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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Zukunft zu sichern, ist dem Testament gerade die Eigenschaft beige-
legt, welche die Rechtsgeschäfte unter Lebenden vernichten würde:
die absolute Widerruflichkeit. Gewährt sie dem Testator die
Macht über das Stück der Zukunft, das er selbst noch erlebt, so
verschafft die Bedingung und der dies ihm die Macht über die
Zeit nach seinem Tode. In welche Gränzen letztere eingeschlossen
ist, hat für den vorliegenden Zweck kein Interesse.

Aus dem Zustand der Pendenz, in welchem das Testament
im Ganzen sowohl wie alle seine einzelnen Bestimmungen sich bis
zu ihrer Realisirung befinden, folgt in gleicher Weise wie bei der
Obligation, daß diejenigen Requisite, welche sich nicht mit dem
Akt der Testamentserrichtung erschöpfen, (Fähigkeit der zugezo-
genen Zeugen und factisches Willensvermögen des Testators
Note 53,) sondern in dauernder Beziehung zu dem Zweck des
Testaments stehen, (testamenti factio des Testators und der ein-
gesetzten Personen,) auch nachher fortdauern müssen. Und zwar die
des Testators unausgesetzt bis zu seinem Tode, denn das Testa-
ment repräsentirt nicht einen Willensakt von ihm, sondern ein
fortdauerndes Wollen, dieses Wollen aber hört auf, nicht bloß
wenn dies in der gehörigen Form erklärt wird, sondern auch
wenn der Testator die Fähigkeit rechtlich zu wollen (testamenti
factio
) einbüßt. 217) Etwas anders wird die testamenti factio
der honorirten Personen bestimmt, eben weil ihre Stellung zum
Testament eine andere ist. Sie wird nämlich zuerst verlangt in
dem Moment, wo der Testator in Beziehung zu ihnen tritt, in
dem der Testamentserrichtung. Von da an aber hört ihre Be-
ziehung zum Testament bis zum Moment der Delation auf, und
folgeweise ist der Besitz oder Mangel der testamenti factio wäh-
rend dieser Zeit unschädlich. 218) Von der Delation an aber muß
sie natürlich bis zum Moment der Acquisition fortdauern. 219)

217) §. 4. 6 I. quib. mod. (2. 17) L. 6 §. 5 de inj. (28. 3).
218) L. 59 §. 4 de her. inst. (28. 5) §. 4 I. de her. qual. (2. 19)
L. 52 de leg. II. (31)
.
219) §. 4 I. cit.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
Zukunft zu ſichern, iſt dem Teſtament gerade die Eigenſchaft beige-
legt, welche die Rechtsgeſchäfte unter Lebenden vernichten würde:
die abſolute Widerruflichkeit. Gewährt ſie dem Teſtator die
Macht über das Stück der Zukunft, das er ſelbſt noch erlebt, ſo
verſchafft die Bedingung und der dies ihm die Macht über die
Zeit nach ſeinem Tode. In welche Gränzen letztere eingeſchloſſen
iſt, hat für den vorliegenden Zweck kein Intereſſe.

Aus dem Zuſtand der Pendenz, in welchem das Teſtament
im Ganzen ſowohl wie alle ſeine einzelnen Beſtimmungen ſich bis
zu ihrer Realiſirung befinden, folgt in gleicher Weiſe wie bei der
Obligation, daß diejenigen Requiſite, welche ſich nicht mit dem
Akt der Teſtamentserrichtung erſchöpfen, (Fähigkeit der zugezo-
genen Zeugen und factiſches Willensvermögen des Teſtators
Note 53,) ſondern in dauernder Beziehung zu dem Zweck des
Teſtaments ſtehen, (testamenti factio des Teſtators und der ein-
geſetzten Perſonen,) auch nachher fortdauern müſſen. Und zwar die
des Teſtators unausgeſetzt bis zu ſeinem Tode, denn das Teſta-
ment repräſentirt nicht einen Willensakt von ihm, ſondern ein
fortdauerndes Wollen, dieſes Wollen aber hört auf, nicht bloß
wenn dies in der gehörigen Form erklärt wird, ſondern auch
wenn der Teſtator die Fähigkeit rechtlich zu wollen (testamenti
factio
) einbüßt. 217) Etwas anders wird die testamenti factio
der honorirten Perſonen beſtimmt, eben weil ihre Stellung zum
Teſtament eine andere iſt. Sie wird nämlich zuerſt verlangt in
dem Moment, wo der Teſtator in Beziehung zu ihnen tritt, in
dem der Teſtamentserrichtung. Von da an aber hört ihre Be-
ziehung zum Teſtament bis zum Moment der Delation auf, und
folgeweiſe iſt der Beſitz oder Mangel der testamenti factio wäh-
rend dieſer Zeit unſchädlich. 218) Von der Delation an aber muß
ſie natürlich bis zum Moment der Acquiſition fortdauern. 219)

217) §. 4. 6 I. quib. mod. (2. 17) L. 6 §. 5 de inj. (28. 3).
218) L. 59 §. 4 de her. inst. (28. 5) §. 4 I. de her. qual. (2. 19)
L. 52 de leg. II. (31)
.
219) §. 4 I. cit.
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[162/0178] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. Zukunft zu ſichern, iſt dem Teſtament gerade die Eigenſchaft beige- legt, welche die Rechtsgeſchäfte unter Lebenden vernichten würde: die abſolute Widerruflichkeit. Gewährt ſie dem Teſtator die Macht über das Stück der Zukunft, das er ſelbſt noch erlebt, ſo verſchafft die Bedingung und der dies ihm die Macht über die Zeit nach ſeinem Tode. In welche Gränzen letztere eingeſchloſſen iſt, hat für den vorliegenden Zweck kein Intereſſe. Aus dem Zuſtand der Pendenz, in welchem das Teſtament im Ganzen ſowohl wie alle ſeine einzelnen Beſtimmungen ſich bis zu ihrer Realiſirung befinden, folgt in gleicher Weiſe wie bei der Obligation, daß diejenigen Requiſite, welche ſich nicht mit dem Akt der Teſtamentserrichtung erſchöpfen, (Fähigkeit der zugezo- genen Zeugen und factiſches Willensvermögen des Teſtators Note 53,) ſondern in dauernder Beziehung zu dem Zweck des Teſtaments ſtehen, (testamenti factio des Teſtators und der ein- geſetzten Perſonen,) auch nachher fortdauern müſſen. Und zwar die des Teſtators unausgeſetzt bis zu ſeinem Tode, denn das Teſta- ment repräſentirt nicht einen Willensakt von ihm, ſondern ein fortdauerndes Wollen, dieſes Wollen aber hört auf, nicht bloß wenn dies in der gehörigen Form erklärt wird, ſondern auch wenn der Teſtator die Fähigkeit rechtlich zu wollen (testamenti factio) einbüßt. 217) Etwas anders wird die testamenti factio der honorirten Perſonen beſtimmt, eben weil ihre Stellung zum Teſtament eine andere iſt. Sie wird nämlich zuerſt verlangt in dem Moment, wo der Teſtator in Beziehung zu ihnen tritt, in dem der Teſtamentserrichtung. Von da an aber hört ihre Be- ziehung zum Teſtament bis zum Moment der Delation auf, und folgeweiſe iſt der Beſitz oder Mangel der testamenti factio wäh- rend dieſer Zeit unſchädlich. 218) Von der Delation an aber muß ſie natürlich bis zum Moment der Acquiſition fortdauern. 219) 217) §. 4. 6 I. quib. mod. (2. 17) L. 6 §. 5 de inj. (28. 3). 218) L. 59 §. 4 de her. inst. (28. 5) §. 4 I. de her. qual. (2. 19) L. 52 de leg. II. (31). 219) §. 4 I. cit.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/178>, abgerufen am 27.04.2024.