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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
die Umwandlung (transformation), welche sein Urheber durch-
machte, sie scheinen an vielen Stellen (hat der Verfasser sie ge-
sehn?) die glühenden Töne wiederzustrahlen, welche unter dem
Pinsel des Antwerpener Meisters hervorbrachen."

Dass um diese Zeit in seinem Stil eine Veränderung vor-
ging, ist richtig; man wusste längst, dass die Grenzscheide zwi-
schen der ersten und zweiten Manier um das Jahr 1630 fällt. Die
frühesten Bilder erscheinen neben denen des Rubens und neben
seinen eigenen spätern hart, nüchtern, dunkel in den Schatten;
die bald folgenden in allverbreitetem Licht, malerisch in Umriss
und Rundung. Allein unmittelbar an den Besuch des Rubens
schloss sich ja die Reise nach Italien, und das erste Bild, welches
nach den neuen Grundsätzen gemalt ist, der Vulcan, kam aus
Rom. Inzwischen war er in Venedig gewesen, hatte in Tizian
und Tintoretto, wie er sagte, das "Gute und Schöne" gefunden.
Hält man also die Wandlung nicht hinreichend erklärt durch das
innere Reifen seines Anschauungsvermögens in den herrlichsten
jugendlichen Mannesjahren und unter dem Segen der Freiheit
Italiens, nun so hätte man diess wolbezeugte Studium, diese Ver-
ehrung der Venezianer. Hier fand er die Modellirung des Nack-
ten in vollem Licht, hier den unverschmolzenen Strich, kurz den
malerischen Stil in unerreichten Mustern, die auch die Muster
des Rubens gewesen waren.

Man beruft sich aber auf die Borrachos, die vor der Reise,
unter den Augen des Rubens gemalt seien. Sie beweisen das
Gegentheil. Sie sind ja noch ziemlich nach dem System der Natu-
ralisten gearbeitet, mit den scharfen Contouren und dunklen
Schatten des einseitigen Atelierlichts. Im Madrider Museum
hängt der zwei Jahre später in Italien gemalte Vulcan ihnen
grade gegenüber, und da kann auch ein stumpfes Auge sehn,
wie die Grenzlinie beider Manieren zwischen beiden herläuft. Es
ist allerdings schon von Mengs bemerkt worden, dass die Borra-
chos in einem etwas freieren Stil gemalt sind, als z. B. der
Wassermann von Sevilla; aber ein solcher Fortgang von Befan-
genheit zu Leichtigkeit erklärt sich durch ein dazwischenliegendes
Jahrzehnt. Hätte Velazquez etwas von Rubens annehmen wollen,
so war es die Behandlung der Schatten, wo sein Verfahren
damals wirklich mangelhaft war. Er bediente sich des pastosen
Auftrags und des Bolus der Caracci, wodurch die dunklen Sei-
ten seiner frühern Bilder gelitten haben. Dass er mit der durch-
sichtigen Braununtertuschung des Niederländers den Schatten

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die Umwandlung (transformation), welche sein Urheber durch-
machte, sie scheinen an vielen Stellen (hat der Verfasser sie ge-
sehn?) die glühenden Töne wiederzustrahlen, welche unter dem
Pinsel des Antwerpener Meisters hervorbrachen.“

Dass um diese Zeit in seinem Stil eine Veränderung vor-
ging, ist richtig; man wusste längst, dass die Grenzscheide zwi-
schen der ersten und zweiten Manier um das Jahr 1630 fällt. Die
frühesten Bilder erscheinen neben denen des Rubens und neben
seinen eigenen spätern hart, nüchtern, dunkel in den Schatten;
die bald folgenden in allverbreitetem Licht, malerisch in Umriss
und Rundung. Allein unmittelbar an den Besuch des Rubens
schloss sich ja die Reise nach Italien, und das erste Bild, welches
nach den neuen Grundsätzen gemalt ist, der Vulcan, kam aus
Rom. Inzwischen war er in Venedig gewesen, hatte in Tizian
und Tintoretto, wie er sagte, das „Gute und Schöne“ gefunden.
Hält man also die Wandlung nicht hinreichend erklärt durch das
innere Reifen seines Anschauungsvermögens in den herrlichsten
jugendlichen Mannesjahren und unter dem Segen der Freiheit
Italiens, nun so hätte man diess wolbezeugte Studium, diese Ver-
ehrung der Venezianer. Hier fand er die Modellirung des Nack-
ten in vollem Licht, hier den unverschmolzenen Strich, kurz den
malerischen Stil in unerreichten Mustern, die auch die Muster
des Rubens gewesen waren.

Man beruft sich aber auf die Borrachos, die vor der Reise,
unter den Augen des Rubens gemalt seien. Sie beweisen das
Gegentheil. Sie sind ja noch ziemlich nach dem System der Natu-
ralisten gearbeitet, mit den scharfen Contouren und dunklen
Schatten des einseitigen Atelierlichts. Im Madrider Museum
hängt der zwei Jahre später in Italien gemalte Vulcan ihnen
grade gegenüber, und da kann auch ein stumpfes Auge sehn,
wie die Grenzlinie beider Manieren zwischen beiden herläuft. Es
ist allerdings schon von Mengs bemerkt worden, dass die Borra-
chos in einem etwas freieren Stil gemalt sind, als z. B. der
Wassermann von Sevilla; aber ein solcher Fortgang von Befan-
genheit zu Leichtigkeit erklärt sich durch ein dazwischenliegendes
Jahrzehnt. Hätte Velazquez etwas von Rubens annehmen wollen,
so war es die Behandlung der Schatten, wo sein Verfahren
damals wirklich mangelhaft war. Er bediente sich des pastosen
Auftrags und des Bolus der Caracci, wodurch die dunklen Sei-
ten seiner frühern Bilder gelitten haben. Dass er mit der durch-
sichtigen Braununtertuschung des Niederländers den Schatten

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[248/0272] Zweites Buch. die Umwandlung (transformation), welche sein Urheber durch- machte, sie scheinen an vielen Stellen (hat der Verfasser sie ge- sehn?) die glühenden Töne wiederzustrahlen, welche unter dem Pinsel des Antwerpener Meisters hervorbrachen.“ Dass um diese Zeit in seinem Stil eine Veränderung vor- ging, ist richtig; man wusste längst, dass die Grenzscheide zwi- schen der ersten und zweiten Manier um das Jahr 1630 fällt. Die frühesten Bilder erscheinen neben denen des Rubens und neben seinen eigenen spätern hart, nüchtern, dunkel in den Schatten; die bald folgenden in allverbreitetem Licht, malerisch in Umriss und Rundung. Allein unmittelbar an den Besuch des Rubens schloss sich ja die Reise nach Italien, und das erste Bild, welches nach den neuen Grundsätzen gemalt ist, der Vulcan, kam aus Rom. Inzwischen war er in Venedig gewesen, hatte in Tizian und Tintoretto, wie er sagte, das „Gute und Schöne“ gefunden. Hält man also die Wandlung nicht hinreichend erklärt durch das innere Reifen seines Anschauungsvermögens in den herrlichsten jugendlichen Mannesjahren und unter dem Segen der Freiheit Italiens, nun so hätte man diess wolbezeugte Studium, diese Ver- ehrung der Venezianer. Hier fand er die Modellirung des Nack- ten in vollem Licht, hier den unverschmolzenen Strich, kurz den malerischen Stil in unerreichten Mustern, die auch die Muster des Rubens gewesen waren. Man beruft sich aber auf die Borrachos, die vor der Reise, unter den Augen des Rubens gemalt seien. Sie beweisen das Gegentheil. Sie sind ja noch ziemlich nach dem System der Natu- ralisten gearbeitet, mit den scharfen Contouren und dunklen Schatten des einseitigen Atelierlichts. Im Madrider Museum hängt der zwei Jahre später in Italien gemalte Vulcan ihnen grade gegenüber, und da kann auch ein stumpfes Auge sehn, wie die Grenzlinie beider Manieren zwischen beiden herläuft. Es ist allerdings schon von Mengs bemerkt worden, dass die Borra- chos in einem etwas freieren Stil gemalt sind, als z. B. der Wassermann von Sevilla; aber ein solcher Fortgang von Befan- genheit zu Leichtigkeit erklärt sich durch ein dazwischenliegendes Jahrzehnt. Hätte Velazquez etwas von Rubens annehmen wollen, so war es die Behandlung der Schatten, wo sein Verfahren damals wirklich mangelhaft war. Er bediente sich des pastosen Auftrags und des Bolus der Caracci, wodurch die dunklen Sei- ten seiner frühern Bilder gelitten haben. Dass er mit der durch- sichtigen Braununtertuschung des Niederländers den Schatten

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/272>, abgerufen am 27.04.2024.