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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Philipp der Vierte.
ist der Blick des Herrschers, der Audienz giebt, der seine Va-
sallen so ansieht, dass er sie nie wieder vergisst, der dafür gilt,
dass er sie durchschaut und sich ihrer Vergangenheit erinnert,
der sie die Majestät empfinden lässt.

Ein auffälliger Unterschied liegt auch im Costüm. Nach
den Bildnissen der Zeit Philipp III fällt ihre Einfachheit auf.
Diese Einfachheit sollte die Signatur des neuen Regiments der
Reform und Oeconomie sein. Darin suchte man die Originalität,
welche jede neue Regierung sich im Gegensatz zu ihrer Vor-
gängerin geben muss. Der Hauptschlag traf das stolze Gebäude
der Spitzenkrausen (gorguera, lechuguilla), welche die "Prag-
matik" vom 11. Januar 1623 verbot. Sie machte der kurzen,
völlig glatten, gestärkten oder durch Drähte steif erhaltenen,
fast waagerechten golilla Platz, welche die Absagung der Eitel-
keit symbolisirte. Die Damen mussten sich zu der blaugestärk-
ten Tüllkrause bequemen. Denn "diese holländischen Kragen,
sagt Cespedes, hatten dem Land jährlich mehrere Millionen ge-
kostet: das Silber nahmen uns die Fremden ab, und liessen uns
dafür, wie Wilden, unsere schmähliche (torpe) Eitelkeit"1). Mit
den Tellerkrausen fielen die Mützen (gorra), die kurzen Mäntel,
die calzas atacadas (die am Gürtel angenestelten engen Knie-
hosen) und die langen Bärte, in diesem für die Annalen der
spanischen Schneiderkunst denkwürdigen Jahre 1623. Die Herren
des Hofes beklagten das Ende altspanischer Würde und Glan-
zes2). Um diese Luxusgesetze durchzusetzen, musste der König
selbst vorangehen. Er erschien plötzlich mit gesuchter Ein-
fachheit, wie derselbe Hofhistoriograph sagt, "nach dem Vorbild
seiner Ahnen" (d. h. der alten Könige von Castilien), "die sich
zur Schlichtheit (llaneza) bekannten, und entsagte dem kost-
spieligen Putz, der dem Elend des Vaterlandes die Thore geöffnet
hatte"3).


1) Goncalo de Cespedes, Historia de D. Felipe IIII. Barcelona 1634. p. 127
Reformacion de trages.
2) Io stesso ne ho sentito far gran lamento da un cavaliere che conchiudeva che
senza calze, gorre, e cappe sara bandita la gravita, lo splendore e'l decoro da pa-
lazzo. So schreibt der Bischof von Modena am 28. Mai 1622.
3) Gemälde des Königs mit dem alten Steinkragen sind nicht bekannt, wol
aber Münzen und Kupferstiche, z. B. in Vasconcellos' Königen von Portugal
(1621 von Corn. Galle), in Davila's Beschreibung von Madrid (1623), in einem
Blatt den König zu Pferd darstellend, mit dem Wahlspruch Una Fides. Bez.
Kieser exc. Dan: Meisn. Comm. Boh.

Philipp der Vierte.
ist der Blick des Herrschers, der Audienz giebt, der seine Va-
sallen so ansieht, dass er sie nie wieder vergisst, der dafür gilt,
dass er sie durchschaut und sich ihrer Vergangenheit erinnert,
der sie die Majestät empfinden lässt.

Ein auffälliger Unterschied liegt auch im Costüm. Nach
den Bildnissen der Zeit Philipp III fällt ihre Einfachheit auf.
Diese Einfachheit sollte die Signatur des neuen Regiments der
Reform und Oeconomie sein. Darin suchte man die Originalität,
welche jede neue Regierung sich im Gegensatz zu ihrer Vor-
gängerin geben muss. Der Hauptschlag traf das stolze Gebäude
der Spitzenkrausen (gorguera, lechuguilla), welche die „Prag-
matik“ vom 11. Januar 1623 verbot. Sie machte der kurzen,
völlig glatten, gestärkten oder durch Drähte steif erhaltenen,
fast waagerechten golilla Platz, welche die Absagung der Eitel-
keit symbolisirte. Die Damen mussten sich zu der blaugestärk-
ten Tüllkrause bequemen. Denn „diese holländischen Kragen,
sagt Céspedes, hatten dem Land jährlich mehrere Millionen ge-
kostet: das Silber nahmen uns die Fremden ab, und liessen uns
dafür, wie Wilden, unsere schmähliche (torpe) Eitelkeit“1). Mit
den Tellerkrausen fielen die Mützen (gorra), die kurzen Mäntel,
die calzas atacadas (die am Gürtel angenestelten engen Knie-
hosen) und die langen Bärte, in diesem für die Annalen der
spanischen Schneiderkunst denkwürdigen Jahre 1623. Die Herren
des Hofes beklagten das Ende altspanischer Würde und Glan-
zes2). Um diese Luxusgesetze durchzusetzen, musste der König
selbst vorangehen. Er erschien plötzlich mit gesuchter Ein-
fachheit, wie derselbe Hofhistoriograph sagt, „nach dem Vorbild
seiner Ahnen“ (d. h. der alten Könige von Castilien), „die sich
zur Schlichtheit (llaneza) bekannten, und entsagte dem kost-
spieligen Putz, der dem Elend des Vaterlandes die Thore geöffnet
hatte“3).


1) Gonçalo de Céspedes, Historia de D. Felipe IIII. Barcelona 1634. p. 127
Reformacion de trages.
2) Io stesso ne ho sentito far gran lamento da un cavaliere che conchiudeva che
senza calze, gorre, e cappe sarà bandita la gravità, lo splendore e’l decoro da pa-
lazzo. So schreibt der Bischof von Modena am 28. Mai 1622.
3) Gemälde des Königs mit dem alten Steinkragen sind nicht bekannt, wol
aber Münzen und Kupferstiche, z. B. in Vasconcellos’ Königen von Portugal
(1621 von Corn. Galle), in Davila’s Beschreibung von Madrid (1623), in einem
Blatt den König zu Pferd darstellend, mit dem Wahlspruch Una Fides. Bez.
Kieser exc. Dan: Meisn. Comm. Boh.
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[199/0221] Philipp der Vierte. ist der Blick des Herrschers, der Audienz giebt, der seine Va- sallen so ansieht, dass er sie nie wieder vergisst, der dafür gilt, dass er sie durchschaut und sich ihrer Vergangenheit erinnert, der sie die Majestät empfinden lässt. Ein auffälliger Unterschied liegt auch im Costüm. Nach den Bildnissen der Zeit Philipp III fällt ihre Einfachheit auf. Diese Einfachheit sollte die Signatur des neuen Regiments der Reform und Oeconomie sein. Darin suchte man die Originalität, welche jede neue Regierung sich im Gegensatz zu ihrer Vor- gängerin geben muss. Der Hauptschlag traf das stolze Gebäude der Spitzenkrausen (gorguera, lechuguilla), welche die „Prag- matik“ vom 11. Januar 1623 verbot. Sie machte der kurzen, völlig glatten, gestärkten oder durch Drähte steif erhaltenen, fast waagerechten golilla Platz, welche die Absagung der Eitel- keit symbolisirte. Die Damen mussten sich zu der blaugestärk- ten Tüllkrause bequemen. Denn „diese holländischen Kragen, sagt Céspedes, hatten dem Land jährlich mehrere Millionen ge- kostet: das Silber nahmen uns die Fremden ab, und liessen uns dafür, wie Wilden, unsere schmähliche (torpe) Eitelkeit“ 1). Mit den Tellerkrausen fielen die Mützen (gorra), die kurzen Mäntel, die calzas atacadas (die am Gürtel angenestelten engen Knie- hosen) und die langen Bärte, in diesem für die Annalen der spanischen Schneiderkunst denkwürdigen Jahre 1623. Die Herren des Hofes beklagten das Ende altspanischer Würde und Glan- zes 2). Um diese Luxusgesetze durchzusetzen, musste der König selbst vorangehen. Er erschien plötzlich mit gesuchter Ein- fachheit, wie derselbe Hofhistoriograph sagt, „nach dem Vorbild seiner Ahnen“ (d. h. der alten Könige von Castilien), „die sich zur Schlichtheit (llaneza) bekannten, und entsagte dem kost- spieligen Putz, der dem Elend des Vaterlandes die Thore geöffnet hatte“ 3). 1) Gonçalo de Céspedes, Historia de D. Felipe IIII. Barcelona 1634. p. 127 Reformacion de trages. 2) Io stesso ne ho sentito far gran lamento da un cavaliere che conchiudeva che senza calze, gorre, e cappe sarà bandita la gravità, lo splendore e’l decoro da pa- lazzo. So schreibt der Bischof von Modena am 28. Mai 1622. 3) Gemälde des Königs mit dem alten Steinkragen sind nicht bekannt, wol aber Münzen und Kupferstiche, z. B. in Vasconcellos’ Königen von Portugal (1621 von Corn. Galle), in Davila’s Beschreibung von Madrid (1623), in einem Blatt den König zu Pferd darstellend, mit dem Wahlspruch Una Fides. Bez. Kieser exc. Dan: Meisn. Comm. Boh.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/221>, abgerufen am 27.04.2024.