Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

ruhig sind, und sich also zur Reise anschicken können. Seyn
Sie getrost und sehen Sie zu, was Gott thun wird.

Stilling folgte und fing an, des Freitags Morgens Ab-
schied zu nehmen; der Erste, zu welchem er ging, war ein
reicher Kaufmann; so wie er zur Thür hineintrat, kam ihm
dieser entgegen, und sagte: Herr Doktor! ich weiß, Sie kom-
men Abschied zu nehmen, ich habe Sie nie verkannt, Sie
waren immer ein rechtschaffener Mann, als Arzt konnte ich
Sie nicht brauchen, denn ich war mit dem meinigen zufrie-
den; Gott hat mich auch aus dem Staub erhoben und zum
Mann gemacht, ich erkenne, was ich ihm schuldig bin; ha-
ben Sie die Güte, diese Erkenntlichkeit in seinem Namen an-
zunehmen, beschämen Sie mich nicht mit einem Abschlag,
und versündigen Sie sich nicht durch Stolz. Damit umarmte
und küßte er ihn, und steckte ihm ein Röllchen von zwanzig
Dukaten, folglich hundert Gulden in die Hand. Stilling
erstarrte, und der edle Wohlthäter lief fort. Erstaunen ergriff
ihn bei dem Schopf, wie jener Engel den Habakuk, er
wurde wie empor gehoben von hoher Freude, und ging weiter.

Doch, was halte ich meine Leser auf? -- mit größter
Schonung und Bescheidenheit wurden ihm Erkenntlichkeiten
aufgedrungen; und wie er des Abends fertig war,
und nach Hause kam -- und nachzählte -- was
hatte er? -- genau achthundert Gulden: -- nichts
mehr und nichts weniger
.

Solche erhabene Scenen werden durch Beschreibung und
durch die glänzendsten Ausdrücke nur geschwächt -- ich schweige
-- und bete an! Gott wird Euch finden, ihr geheimen Schö-
nenthaler Freunde! ich will Euch am Tage der Vergeltung
hervorziehen und sagen: Siehe Herr, die warens, die mich
Verlassenen erretteten, lohne ihnen nach deinen großen Ver-
heißungen überschwenglich; und Er wirds thun. Dir aber,
auserwählter und unwandelbarer Freund Troost! Dir sage
ich nichts. -- Wenn wir einmal Hand in Hand die Gefilde
jener Welt durchwallen, dann läßt sich von der Sache reden.

Ich habe bisher hin und wieder den Charakter der Schö-
nenthaler nicht zum besten geschildert, und es ist leicht mög-

ruhig ſind, und ſich alſo zur Reiſe anſchicken koͤnnen. Seyn
Sie getroſt und ſehen Sie zu, was Gott thun wird.

Stilling folgte und fing an, des Freitags Morgens Ab-
ſchied zu nehmen; der Erſte, zu welchem er ging, war ein
reicher Kaufmann; ſo wie er zur Thuͤr hineintrat, kam ihm
dieſer entgegen, und ſagte: Herr Doktor! ich weiß, Sie kom-
men Abſchied zu nehmen, ich habe Sie nie verkannt, Sie
waren immer ein rechtſchaffener Mann, als Arzt konnte ich
Sie nicht brauchen, denn ich war mit dem meinigen zufrie-
den; Gott hat mich auch aus dem Staub erhoben und zum
Mann gemacht, ich erkenne, was ich ihm ſchuldig bin; ha-
ben Sie die Guͤte, dieſe Erkenntlichkeit in ſeinem Namen an-
zunehmen, beſchaͤmen Sie mich nicht mit einem Abſchlag,
und verſuͤndigen Sie ſich nicht durch Stolz. Damit umarmte
und kuͤßte er ihn, und ſteckte ihm ein Roͤllchen von zwanzig
Dukaten, folglich hundert Gulden in die Hand. Stilling
erſtarrte, und der edle Wohlthaͤter lief fort. Erſtaunen ergriff
ihn bei dem Schopf, wie jener Engel den Habakuk, er
wurde wie empor gehoben von hoher Freude, und ging weiter.

Doch, was halte ich meine Leſer auf? — mit groͤßter
Schonung und Beſcheidenheit wurden ihm Erkenntlichkeiten
aufgedrungen; und wie er des Abends fertig war,
und nach Hauſe kam — und nachzaͤhlte — was
hatte er? — genau achthundert Gulden: — nichts
mehr und nichts weniger
.

Solche erhabene Scenen werden durch Beſchreibung und
durch die glaͤnzendſten Ausdruͤcke nur geſchwaͤcht — ich ſchweige
— und bete an! Gott wird Euch finden, ihr geheimen Schoͤ-
nenthaler Freunde! ich will Euch am Tage der Vergeltung
hervorziehen und ſagen: Siehe Herr, die warens, die mich
Verlaſſenen erretteten, lohne ihnen nach deinen großen Ver-
heißungen uͤberſchwenglich; und Er wirds thun. Dir aber,
auserwaͤhlter und unwandelbarer Freund Trooſt! Dir ſage
ich nichts. — Wenn wir einmal Hand in Hand die Gefilde
jener Welt durchwallen, dann laͤßt ſich von der Sache reden.

Ich habe bisher hin und wieder den Charakter der Schoͤ-
nenthaler nicht zum beſten geſchildert, und es iſt leicht moͤg-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0372" n="364"/>
ruhig &#x017F;ind, und &#x017F;ich al&#x017F;o zur Rei&#x017F;e an&#x017F;chicken ko&#x0364;nnen. Seyn<lb/>
Sie getro&#x017F;t und &#x017F;ehen Sie zu, was Gott thun wird.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> folgte und fing an, des Freitags Morgens Ab-<lb/>
&#x017F;chied zu nehmen; der Er&#x017F;te, zu welchem er ging, war ein<lb/>
reicher Kaufmann; &#x017F;o wie er zur Thu&#x0364;r hineintrat, kam ihm<lb/>
die&#x017F;er entgegen, und &#x017F;agte: Herr Doktor! ich weiß, Sie kom-<lb/>
men Ab&#x017F;chied zu nehmen, ich habe Sie nie verkannt, Sie<lb/>
waren immer ein recht&#x017F;chaffener Mann, als Arzt konnte ich<lb/>
Sie nicht brauchen, denn ich war mit dem meinigen zufrie-<lb/>
den; Gott hat mich auch aus dem Staub erhoben und zum<lb/>
Mann gemacht, ich erkenne, was ich ihm &#x017F;chuldig bin; ha-<lb/>
ben Sie die Gu&#x0364;te, die&#x017F;e Erkenntlichkeit in &#x017F;einem Namen an-<lb/>
zunehmen, be&#x017F;cha&#x0364;men Sie mich nicht mit einem Ab&#x017F;chlag,<lb/>
und ver&#x017F;u&#x0364;ndigen Sie &#x017F;ich nicht durch Stolz. Damit umarmte<lb/>
und ku&#x0364;ßte er ihn, und &#x017F;teckte ihm ein Ro&#x0364;llchen von zwanzig<lb/>
Dukaten, folglich hundert Gulden in die Hand. <hi rendition="#g">Stilling</hi><lb/>
er&#x017F;tarrte, und der edle Wohltha&#x0364;ter lief fort. Er&#x017F;taunen ergriff<lb/>
ihn bei dem Schopf, wie jener Engel den <hi rendition="#g">Habakuk</hi>, er<lb/>
wurde wie empor gehoben von hoher Freude, und ging weiter.</p><lb/>
            <p>Doch, was halte ich meine Le&#x017F;er auf? &#x2014; mit gro&#x0364;ßter<lb/>
Schonung und Be&#x017F;cheidenheit wurden ihm Erkenntlichkeiten<lb/>
aufgedrungen; <hi rendition="#g">und wie er des Abends fertig war,<lb/>
und nach Hau&#x017F;e kam &#x2014; und nachza&#x0364;hlte &#x2014; was<lb/>
hatte er? &#x2014; genau achthundert Gulden: &#x2014; nichts<lb/>
mehr und nichts weniger</hi>.</p><lb/>
            <p>Solche erhabene Scenen werden durch Be&#x017F;chreibung und<lb/>
durch die gla&#x0364;nzend&#x017F;ten Ausdru&#x0364;cke nur ge&#x017F;chwa&#x0364;cht &#x2014; ich &#x017F;chweige<lb/>
&#x2014; und bete an! Gott wird Euch finden, ihr geheimen Scho&#x0364;-<lb/>
nenthaler Freunde! ich will Euch am Tage der Vergeltung<lb/>
hervorziehen und &#x017F;agen: Siehe Herr, die warens, die mich<lb/>
Verla&#x017F;&#x017F;enen erretteten, lohne ihnen nach deinen großen Ver-<lb/>
heißungen u&#x0364;ber&#x017F;chwenglich; und Er wirds thun. Dir aber,<lb/>
auserwa&#x0364;hlter und unwandelbarer Freund <hi rendition="#g">Troo&#x017F;t</hi>! Dir &#x017F;age<lb/>
ich nichts. &#x2014; Wenn wir einmal Hand in Hand die Gefilde<lb/>
jener Welt durchwallen, dann la&#x0364;ßt &#x017F;ich von der Sache reden.</p><lb/>
            <p>Ich habe bisher hin und wieder den Charakter der Scho&#x0364;-<lb/>
nenthaler nicht zum be&#x017F;ten ge&#x017F;childert, und es i&#x017F;t leicht mo&#x0364;g-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0372] ruhig ſind, und ſich alſo zur Reiſe anſchicken koͤnnen. Seyn Sie getroſt und ſehen Sie zu, was Gott thun wird. Stilling folgte und fing an, des Freitags Morgens Ab- ſchied zu nehmen; der Erſte, zu welchem er ging, war ein reicher Kaufmann; ſo wie er zur Thuͤr hineintrat, kam ihm dieſer entgegen, und ſagte: Herr Doktor! ich weiß, Sie kom- men Abſchied zu nehmen, ich habe Sie nie verkannt, Sie waren immer ein rechtſchaffener Mann, als Arzt konnte ich Sie nicht brauchen, denn ich war mit dem meinigen zufrie- den; Gott hat mich auch aus dem Staub erhoben und zum Mann gemacht, ich erkenne, was ich ihm ſchuldig bin; ha- ben Sie die Guͤte, dieſe Erkenntlichkeit in ſeinem Namen an- zunehmen, beſchaͤmen Sie mich nicht mit einem Abſchlag, und verſuͤndigen Sie ſich nicht durch Stolz. Damit umarmte und kuͤßte er ihn, und ſteckte ihm ein Roͤllchen von zwanzig Dukaten, folglich hundert Gulden in die Hand. Stilling erſtarrte, und der edle Wohlthaͤter lief fort. Erſtaunen ergriff ihn bei dem Schopf, wie jener Engel den Habakuk, er wurde wie empor gehoben von hoher Freude, und ging weiter. Doch, was halte ich meine Leſer auf? — mit groͤßter Schonung und Beſcheidenheit wurden ihm Erkenntlichkeiten aufgedrungen; und wie er des Abends fertig war, und nach Hauſe kam — und nachzaͤhlte — was hatte er? — genau achthundert Gulden: — nichts mehr und nichts weniger. Solche erhabene Scenen werden durch Beſchreibung und durch die glaͤnzendſten Ausdruͤcke nur geſchwaͤcht — ich ſchweige — und bete an! Gott wird Euch finden, ihr geheimen Schoͤ- nenthaler Freunde! ich will Euch am Tage der Vergeltung hervorziehen und ſagen: Siehe Herr, die warens, die mich Verlaſſenen erretteten, lohne ihnen nach deinen großen Ver- heißungen uͤberſchwenglich; und Er wirds thun. Dir aber, auserwaͤhlter und unwandelbarer Freund Trooſt! Dir ſage ich nichts. — Wenn wir einmal Hand in Hand die Gefilde jener Welt durchwallen, dann laͤßt ſich von der Sache reden. Ich habe bisher hin und wieder den Charakter der Schoͤ- nenthaler nicht zum beſten geſchildert, und es iſt leicht moͤg-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/372
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/372>, abgerufen am 16.06.2024.