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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Philipp der Vierte.

Dieser helle Grund war eine Neuerung des Velazquez.
Seine Vorgänger in Spanien, von Mor an, ebenso wie die Ve-
nezianer, zogen den bequemen dunklen Grund vor. Die Bild-
nisse des Bergamasken dürfte er kaum gekannt haben.

Beides, das einseitig scharfe Licht und die Unterdrückung
alles Zerstreuenden, sind sehr wirksame Mittel, dem Auge die
Gestalt mit der Gewalt der Realität aufzudrängen. In dieser
Sammlung und Concentrirung des Blicks liegt ein Geheimniss
dieser Bildnisse. Wie Beschwörer das Zimmer verhängen, mit
Qualm erfüllen und das Auge an einen Punkt bannen, um es für
die Erscheinung empfänglich zu machen. In der That erscheint
ja, wenn man einen Gegenstand scharf fixirt, die Umgebung nebel-
haft; und ein bedeutendes Gesicht lässt alles umher vergessen.
Es liegt darin also eine feinere Schmeichelei, als in dem System
der späteren französischen Bildnissmaler, mit ihrem Luxus be-
deutungsvollen und blendenden Details. Wir können diese Bilder
nicht mit dem Leben vergleichen, aber wir haben den Eindruck
einer Treffsicherheit, ja Rücksichtslosigkeit in Umrissen und Mo-
dulationen, welche an die Unfehlbarkeit der Photographie er-
innert. Das Medium der künstlerischen Person, dessen verän-
dernder und nivellirender Einfluss auf das Modell sich sonst von
selbst zu verstehen scheint, scheint hier keine Brechung zu ver-
ursachen.

Aber in diesen scharfen Linien, in dieser statuenhaften Form,
ist das ewig bewegliche, augenblickliche, das Leben festge-
halten; aus ihr blickt uns der Mensch an, sich selbst offenbarend,
wie einst, als er so vor dem Maler stand.

Das Brustbild (Prado 1071. 57 x 44), den achtzehnjährigen
König darstellend, ist für die Originalaufnahme zu dem Reiterbild
gehalten worden. Die Züge haben noch einen Rest vom Knaben-
haften. Er sieht aus wie ein wenig aufgeweckter junger Engländer,
bei dessen Erziehung mehr auf Sport als auf Latein und Mathematik
gewandt worden ist. Die blonden Haare sind sorgfältig frisirt und
geölt, über der Stirn in einer waagrechten Welle gerollt, an den
Schläfen gekräuselt, eine geschlängelte Locke legt sich ins Ge-
sicht. Der breite Mund giebt dem Gesicht etwas stupid sinn-
liches. Es scheint, dass es bei einem solchen Kopf mit dem Eifer
für die Geschäfte bald zu Ende sein werde. Die Büste blieb un-
vollendet, erst viel später wurde die Rüstung mit der rothen
Schärpe hinzugemalt. Von Rubens sehe ich keine Spur.


Philipp der Vierte.

Dieser helle Grund war eine Neuerung des Velazquez.
Seine Vorgänger in Spanien, von Mor an, ebenso wie die Ve-
nezianer, zogen den bequemen dunklen Grund vor. Die Bild-
nisse des Bergamasken dürfte er kaum gekannt haben.

Beides, das einseitig scharfe Licht und die Unterdrückung
alles Zerstreuenden, sind sehr wirksame Mittel, dem Auge die
Gestalt mit der Gewalt der Realität aufzudrängen. In dieser
Sammlung und Concentrirung des Blicks liegt ein Geheimniss
dieser Bildnisse. Wie Beschwörer das Zimmer verhängen, mit
Qualm erfüllen und das Auge an einen Punkt bannen, um es für
die Erscheinung empfänglich zu machen. In der That erscheint
ja, wenn man einen Gegenstand scharf fixirt, die Umgebung nebel-
haft; und ein bedeutendes Gesicht lässt alles umher vergessen.
Es liegt darin also eine feinere Schmeichelei, als in dem System
der späteren französischen Bildnissmaler, mit ihrem Luxus be-
deutungsvollen und blendenden Details. Wir können diese Bilder
nicht mit dem Leben vergleichen, aber wir haben den Eindruck
einer Treffsicherheit, ja Rücksichtslosigkeit in Umrissen und Mo-
dulationen, welche an die Unfehlbarkeit der Photographie er-
innert. Das Medium der künstlerischen Person, dessen verän-
dernder und nivellirender Einfluss auf das Modell sich sonst von
selbst zu verstehen scheint, scheint hier keine Brechung zu ver-
ursachen.

Aber in diesen scharfen Linien, in dieser statuenhaften Form,
ist das ewig bewegliche, augenblickliche, das Leben festge-
halten; aus ihr blickt uns der Mensch an, sich selbst offenbarend,
wie einst, als er so vor dem Maler stand.

Das Brustbild (Prado 1071. 57 × 44), den achtzehnjährigen
König darstellend, ist für die Originalaufnahme zu dem Reiterbild
gehalten worden. Die Züge haben noch einen Rest vom Knaben-
haften. Er sieht aus wie ein wenig aufgeweckter junger Engländer,
bei dessen Erziehung mehr auf Sport als auf Latein und Mathematik
gewandt worden ist. Die blonden Haare sind sorgfältig frisirt und
geölt, über der Stirn in einer waagrechten Welle gerollt, an den
Schläfen gekräuselt, eine geschlängelte Locke legt sich ins Ge-
sicht. Der breite Mund giebt dem Gesicht etwas stupid sinn-
liches. Es scheint, dass es bei einem solchen Kopf mit dem Eifer
für die Geschäfte bald zu Ende sein werde. Die Büste blieb un-
vollendet, erst viel später wurde die Rüstung mit der rothen
Schärpe hinzugemalt. Von Rubens sehe ich keine Spur.


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[201/0223] Philipp der Vierte. Dieser helle Grund war eine Neuerung des Velazquez. Seine Vorgänger in Spanien, von Mor an, ebenso wie die Ve- nezianer, zogen den bequemen dunklen Grund vor. Die Bild- nisse des Bergamasken dürfte er kaum gekannt haben. Beides, das einseitig scharfe Licht und die Unterdrückung alles Zerstreuenden, sind sehr wirksame Mittel, dem Auge die Gestalt mit der Gewalt der Realität aufzudrängen. In dieser Sammlung und Concentrirung des Blicks liegt ein Geheimniss dieser Bildnisse. Wie Beschwörer das Zimmer verhängen, mit Qualm erfüllen und das Auge an einen Punkt bannen, um es für die Erscheinung empfänglich zu machen. In der That erscheint ja, wenn man einen Gegenstand scharf fixirt, die Umgebung nebel- haft; und ein bedeutendes Gesicht lässt alles umher vergessen. Es liegt darin also eine feinere Schmeichelei, als in dem System der späteren französischen Bildnissmaler, mit ihrem Luxus be- deutungsvollen und blendenden Details. Wir können diese Bilder nicht mit dem Leben vergleichen, aber wir haben den Eindruck einer Treffsicherheit, ja Rücksichtslosigkeit in Umrissen und Mo- dulationen, welche an die Unfehlbarkeit der Photographie er- innert. Das Medium der künstlerischen Person, dessen verän- dernder und nivellirender Einfluss auf das Modell sich sonst von selbst zu verstehen scheint, scheint hier keine Brechung zu ver- ursachen. Aber in diesen scharfen Linien, in dieser statuenhaften Form, ist das ewig bewegliche, augenblickliche, das Leben festge- halten; aus ihr blickt uns der Mensch an, sich selbst offenbarend, wie einst, als er so vor dem Maler stand. Das Brustbild (Prado 1071. 57 × 44), den achtzehnjährigen König darstellend, ist für die Originalaufnahme zu dem Reiterbild gehalten worden. Die Züge haben noch einen Rest vom Knaben- haften. Er sieht aus wie ein wenig aufgeweckter junger Engländer, bei dessen Erziehung mehr auf Sport als auf Latein und Mathematik gewandt worden ist. Die blonden Haare sind sorgfältig frisirt und geölt, über der Stirn in einer waagrechten Welle gerollt, an den Schläfen gekräuselt, eine geschlängelte Locke legt sich ins Ge- sicht. Der breite Mund giebt dem Gesicht etwas stupid sinn- liches. Es scheint, dass es bei einem solchen Kopf mit dem Eifer für die Geschäfte bald zu Ende sein werde. Die Büste blieb un- vollendet, erst viel später wurde die Rüstung mit der rothen Schärpe hinzugemalt. Von Rubens sehe ich keine Spur.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/223>, abgerufen am 27.04.2024.