraus-
ſetzt. Bei einem gleichgültigen Verhalten des Geiſtes gegen
das Moment des Aeußerlichen würde das Alte, nachdem es
einmal der Sache nach und in der praktiſchen Anwendung dem
Neuen Platz gemacht, es auch der Form nach gethan haben.
Uebrigens iſt es ſehr wohl möglich, daß die reſiduären Formen
für eine ſpätere Zeit, der der hiſtoriſche Urſprung derſelben
entſchwunden iſt, dadurch daß ſie in dieſelben einen Sinn hin-
einträgt, den ſie urſprünglich nicht hatten, die Kraft und Be-
deutung von ſymboliſchen erhalten, und ich bin überzeugt, daß
eine Menge von Formen als ſymboliſche angeſehen werden, die
von Haus aus nichts waren als reſiduäre. 677)
Wie nun in den letztern ein Stück Vergangenheit, ganz ſo
wie es war, zur Form verſteinert, ſo wird in andern Fällen,
wenn ich ſo ſagen darf, wenigſtens die Reminiscenz erhal-
ten, nämlich vermöge repräſentativer Darſtellung (ſ.
oben). An Stelle der bisherigen Weiſe, die man gezwungen iſt
ganz oder zum Theil zu verlaſſen, wird eine bequemere, zeit-
gemäßere Nachbildung geſetzt und zwar lediglich als Form,
lediglich des Aeußern wegen — eine Conceſſion, durch die man
677) So iſt z. B. die Auffaſſung, deren Puchta Curſ. der Inſtit. B. 2
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/245>, abgerufen am 16.06.2024.
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