Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

A. Der Proceß. Vertheidigung -- Klage mit Vorbehalt. §. 52.
sind dies die beiden Klagen des argentarius 85) und des honorum
emtor;
jener wird gezwungen, wie Gajus sich ausdrückt,
(cogitur) cum compensatione agere, dieser (jubetur) cum
deductione agere
. 86) Das Unterscheidende dieser beiden Fälle
ist für uns hier ohne Werth und findet sich bei Gajus klar aus-
einander gesetzt, dagegen ist das, worin sie übereinstimmen, näm-
lich die Art, wie sie es erreichen, daß die Gegenforderung des
Beklagten zu ihrem Recht gelangt, von um so höherm Interesse
für uns. Es geschieht dies in derselben Weise, wie in unsern
obigen Beispielen der Dos und des Pekuliums, nämlich durch
Subtraction, nur daß letztere, die dort processualisch nicht
als solche sichtbar, sondern nur in ihrer Wirkung fühlbar ward,
hier in der Klagformel offen zu Tage tritt. Der Kläger fordert
in derselben nämlich: "so viel, als ihm nach Abzug der Gegen-
forderung des Beklagten zukommt". Der Argentarius aber muß
dabei die Gegenforderung und sein Saldo bis auf Heller und
Pfennig genau angeben; versieht er sich darin, so verliert er den
ganzen Proceß. Von ihm kann man mit Fug und Recht die ex-
acteste Genauigkeit verlangen, denn Buch- und Rechnung-führen
ist ja sein Geschäft, und dafür wird er bezahlt. In dem andern
Fall hingegen ist der Kläger in den meisten Fällen gar nicht in der
Lage, den Betrag der Gegenforderung zu kennen, und darum wird
ihm auch die Angabe desselben gar nicht zugemuthet, die Ermitt-
lung und Feststellung desselben vielmehr dem Processe überlassen.
Hier wie dort erstreckt sich die processualische Verhandlung auch
auf die Gegenforderung, allein nur in ihrer Eigenschaft als ein
die Höhe der klägerischen Forderung bestimmendes Moment. 87)

85) Sie ist oben S. 43 bereits erwähnt.
86) Wie die Compensation des spätern Rechts an diese Form anknüpft
(Paulus S. R. II. 5 §. 3 .. compensare ac deducere debes, L. 4 L. 18
§. 1 L. 21 de comp.
16. 2) gehört nicht mehr hierher. Die zweite Klage ist
zwar prätorischen Ursprungs, allein ihr Zuschnitt ist ganz im Geist des ältern
Processes.
87) Wie L. 21 de comp. (16. 2) sich ausdrückt: ab initio minus ab eo
petitur
.

A. Der Proceß. Vertheidigung — Klage mit Vorbehalt. §. 52.
ſind dies die beiden Klagen des argentarius 85) und des honorum
emtor;
jener wird gezwungen, wie Gajus ſich ausdrückt,
(cogitur) cum compensatione agere, dieſer (jubetur) cum
deductione agere
. 86) Das Unterſcheidende dieſer beiden Fälle
iſt für uns hier ohne Werth und findet ſich bei Gajus klar aus-
einander geſetzt, dagegen iſt das, worin ſie übereinſtimmen, näm-
lich die Art, wie ſie es erreichen, daß die Gegenforderung des
Beklagten zu ihrem Recht gelangt, von um ſo höherm Intereſſe
für uns. Es geſchieht dies in derſelben Weiſe, wie in unſern
obigen Beiſpielen der Dos und des Pekuliums, nämlich durch
Subtraction, nur daß letztere, die dort proceſſualiſch nicht
als ſolche ſichtbar, ſondern nur in ihrer Wirkung fühlbar ward,
hier in der Klagformel offen zu Tage tritt. Der Kläger fordert
in derſelben nämlich: „ſo viel, als ihm nach Abzug der Gegen-
forderung des Beklagten zukommt“. Der Argentarius aber muß
dabei die Gegenforderung und ſein Saldo bis auf Heller und
Pfennig genau angeben; verſieht er ſich darin, ſo verliert er den
ganzen Proceß. Von ihm kann man mit Fug und Recht die ex-
acteſte Genauigkeit verlangen, denn Buch- und Rechnung-führen
iſt ja ſein Geſchäft, und dafür wird er bezahlt. In dem andern
Fall hingegen iſt der Kläger in den meiſten Fällen gar nicht in der
Lage, den Betrag der Gegenforderung zu kennen, und darum wird
ihm auch die Angabe deſſelben gar nicht zugemuthet, die Ermitt-
lung und Feſtſtellung deſſelben vielmehr dem Proceſſe überlaſſen.
Hier wie dort erſtreckt ſich die proceſſualiſche Verhandlung auch
auf die Gegenforderung, allein nur in ihrer Eigenſchaft als ein
die Höhe der klägeriſchen Forderung beſtimmendes Moment. 87)

85) Sie iſt oben S. 43 bereits erwähnt.
86) Wie die Compenſation des ſpätern Rechts an dieſe Form anknüpft
(Paulus S. R. II. 5 §. 3 .. compensare ac deducere debes, L. 4 L. 18
§. 1 L. 21 de comp.
16. 2) gehört nicht mehr hierher. Die zweite Klage iſt
zwar prätoriſchen Urſprungs, allein ihr Zuſchnitt iſt ganz im Geiſt des ältern
Proceſſes.
87) Wie L. 21 de comp. (16. 2) ſich ausdrückt: ab initio minus ab eo
petitur
.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <div n="11">
                            <div n="12">
                              <p><pb facs="#f0095" n="79"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Der Proceß. Vertheidigung &#x2014; Klage mit Vorbehalt. §. 52.</fw><lb/>
&#x017F;ind dies die beiden Klagen des <hi rendition="#aq">argentarius</hi> <note place="foot" n="85)">Sie i&#x017F;t oben S. 43 bereits erwähnt.</note> und des <hi rendition="#aq">honorum<lb/>
emtor;</hi> jener wird <hi rendition="#g">gezwungen</hi>, wie Gajus &#x017F;ich ausdrückt,<lb/><hi rendition="#aq">(<hi rendition="#g">cogitur</hi>) cum compensatione agere,</hi> die&#x017F;er <hi rendition="#aq">(<hi rendition="#g">jubetur</hi>) cum<lb/>
deductione agere</hi>. <note place="foot" n="86)">Wie die Compen&#x017F;ation des &#x017F;pätern Rechts an die&#x017F;e Form anknüpft<lb/>
(<hi rendition="#aq">Paulus S. R. II. 5 §. 3 .. compensare ac deducere debes, L. 4 L. 18<lb/>
§. 1 L. 21 de comp.</hi> 16. 2) gehört nicht mehr hierher. Die zweite Klage i&#x017F;t<lb/>
zwar prätori&#x017F;chen Ur&#x017F;prungs, allein ihr Zu&#x017F;chnitt i&#x017F;t ganz im Gei&#x017F;t des ältern<lb/>
Proce&#x017F;&#x017F;es.</note> Das Unter&#x017F;cheidende die&#x017F;er beiden Fälle<lb/>
i&#x017F;t für uns hier ohne Werth und findet &#x017F;ich bei Gajus klar aus-<lb/>
einander ge&#x017F;etzt, dagegen i&#x017F;t das, worin &#x017F;ie überein&#x017F;timmen, näm-<lb/>
lich die Art, wie &#x017F;ie es erreichen, daß die Gegenforderung des<lb/>
Beklagten zu ihrem Recht gelangt, von um &#x017F;o höherm Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
für uns. Es ge&#x017F;chieht dies in der&#x017F;elben Wei&#x017F;e, wie in un&#x017F;ern<lb/>
obigen Bei&#x017F;pielen der Dos und des Pekuliums, nämlich durch<lb/><hi rendition="#g">Subtraction</hi>, nur daß letztere, die dort proce&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;ch nicht<lb/>
als &#x017F;olche &#x017F;ichtbar, &#x017F;ondern nur in ihrer <hi rendition="#g">Wirkung</hi> fühlbar ward,<lb/>
hier in der Klagformel offen zu Tage tritt. Der Kläger fordert<lb/>
in der&#x017F;elben nämlich: &#x201E;&#x017F;o viel, als ihm nach Abzug der Gegen-<lb/>
forderung des Beklagten zukommt&#x201C;. Der Argentarius aber muß<lb/>
dabei die Gegenforderung und &#x017F;ein Saldo bis auf Heller und<lb/>
Pfennig genau angeben; ver&#x017F;ieht er &#x017F;ich darin, &#x017F;o verliert er den<lb/>
ganzen Proceß. Von ihm kann man mit Fug und Recht die ex-<lb/>
acte&#x017F;te Genauigkeit verlangen, denn Buch- und Rechnung-führen<lb/>
i&#x017F;t ja &#x017F;ein Ge&#x017F;chäft, und dafür wird er bezahlt. In dem andern<lb/>
Fall hingegen i&#x017F;t der Kläger in den mei&#x017F;ten Fällen gar nicht in der<lb/>
Lage, den Betrag der Gegenforderung zu kennen, und darum wird<lb/><hi rendition="#g">ihm</hi> auch die Angabe de&#x017F;&#x017F;elben gar nicht zugemuthet, die Ermitt-<lb/>
lung und Fe&#x017F;t&#x017F;tellung de&#x017F;&#x017F;elben vielmehr dem Proce&#x017F;&#x017F;e überla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Hier wie dort er&#x017F;treckt &#x017F;ich die proce&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;che Verhandlung auch<lb/>
auf die Gegenforderung, allein nur in ihrer Eigen&#x017F;chaft als ein<lb/>
die <hi rendition="#g">Höhe</hi> der klägeri&#x017F;chen Forderung be&#x017F;timmendes Moment. <note place="foot" n="87)">Wie <hi rendition="#aq">L. 21 de comp. (16. 2)</hi> &#x017F;ich ausdrückt: <hi rendition="#aq">ab initio minus ab eo<lb/>
petitur</hi>.</note></p><lb/>
                            </div>
                          </div>
                        </div>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0095] A. Der Proceß. Vertheidigung — Klage mit Vorbehalt. §. 52. ſind dies die beiden Klagen des argentarius 85) und des honorum emtor; jener wird gezwungen, wie Gajus ſich ausdrückt, (cogitur) cum compensatione agere, dieſer (jubetur) cum deductione agere. 86) Das Unterſcheidende dieſer beiden Fälle iſt für uns hier ohne Werth und findet ſich bei Gajus klar aus- einander geſetzt, dagegen iſt das, worin ſie übereinſtimmen, näm- lich die Art, wie ſie es erreichen, daß die Gegenforderung des Beklagten zu ihrem Recht gelangt, von um ſo höherm Intereſſe für uns. Es geſchieht dies in derſelben Weiſe, wie in unſern obigen Beiſpielen der Dos und des Pekuliums, nämlich durch Subtraction, nur daß letztere, die dort proceſſualiſch nicht als ſolche ſichtbar, ſondern nur in ihrer Wirkung fühlbar ward, hier in der Klagformel offen zu Tage tritt. Der Kläger fordert in derſelben nämlich: „ſo viel, als ihm nach Abzug der Gegen- forderung des Beklagten zukommt“. Der Argentarius aber muß dabei die Gegenforderung und ſein Saldo bis auf Heller und Pfennig genau angeben; verſieht er ſich darin, ſo verliert er den ganzen Proceß. Von ihm kann man mit Fug und Recht die ex- acteſte Genauigkeit verlangen, denn Buch- und Rechnung-führen iſt ja ſein Geſchäft, und dafür wird er bezahlt. In dem andern Fall hingegen iſt der Kläger in den meiſten Fällen gar nicht in der Lage, den Betrag der Gegenforderung zu kennen, und darum wird ihm auch die Angabe deſſelben gar nicht zugemuthet, die Ermitt- lung und Feſtſtellung deſſelben vielmehr dem Proceſſe überlaſſen. Hier wie dort erſtreckt ſich die proceſſualiſche Verhandlung auch auf die Gegenforderung, allein nur in ihrer Eigenſchaft als ein die Höhe der klägeriſchen Forderung beſtimmendes Moment. 87) 85) Sie iſt oben S. 43 bereits erwähnt. 86) Wie die Compenſation des ſpätern Rechts an dieſe Form anknüpft (Paulus S. R. II. 5 §. 3 .. compensare ac deducere debes, L. 4 L. 18 §. 1 L. 21 de comp. 16. 2) gehört nicht mehr hierher. Die zweite Klage iſt zwar prätoriſchen Urſprungs, allein ihr Zuſchnitt iſt ganz im Geiſt des ältern Proceſſes. 87) Wie L. 21 de comp. (16. 2) ſich ausdrückt: ab initio minus ab eo petitur.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/95
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/95>, abgerufen am 28.04.2024.