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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
pastosen Farbenschönheit und Heiterkeit, das Bestreben zu er-
kennen, den Extravaganzen des Meisters so weit als möglich
auszuweichen. In ihnen fühlt man sich von der dünnen klaren
Luft Toledo's umweht, die scharf abgegrenzte Formen schafft.
Er liebt die gesunden, kraftvollen Gestalten und Köpfe der Ge-
birge, die er in malerische Stellungen und Ansichten versetzt
und mit dem Phlegma des Stilllebenmalers in ritterlichen und
Volks-Trachten auf die Leinwand bringt. Seine Maria ist eine
frische, stumpfnasige Blondine, mit der Milch- und Rosenfarbe
eines Landmädchens. Die reichen afrikanischen, flandrischen
und castilischen Costümstücke geben diesen Bildern den Lokalton
des in seiner Bauphysiognomie noch heute halbmaurischen To-
ledo. Sehr merkwürdig ist das wie es scheint ganz unabhängige
Zusammentreffen im Gesammteindruck mit Caravaggio, aber in
dessen erster guter, heller Manier; kaum je ist dem Lombar-
den einer so nahe gekommen, wie dieser spanische Dominikaner,
bis auf die Liebe zu gelben Stoffen und die superben, gepanzerten
Soldatenfiguren in der Wache am Grabe. Martinez nennt ihn
natürlich dessen Schüler.

Einige Spuren lehren ihn dann auch als ausgezeichneten
Bildnissmaler kennen. In der Galerie D. Sebastians sah man
einen röthlich blonden Mann in Halskrause, den man ohne die
Unterschrift als Arbeit eines Holländers angesprochen hätte.
Das Bildniss eines Juristen, Diego Narbona, gestochen nach seiner
Zeichnung von Maria Eugenia de Beer, sieht wie ein Velazquez
aus1).

Mehr als von Maino wird von Luis Tristan (geb. um 1586
+ 1640) gesprochen, den Theotokopuli selbst für seinen besten
Schüler gehalten haben soll; obwol er, wie die Seltenheit seiner
Werke beweist, "vom Glück nicht nach Verdienst belohnt wurde"
(Martinez, 185). Von dem Lehrer ist indess weiter keine Spur
in ihm zu entdecken, als die etwas schlanken Proportionen, mit
breiter Brust und kleinem Kopf, und die starke Muskulatur
einiger Nuditäten. Die von seinem Kunstcharakter in den
Büchern cursirende Vorstellung ist vollkommen erträumt; statt
seine etwas abgelegenen, beglaubigten Werke aufzusuchen (nur
Stirling hat ihn einer Reise nach Yepes für werth gehalten), hat
man seine Charakteristik auf Schlüsse gebaut, gezogen aus dem

1) Frai Jua Bapta maino, f, Galerie des Infanten D. Sebastian, in Pau
Nr. 674. Von dem seltenen Stich der holländischen Künstlerin ist ein Exemplar
in der Nationalbibliothek.

Erstes Buch.
pastosen Farbenschönheit und Heiterkeit, das Bestreben zu er-
kennen, den Extravaganzen des Meisters so weit als möglich
auszuweichen. In ihnen fühlt man sich von der dünnen klaren
Luft Toledo’s umweht, die scharf abgegrenzte Formen schafft.
Er liebt die gesunden, kraftvollen Gestalten und Köpfe der Ge-
birge, die er in malerische Stellungen und Ansichten versetzt
und mit dem Phlegma des Stilllebenmalers in ritterlichen und
Volks-Trachten auf die Leinwand bringt. Seine Maria ist eine
frische, stumpfnasige Blondine, mit der Milch- und Rosenfarbe
eines Landmädchens. Die reichen afrikanischen, flandrischen
und castilischen Costümstücke geben diesen Bildern den Lokalton
des in seiner Bauphysiognomie noch heute halbmaurischen To-
ledo. Sehr merkwürdig ist das wie es scheint ganz unabhängige
Zusammentreffen im Gesammteindruck mit Caravaggio, aber in
dessen erster guter, heller Manier; kaum je ist dem Lombar-
den einer so nahe gekommen, wie dieser spanische Dominikaner,
bis auf die Liebe zu gelben Stoffen und die superben, gepanzerten
Soldatenfiguren in der Wache am Grabe. Martinez nennt ihn
natürlich dessen Schüler.

Einige Spuren lehren ihn dann auch als ausgezeichneten
Bildnissmaler kennen. In der Galerie D. Sebastians sah man
einen röthlich blonden Mann in Halskrause, den man ohne die
Unterschrift als Arbeit eines Holländers angesprochen hätte.
Das Bildniss eines Juristen, Diego Narbona, gestochen nach seiner
Zeichnung von Maria Eugenia de Beer, sieht wie ein Velazquez
aus1).

Mehr als von Maino wird von Luis Tristan (geb. um 1586
† 1640) gesprochen, den Theotokopuli selbst für seinen besten
Schüler gehalten haben soll; obwol er, wie die Seltenheit seiner
Werke beweist, „vom Glück nicht nach Verdienst belohnt wurde“
(Martinez, 185). Von dem Lehrer ist indess weiter keine Spur
in ihm zu entdecken, als die etwas schlanken Proportionen, mit
breiter Brust und kleinem Kopf, und die starke Muskulatur
einiger Nuditäten. Die von seinem Kunstcharakter in den
Büchern cursirende Vorstellung ist vollkommen erträumt; statt
seine etwas abgelegenen, beglaubigten Werke aufzusuchen (nur
Stirling hat ihn einer Reise nach Yepes für werth gehalten), hat
man seine Charakteristik auf Schlüsse gebaut, gezogen aus dem

1) Frai Juã Bapta maino, f, Galerie des Infanten D. Sebastian, in Pau
Nr. 674. Von dem seltenen Stich der holländischen Künstlerin ist ein Exemplar
in der Nationalbibliothek.
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[82/0102] Erstes Buch. pastosen Farbenschönheit und Heiterkeit, das Bestreben zu er- kennen, den Extravaganzen des Meisters so weit als möglich auszuweichen. In ihnen fühlt man sich von der dünnen klaren Luft Toledo’s umweht, die scharf abgegrenzte Formen schafft. Er liebt die gesunden, kraftvollen Gestalten und Köpfe der Ge- birge, die er in malerische Stellungen und Ansichten versetzt und mit dem Phlegma des Stilllebenmalers in ritterlichen und Volks-Trachten auf die Leinwand bringt. Seine Maria ist eine frische, stumpfnasige Blondine, mit der Milch- und Rosenfarbe eines Landmädchens. Die reichen afrikanischen, flandrischen und castilischen Costümstücke geben diesen Bildern den Lokalton des in seiner Bauphysiognomie noch heute halbmaurischen To- ledo. Sehr merkwürdig ist das wie es scheint ganz unabhängige Zusammentreffen im Gesammteindruck mit Caravaggio, aber in dessen erster guter, heller Manier; kaum je ist dem Lombar- den einer so nahe gekommen, wie dieser spanische Dominikaner, bis auf die Liebe zu gelben Stoffen und die superben, gepanzerten Soldatenfiguren in der Wache am Grabe. Martinez nennt ihn natürlich dessen Schüler. Einige Spuren lehren ihn dann auch als ausgezeichneten Bildnissmaler kennen. In der Galerie D. Sebastians sah man einen röthlich blonden Mann in Halskrause, den man ohne die Unterschrift als Arbeit eines Holländers angesprochen hätte. Das Bildniss eines Juristen, Diego Narbona, gestochen nach seiner Zeichnung von Maria Eugenia de Beer, sieht wie ein Velazquez aus 1). Mehr als von Maino wird von Luis Tristan (geb. um 1586 † 1640) gesprochen, den Theotokopuli selbst für seinen besten Schüler gehalten haben soll; obwol er, wie die Seltenheit seiner Werke beweist, „vom Glück nicht nach Verdienst belohnt wurde“ (Martinez, 185). Von dem Lehrer ist indess weiter keine Spur in ihm zu entdecken, als die etwas schlanken Proportionen, mit breiter Brust und kleinem Kopf, und die starke Muskulatur einiger Nuditäten. Die von seinem Kunstcharakter in den Büchern cursirende Vorstellung ist vollkommen erträumt; statt seine etwas abgelegenen, beglaubigten Werke aufzusuchen (nur Stirling hat ihn einer Reise nach Yepes für werth gehalten), hat man seine Charakteristik auf Schlüsse gebaut, gezogen aus dem 1) Frai Juã Bapta maino, f, Galerie des Infanten D. Sebastian, in Pau Nr. 674. Von dem seltenen Stich der holländischen Künstlerin ist ein Exemplar in der Nationalbibliothek.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/102>, abgerufen am 27.04.2024.