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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
gefertigten Depeschen zu lesen, ihm allein stünden Wahl und Ent-
scheid zu; Ehren und Gnadengeschenke habe er allein und un-
mittelbar zu vergeben, und an die es verdienten. Man staunte
über seinen Fleiss in Geschäften; er setzte die Audienzstunde
viel früher, und hörte alle ohne Unterschied an, mit seltener Ge-
duld. "Es ist zu verwundern, schreibt Khevenhiller, wie S. M.
einsam und in allerlei kindischen intertenimenti unter den Wei-
bern auferzogen worden, dass Sie jetzt in den despachi so emsig
und fleissig, und in den Antworten de improviso so subtil und
richtig sein." Weniger enthusiastisch wurde es aufgenommen,
als er sich in kriegerischem Geiste aussprach. Er fragte ob
denn die Holländer keine Unterthanen? keine Rebellen? keine
Ketzer seien? -- Mit solchen aber sei an keinen Frieden zu den-
ken. Er werde sein eigenes Silber versetzen. Er wollte selbst mit
ins Feld. Als man ihm von der politischen Weisheit Philipp II
sprach, rief er: Ich will die Heiligkeit meines Vaters haben, die
Staatsklugheit meines Grossvaters, und den kriegerischen Geist
des Urgrossvaters! Eine Censorenjunta für Reform der öffent-
lichen Sitten wurde eingesetzt. Der Pater Florentia, der eine
Schrift über das Günstlingsregiment verfasst hatte, rief in einer
Predigt: "Spanien und die Welt sind erlöst". Und jener Oester-
reicher sagt: der junge König hat diese wenige Tage ganz
Spanien in eine neue Model gegossen. (Ann. Ferd. IX, 1265.)

Besonders in Sevilla mögen damals bei Vielen Hoffnungen
sich geregt haben. Der gentilhombre de camara des jungen
Königs, der Graf von Olivares, hatte früher in Sevilla gelebt,
wo schon sein Vater Alcaide des Alcazar gewesen war; er hatte
sein Haus zu einem Sammelpunkt der Dichter und Gelehrten
gemacht, ja selbst Verse verbrochen, die er jetzt verbrannte.
Unter denen die er ausgezeichnet, war jener Gevatter unsers
Malers, Francisco de Rioja. Als Olivares drei Jahre später
mit dem Könige wieder nach Andalusien kam, nahm er ihn mit
an den Hof, und seitdem hat ihm Rioja während seines langen
Ministeriums als ergebener Diener und rechte Hand für ernste
und heitere Geschäfte zur Seite gestanden; als Publicist gegen
die Aufständischen in Katalonien, wie als Preisrichter bei einem
poetischen Wettkampf in Buen Retiro (1637). Später ist er,
enttäuscht von Hof und Welt, nach Sevilla zurückgekehrt, "wo
das Klima menschlicher und heiterer ist", und in den geistlichen
Stand getreten; er wurde Racionero der Kathedrale und Inquisitor.
Bei der Nachwelt aber erweckt sein Name nur die Erinnerung

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gefertigten Depeschen zu lesen, ihm allein stünden Wahl und Ent-
scheid zu; Ehren und Gnadengeschenke habe er allein und un-
mittelbar zu vergeben, und an die es verdienten. Man staunte
über seinen Fleiss in Geschäften; er setzte die Audienzstunde
viel früher, und hörte alle ohne Unterschied an, mit seltener Ge-
duld. „Es ist zu verwundern, schreibt Khevenhiller, wie S. M.
einsam und in allerlei kindischen intertenimenti unter den Wei-
bern auferzogen worden, dass Sie jetzt in den despachi so emsig
und fleissig, und in den Antworten de improviso so subtil und
richtig sein.“ Weniger enthusiastisch wurde es aufgenommen,
als er sich in kriegerischem Geiste aussprach. Er fragte ob
denn die Holländer keine Unterthanen? keine Rebellen? keine
Ketzer seien? — Mit solchen aber sei an keinen Frieden zu den-
ken. Er werde sein eigenes Silber versetzen. Er wollte selbst mit
ins Feld. Als man ihm von der politischen Weisheit Philipp II
sprach, rief er: Ich will die Heiligkeit meines Vaters haben, die
Staatsklugheit meines Grossvaters, und den kriegerischen Geist
des Urgrossvaters! Eine Censorenjunta für Reform der öffent-
lichen Sitten wurde eingesetzt. Der Pater Florentia, der eine
Schrift über das Günstlingsregiment verfasst hatte, rief in einer
Predigt: „Spanien und die Welt sind erlöst“. Und jener Oester-
reicher sagt: der junge König hat diese wenige Tage ganz
Spanien in eine neue Model gegossen. (Ann. Ferd. IX, 1265.)

Besonders in Sevilla mögen damals bei Vielen Hoffnungen
sich geregt haben. Der gentilhombre de cámara des jungen
Königs, der Graf von Olivares, hatte früher in Sevilla gelebt,
wo schon sein Vater Alcaide des Alcazar gewesen war; er hatte
sein Haus zu einem Sammelpunkt der Dichter und Gelehrten
gemacht, ja selbst Verse verbrochen, die er jetzt verbrannte.
Unter denen die er ausgezeichnet, war jener Gevatter unsers
Malers, Francisco de Rioja. Als Olivares drei Jahre später
mit dem Könige wieder nach Andalusien kam, nahm er ihn mit
an den Hof, und seitdem hat ihm Rioja während seines langen
Ministeriums als ergebener Diener und rechte Hand für ernste
und heitere Geschäfte zur Seite gestanden; als Publicist gegen
die Aufständischen in Katalonien, wie als Preisrichter bei einem
poetischen Wettkampf in Buen Retiro (1637). Später ist er,
enttäuscht von Hof und Welt, nach Sevilla zurückgekehrt, „wo
das Klima menschlicher und heiterer ist“, und in den geistlichen
Stand getreten; er wurde Racionero der Kathedrale und Inquisitor.
Bei der Nachwelt aber erweckt sein Name nur die Erinnerung

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[160/0180] Zweites Buch. gefertigten Depeschen zu lesen, ihm allein stünden Wahl und Ent- scheid zu; Ehren und Gnadengeschenke habe er allein und un- mittelbar zu vergeben, und an die es verdienten. Man staunte über seinen Fleiss in Geschäften; er setzte die Audienzstunde viel früher, und hörte alle ohne Unterschied an, mit seltener Ge- duld. „Es ist zu verwundern, schreibt Khevenhiller, wie S. M. einsam und in allerlei kindischen intertenimenti unter den Wei- bern auferzogen worden, dass Sie jetzt in den despachi so emsig und fleissig, und in den Antworten de improviso so subtil und richtig sein.“ Weniger enthusiastisch wurde es aufgenommen, als er sich in kriegerischem Geiste aussprach. Er fragte ob denn die Holländer keine Unterthanen? keine Rebellen? keine Ketzer seien? — Mit solchen aber sei an keinen Frieden zu den- ken. Er werde sein eigenes Silber versetzen. Er wollte selbst mit ins Feld. Als man ihm von der politischen Weisheit Philipp II sprach, rief er: Ich will die Heiligkeit meines Vaters haben, die Staatsklugheit meines Grossvaters, und den kriegerischen Geist des Urgrossvaters! Eine Censorenjunta für Reform der öffent- lichen Sitten wurde eingesetzt. Der Pater Florentia, der eine Schrift über das Günstlingsregiment verfasst hatte, rief in einer Predigt: „Spanien und die Welt sind erlöst“. Und jener Oester- reicher sagt: der junge König hat diese wenige Tage ganz Spanien in eine neue Model gegossen. (Ann. Ferd. IX, 1265.) Besonders in Sevilla mögen damals bei Vielen Hoffnungen sich geregt haben. Der gentilhombre de cámara des jungen Königs, der Graf von Olivares, hatte früher in Sevilla gelebt, wo schon sein Vater Alcaide des Alcazar gewesen war; er hatte sein Haus zu einem Sammelpunkt der Dichter und Gelehrten gemacht, ja selbst Verse verbrochen, die er jetzt verbrannte. Unter denen die er ausgezeichnet, war jener Gevatter unsers Malers, Francisco de Rioja. Als Olivares drei Jahre später mit dem Könige wieder nach Andalusien kam, nahm er ihn mit an den Hof, und seitdem hat ihm Rioja während seines langen Ministeriums als ergebener Diener und rechte Hand für ernste und heitere Geschäfte zur Seite gestanden; als Publicist gegen die Aufständischen in Katalonien, wie als Preisrichter bei einem poetischen Wettkampf in Buen Retiro (1637). Später ist er, enttäuscht von Hof und Welt, nach Sevilla zurückgekehrt, „wo das Klima menschlicher und heiterer ist“, und in den geistlichen Stand getreten; er wurde Racionero der Kathedrale und Inquisitor. Bei der Nachwelt aber erweckt sein Name nur die Erinnerung

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/180>, abgerufen am 29.04.2024.