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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Gespräche über die Malerei.
und Hammeln, Obst und Schüsseln, dass man es eher für eine
Schlemmergarküche hält, als für ein Hospiz der Heiligkeit, für
eine Handlung zärtlich sorgender Aufmerksamkeit. Mir graute
förmlich vor der Unvernunft dieses Malers (Rubens?), der im
Stande war, ein solches Bild aus Geist und Händen hervorzu-
ziehen" (S. 265).

Es giebt freilich auch Stoffe, denen der Naturalismus wie
auf den Leib geschnitten ist; aber bringen diese unserer Kunst
Ehre? Küchenstücke (bodegones) mit niedrigen und ganz ge-
meinen Gedanken, Trunkenbolde (borrachos), Gauner im Spiel und
dgl., wo der grosse Aufwand von Denkkraft darin besteht, dass
es dem Maler gefällt, vier freche Strolche und zwei ausgelassene
Weibsbilder abzukonterfeien, zum Schaden der Kunst und mit
wenig Ruhm des Künstlers (S. 253)?

"Welch eine Rahel, im geflickten unsaubern Mieder, übelm
und unschicklichem Kopfputz, unter rauchgeschwärztem Dach,
mit Katze und Hund im Schatten eines dreifüssigen Bänkchens
mit Krügen und Tellern darauf, oder einem zerzausten Rocken
von der Sierra!" (S. 148).

Nun bleibt noch die letzte Verschanzung, das Bildniss.
Da giebt es doch keine andere Methode, als die mit der Natur
vor Augen? -- Gewiss, aber das Bildniss ist auch ein Fach von
untergeordnetem Werth. "Kein grosser und ausserordentlicher
Maler ist je Bildnissmaler gewesen!" (S. 127). Denn ein solcher
wird die Natur durch Vernunft und gelehrte Gewöhnung verbes-
sern. Beim Bildniss aber muss er sich dem Modell, sei es gut
oder schlecht, unterordnen, mit Verleugnung seiner Einsicht und
Verzicht auf Auswahl (sin mas discurrir ni saber). Und das ist
nur mit Zwang gegen seine Minerva möglich, für einen der Geist
und Blick an gute Formen und Verhältnisse gewöhnt hat. Car-
ducho verspottet den gegenwärtigen Missbrauch der Bildnissma-
lerei. Wie Francisco de Holanda will er diese Kunst für bedeu-
tende Regenten, Wohlthäter der Menschheit, Heilige aufbehalten
wissen. Der Mangel an Selbstachtung bei den Künstlern ist die
Ursache dieses Missbrauchs. Wie anders Tizian, der, als Philipp II
sein Bildniss verlangt, sich mit dem des Königs in der Hand
malt! Indem er es hinhält, will er sagen, er selbst sei nicht
werth, dass man so viel Wesen von ihm mache. Er will
sagen: der Ort, die Ehre, welche diesem Gemälde erwiesen wird,
gilt dem Bildniss S. Majestät, nicht meinem (S. 250).

Man sieht, es ist derselbe leidenschaftliche Ton, der in Mal-

Die Gespräche über die Malerei.
und Hammeln, Obst und Schüsseln, dass man es eher für eine
Schlemmergarküche hält, als für ein Hospiz der Heiligkeit, für
eine Handlung zärtlich sorgender Aufmerksamkeit. Mir graute
förmlich vor der Unvernunft dieses Malers (Rubens?), der im
Stande war, ein solches Bild aus Geist und Händen hervorzu-
ziehen“ (S. 265).

Es giebt freilich auch Stoffe, denen der Naturalismus wie
auf den Leib geschnitten ist; aber bringen diese unserer Kunst
Ehre? Küchenstücke (bodegones) mit niedrigen und ganz ge-
meinen Gedanken, Trunkenbolde (borrachos), Gauner im Spiel und
dgl., wo der grosse Aufwand von Denkkraft darin besteht, dass
es dem Maler gefällt, vier freche Strolche und zwei ausgelassene
Weibsbilder abzukonterfeien, zum Schaden der Kunst und mit
wenig Ruhm des Künstlers (S. 253)?

„Welch eine Rahel, im geflickten unsaubern Mieder, übelm
und unschicklichem Kopfputz, unter rauchgeschwärztem Dach,
mit Katze und Hund im Schatten eines dreifüssigen Bänkchens
mit Krügen und Tellern darauf, oder einem zerzausten Rocken
von der Sierra!“ (S. 148).

Nun bleibt noch die letzte Verschanzung, das Bildniss.
Da giebt es doch keine andere Methode, als die mit der Natur
vor Augen? — Gewiss, aber das Bildniss ist auch ein Fach von
untergeordnetem Werth. „Kein grosser und ausserordentlicher
Maler ist je Bildnissmaler gewesen!“ (S. 127). Denn ein solcher
wird die Natur durch Vernunft und gelehrte Gewöhnung verbes-
sern. Beim Bildniss aber muss er sich dem Modell, sei es gut
oder schlecht, unterordnen, mit Verleugnung seiner Einsicht und
Verzicht auf Auswahl (sin mas discurrir ni saber). Und das ist
nur mit Zwang gegen seine Minerva möglich, für einen der Geist
und Blick an gute Formen und Verhältnisse gewöhnt hat. Car-
ducho verspottet den gegenwärtigen Missbrauch der Bildnissma-
lerei. Wie Francisco de Holanda will er diese Kunst für bedeu-
tende Regenten, Wohlthäter der Menschheit, Heilige aufbehalten
wissen. Der Mangel an Selbstachtung bei den Künstlern ist die
Ursache dieses Missbrauchs. Wie anders Tizian, der, als Philipp II
sein Bildniss verlangt, sich mit dem des Königs in der Hand
malt! Indem er es hinhält, will er sagen, er selbst sei nicht
werth, dass man so viel Wesen von ihm mache. Er will
sagen: der Ort, die Ehre, welche diesem Gemälde erwiesen wird,
gilt dem Bildniss S. Majestät, nicht meinem (S. 250).

Man sieht, es ist derselbe leidenschaftliche Ton, der in Mal-

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[229/0253] Die Gespräche über die Malerei. und Hammeln, Obst und Schüsseln, dass man es eher für eine Schlemmergarküche hält, als für ein Hospiz der Heiligkeit, für eine Handlung zärtlich sorgender Aufmerksamkeit. Mir graute förmlich vor der Unvernunft dieses Malers (Rubens?), der im Stande war, ein solches Bild aus Geist und Händen hervorzu- ziehen“ (S. 265). Es giebt freilich auch Stoffe, denen der Naturalismus wie auf den Leib geschnitten ist; aber bringen diese unserer Kunst Ehre? Küchenstücke (bodegones) mit niedrigen und ganz ge- meinen Gedanken, Trunkenbolde (borrachos), Gauner im Spiel und dgl., wo der grosse Aufwand von Denkkraft darin besteht, dass es dem Maler gefällt, vier freche Strolche und zwei ausgelassene Weibsbilder abzukonterfeien, zum Schaden der Kunst und mit wenig Ruhm des Künstlers (S. 253)? „Welch eine Rahel, im geflickten unsaubern Mieder, übelm und unschicklichem Kopfputz, unter rauchgeschwärztem Dach, mit Katze und Hund im Schatten eines dreifüssigen Bänkchens mit Krügen und Tellern darauf, oder einem zerzausten Rocken von der Sierra!“ (S. 148). Nun bleibt noch die letzte Verschanzung, das Bildniss. Da giebt es doch keine andere Methode, als die mit der Natur vor Augen? — Gewiss, aber das Bildniss ist auch ein Fach von untergeordnetem Werth. „Kein grosser und ausserordentlicher Maler ist je Bildnissmaler gewesen!“ (S. 127). Denn ein solcher wird die Natur durch Vernunft und gelehrte Gewöhnung verbes- sern. Beim Bildniss aber muss er sich dem Modell, sei es gut oder schlecht, unterordnen, mit Verleugnung seiner Einsicht und Verzicht auf Auswahl (sin mas discurrir ni saber). Und das ist nur mit Zwang gegen seine Minerva möglich, für einen der Geist und Blick an gute Formen und Verhältnisse gewöhnt hat. Car- ducho verspottet den gegenwärtigen Missbrauch der Bildnissma- lerei. Wie Francisco de Holanda will er diese Kunst für bedeu- tende Regenten, Wohlthäter der Menschheit, Heilige aufbehalten wissen. Der Mangel an Selbstachtung bei den Künstlern ist die Ursache dieses Missbrauchs. Wie anders Tizian, der, als Philipp II sein Bildniss verlangt, sich mit dem des Königs in der Hand malt! Indem er es hinhält, will er sagen, er selbst sei nicht werth, dass man so viel Wesen von ihm mache. Er will sagen: der Ort, die Ehre, welche diesem Gemälde erwiesen wird, gilt dem Bildniss S. Majestät, nicht meinem (S. 250). Man sieht, es ist derselbe leidenschaftliche Ton, der in Mal-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/253>, abgerufen am 27.04.2024.