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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
der Sohn eines Aretiners, aber zu Madrid im Jahre 1577 ge-
boren. Nach dem Tode jenes Gonzalez war ein dritter nach-
gerückt, Angelo Nardi, der aber seine Ausbildung in Italien
empfangen hatte und erst gegen 1615 herübergekommen war.
Velazquez hatte also drei Künstler toscanischer Herkunft neben
sich, Männer, die sich ohne Zweifel, wenn auch der eine Italien
nie gesehen hatte, noch als Italiener fühlten, eng befreundet waren,
viele Arbeiten gemeinsam ausgeführt hatten, und im Stillen von
der angeborenen Ueberlegenheit ihrer Nation in Kunstsachen über-
zeugt waren. Und wirklich, in Wissen, in Gewandtheit, in Frucht-
barkeit konnte Niemand gegen sie aufkommen. Ihre Arbeiten
in den reichsten und vornehmsten Heiligthümern, dem Sagrario
von Toledo, in Guadalupe und manchen Stiftungen reicher Kirchen-
fürsten geben Zeugniss von ihrem Ansehen. Sie sind auch
schriftstellerisch, theils in Originalwerken, theils als Uebersetzer
italienischer Grundbücher für die Verbesserung der Kunster-
ziehung in Spanien thätig gewesen. Aber sie haben sich dann mit
angeerbter Geschmeidigkeit -- wie ja Jeder thun muss der dort
bestehen will -- dem spanischen Wesen angepasst. Aus ihren Ge-
mälden würde wahrscheinlich Niemand Italiener errathen. Obwol
ferner ihr Sprecher jene Escorialzeit die Epoche nennt, "wo
die wahre Kenntniss und Schätzung der Kunst in Spanien ein-
geführt wurde", und obwol zwei von ihnen enge Verwandt-
schaftsbande mit Malern Philipp II verknüpften, so hat ihr Stil
doch mit jenen ihren ältern Verwandten und mit den Escorial-
malern Pellegrini, Zuccari, Cambiasi nichts gemein. Dem Wechsel
der Zeiten konnten sie sich nicht entziehen, obwol sie die Ge-
genwart als eine Verfallzeit betrachteten. Vicencio Carducho's Ge-
mälde haben mit denen seines Bruders Bartolomeo so wenig Aehn-
lichkeit, wie die des Alessandro Allori und Matteo Rosselli mit
denen des Angiolo Bronzino und Rossi. Weder das starke Stilge-
fühl jener von ihm gepriesenen Manieristen mit ihren Kontra-
posten und Idealformen, noch die Gelehrtheit und Gewaltigkeit
der Zeichnung, noch die helle, kalte, bunte, schillernde Färbung
wird man bei ihnen finden. Wol aber begegnet uns manches,
was sie nach der Theorie für werthlos zu halten scheinen, man sieht
sie, wenn auch mit Widerstreben und Halbheit, gelegentlich zum
volksthümlichen Individualismus, zur Ausführlichkeit in Neben-
dingen, zu starken Farben- und Lichteffekten heruntersteigen.
Bei alledem kann man sich nicht verbergen, dass unter ihren
Werken sehr wenige tiefer zu fesseln im Stande sind.


Zweites Buch.
der Sohn eines Aretiners, aber zu Madrid im Jahre 1577 ge-
boren. Nach dem Tode jenes Gonzalez war ein dritter nach-
gerückt, Angelo Nardi, der aber seine Ausbildung in Italien
empfangen hatte und erst gegen 1615 herübergekommen war.
Velazquez hatte also drei Künstler toscanischer Herkunft neben
sich, Männer, die sich ohne Zweifel, wenn auch der eine Italien
nie gesehen hatte, noch als Italiener fühlten, eng befreundet waren,
viele Arbeiten gemeinsam ausgeführt hatten, und im Stillen von
der angeborenen Ueberlegenheit ihrer Nation in Kunstsachen über-
zeugt waren. Und wirklich, in Wissen, in Gewandtheit, in Frucht-
barkeit konnte Niemand gegen sie aufkommen. Ihre Arbeiten
in den reichsten und vornehmsten Heiligthümern, dem Sagrario
von Toledo, in Guadalupe und manchen Stiftungen reicher Kirchen-
fürsten geben Zeugniss von ihrem Ansehen. Sie sind auch
schriftstellerisch, theils in Originalwerken, theils als Uebersetzer
italienischer Grundbücher für die Verbesserung der Kunster-
ziehung in Spanien thätig gewesen. Aber sie haben sich dann mit
angeerbter Geschmeidigkeit — wie ja Jeder thun muss der dort
bestehen will — dem spanischen Wesen angepasst. Aus ihren Ge-
mälden würde wahrscheinlich Niemand Italiener errathen. Obwol
ferner ihr Sprecher jene Escorialzeit die Epoche nennt, „wo
die wahre Kenntniss und Schätzung der Kunst in Spanien ein-
geführt wurde“, und obwol zwei von ihnen enge Verwandt-
schaftsbande mit Malern Philipp II verknüpften, so hat ihr Stil
doch mit jenen ihren ältern Verwandten und mit den Escorial-
malern Pellegrini, Zuccari, Cambiasi nichts gemein. Dem Wechsel
der Zeiten konnten sie sich nicht entziehen, obwol sie die Ge-
genwart als eine Verfallzeit betrachteten. Vicencio Carducho’s Ge-
mälde haben mit denen seines Bruders Bartolomeo so wenig Aehn-
lichkeit, wie die des Alessandro Allori und Matteo Rosselli mit
denen des Angiolo Bronzino und Rossi. Weder das starke Stilge-
fühl jener von ihm gepriesenen Manieristen mit ihren Kontra-
posten und Idealformen, noch die Gelehrtheit und Gewaltigkeit
der Zeichnung, noch die helle, kalte, bunte, schillernde Färbung
wird man bei ihnen finden. Wol aber begegnet uns manches,
was sie nach der Theorie für werthlos zu halten scheinen, man sieht
sie, wenn auch mit Widerstreben und Halbheit, gelegentlich zum
volksthümlichen Individualismus, zur Ausführlichkeit in Neben-
dingen, zu starken Farben- und Lichteffekten heruntersteigen.
Bei alledem kann man sich nicht verbergen, dass unter ihren
Werken sehr wenige tiefer zu fesseln im Stande sind.


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[218/0240] Zweites Buch. der Sohn eines Aretiners, aber zu Madrid im Jahre 1577 ge- boren. Nach dem Tode jenes Gonzalez war ein dritter nach- gerückt, Angelo Nardi, der aber seine Ausbildung in Italien empfangen hatte und erst gegen 1615 herübergekommen war. Velazquez hatte also drei Künstler toscanischer Herkunft neben sich, Männer, die sich ohne Zweifel, wenn auch der eine Italien nie gesehen hatte, noch als Italiener fühlten, eng befreundet waren, viele Arbeiten gemeinsam ausgeführt hatten, und im Stillen von der angeborenen Ueberlegenheit ihrer Nation in Kunstsachen über- zeugt waren. Und wirklich, in Wissen, in Gewandtheit, in Frucht- barkeit konnte Niemand gegen sie aufkommen. Ihre Arbeiten in den reichsten und vornehmsten Heiligthümern, dem Sagrario von Toledo, in Guadalupe und manchen Stiftungen reicher Kirchen- fürsten geben Zeugniss von ihrem Ansehen. Sie sind auch schriftstellerisch, theils in Originalwerken, theils als Uebersetzer italienischer Grundbücher für die Verbesserung der Kunster- ziehung in Spanien thätig gewesen. Aber sie haben sich dann mit angeerbter Geschmeidigkeit — wie ja Jeder thun muss der dort bestehen will — dem spanischen Wesen angepasst. Aus ihren Ge- mälden würde wahrscheinlich Niemand Italiener errathen. Obwol ferner ihr Sprecher jene Escorialzeit die Epoche nennt, „wo die wahre Kenntniss und Schätzung der Kunst in Spanien ein- geführt wurde“, und obwol zwei von ihnen enge Verwandt- schaftsbande mit Malern Philipp II verknüpften, so hat ihr Stil doch mit jenen ihren ältern Verwandten und mit den Escorial- malern Pellegrini, Zuccari, Cambiasi nichts gemein. Dem Wechsel der Zeiten konnten sie sich nicht entziehen, obwol sie die Ge- genwart als eine Verfallzeit betrachteten. Vicencio Carducho’s Ge- mälde haben mit denen seines Bruders Bartolomeo so wenig Aehn- lichkeit, wie die des Alessandro Allori und Matteo Rosselli mit denen des Angiolo Bronzino und Rossi. Weder das starke Stilge- fühl jener von ihm gepriesenen Manieristen mit ihren Kontra- posten und Idealformen, noch die Gelehrtheit und Gewaltigkeit der Zeichnung, noch die helle, kalte, bunte, schillernde Färbung wird man bei ihnen finden. Wol aber begegnet uns manches, was sie nach der Theorie für werthlos zu halten scheinen, man sieht sie, wenn auch mit Widerstreben und Halbheit, gelegentlich zum volksthümlichen Individualismus, zur Ausführlichkeit in Neben- dingen, zu starken Farben- und Lichteffekten heruntersteigen. Bei alledem kann man sich nicht verbergen, dass unter ihren Werken sehr wenige tiefer zu fesseln im Stande sind.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/240>, abgerufen am 27.04.2024.