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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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In der Villa Medici.
Balustrade oben, wo sonst Römerinnen sich fächelten, hängt
eine knoblauchduftende, schwarzäugige ragazza ihre schadhafte
Wäsche zum trocknen auf (wo hängt sie nicht?) und bemüht
sich die Herzenserleichterungen zweier Lümmel zu verstehn, dort
unten an den Buxhecken, die eigentlich bestimmt waren, von den
seidenen Talaren einherschwebender Monsignori und geheimer
Kämmerer gestreift zu werden. Eine Herme hinter dem Bux hat
sich als zweiter Horcher hinzugesellt. --

Auf beiden Bildchen kommen Statuen vor, auch ihretwegen
hatte Velazquez sich die Wohnung gewünscht. Ihr Zauber
beruht ganz auf diesem Ensemble. Ein halbverwilderter Garten,
ein weissschimmerndes Stück Architektur, das schon auf dem
Weg ist den Naturmächten zu verfallen, etwas Menschengewürm
und einige Marmorfiguren, halb antik, halb modern italienisch durch
ihre dreist und unwissend angeklebten Ergänzungen. Da stan-
den sie auf den von den Jahrtausenden zugeschütteten Ruinen-
feldern, über dem Boden, wo sie geschaffen, bewundert, ange-
gebetet worden waren, der sie begraben hatte, und dem sie
wieder entstiegen waren, gefärbt vom Goldton des Gewesenen,
umklungen von den elegischen Harmonien des Verfalls, jener Mi-
schung immer jungen Lebens der Natur und eines Todes, über
dem noch ein Hauch ewiger Jugend schwebt. Werden die
Statuen in die sicheren Säle gerettet und die Ruinen abgeräumt,
so ist der Zauber dahin, und man versteht nicht mehr, wie diese
Steine Mignon mitleidig ansehen konnten. --

Ein drittes Andenken dieser ersten römischen Monate ist
die Ansicht des Titusbogens. Die Ausführung dürfte weder am
Ort gemacht noch ganz vom Meister sein; unter dem Himmel
Roms würde sie schwerlich einen so trüben Ton bekommen
haben, der sich aber in Landschaften seines Schülers Mazo findet.

Von diesem Denkmal sah man damals nur noch das Thor
nebst den zwei Kompositsäulen und dem Fries mit der Inschrift-
tafel, eingeschlossen von den Mauerresten der mittelalterlichen
Burg, zu der die Frangipani diess Trümmerfeld umgebaut hatten;
in jenen Zeiten diente er als Thorburg. Bekanntlich ist der Bo-
gen erst seit 1822 wieder frei gemacht und die zerstörten Seiten
von Travertin wiederhergestellt worden. Der Maler hat seinen
Stand genommen an der Seite nach dem Kolosseum zu, in der Axe
der hier durchgehenden Via Sacra. Links ganz vorn sieht man
noch die Ecke der längst abgebrochenen Turris cartularia. Rechts
eine mittelalterliche Mauer in der Flucht des Klosters S. Fran-

In der Villa Medici.
Balustrade oben, wo sonst Römerinnen sich fächelten, hängt
eine knoblauchduftende, schwarzäugige ragazza ihre schadhafte
Wäsche zum trocknen auf (wo hängt sie nicht?) und bemüht
sich die Herzenserleichterungen zweier Lümmel zu verstehn, dort
unten an den Buxhecken, die eigentlich bestimmt waren, von den
seidenen Talaren einherschwebender Monsignori und geheimer
Kämmerer gestreift zu werden. Eine Herme hinter dem Bux hat
sich als zweiter Horcher hinzugesellt. —

Auf beiden Bildchen kommen Statuen vor, auch ihretwegen
hatte Velazquez sich die Wohnung gewünscht. Ihr Zauber
beruht ganz auf diesem Ensemble. Ein halbverwilderter Garten,
ein weissschimmerndes Stück Architektur, das schon auf dem
Weg ist den Naturmächten zu verfallen, etwas Menschengewürm
und einige Marmorfiguren, halb antik, halb modern italienisch durch
ihre dreist und unwissend angeklebten Ergänzungen. Da stan-
den sie auf den von den Jahrtausenden zugeschütteten Ruinen-
feldern, über dem Boden, wo sie geschaffen, bewundert, ange-
gebetet worden waren, der sie begraben hatte, und dem sie
wieder entstiegen waren, gefärbt vom Goldton des Gewesenen,
umklungen von den elegischen Harmonien des Verfalls, jener Mi-
schung immer jungen Lebens der Natur und eines Todes, über
dem noch ein Hauch ewiger Jugend schwebt. Werden die
Statuen in die sicheren Säle gerettet und die Ruinen abgeräumt,
so ist der Zauber dahin, und man versteht nicht mehr, wie diese
Steine Mignon mitleidig ansehen konnten. —

Ein drittes Andenken dieser ersten römischen Monate ist
die Ansicht des Titusbogens. Die Ausführung dürfte weder am
Ort gemacht noch ganz vom Meister sein; unter dem Himmel
Roms würde sie schwerlich einen so trüben Ton bekommen
haben, der sich aber in Landschaften seines Schülers Mazo findet.

Von diesem Denkmal sah man damals nur noch das Thor
nebst den zwei Kompositsäulen und dem Fries mit der Inschrift-
tafel, eingeschlossen von den Mauerresten der mittelalterlichen
Burg, zu der die Frangipani diess Trümmerfeld umgebaut hatten;
in jenen Zeiten diente er als Thorburg. Bekanntlich ist der Bo-
gen erst seit 1822 wieder frei gemacht und die zerstörten Seiten
von Travertin wiederhergestellt worden. Der Maler hat seinen
Stand genommen an der Seite nach dem Kolosseum zu, in der Axe
der hier durchgehenden Via Sacra. Links ganz vorn sieht man
noch die Ecke der längst abgebrochenen Turris cartularia. Rechts
eine mittelalterliche Mauer in der Flucht des Klosters S. Fran-

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[299/0325] In der Villa Medici. Balustrade oben, wo sonst Römerinnen sich fächelten, hängt eine knoblauchduftende, schwarzäugige ragazza ihre schadhafte Wäsche zum trocknen auf (wo hängt sie nicht?) und bemüht sich die Herzenserleichterungen zweier Lümmel zu verstehn, dort unten an den Buxhecken, die eigentlich bestimmt waren, von den seidenen Talaren einherschwebender Monsignori und geheimer Kämmerer gestreift zu werden. Eine Herme hinter dem Bux hat sich als zweiter Horcher hinzugesellt. — Auf beiden Bildchen kommen Statuen vor, auch ihretwegen hatte Velazquez sich die Wohnung gewünscht. Ihr Zauber beruht ganz auf diesem Ensemble. Ein halbverwilderter Garten, ein weissschimmerndes Stück Architektur, das schon auf dem Weg ist den Naturmächten zu verfallen, etwas Menschengewürm und einige Marmorfiguren, halb antik, halb modern italienisch durch ihre dreist und unwissend angeklebten Ergänzungen. Da stan- den sie auf den von den Jahrtausenden zugeschütteten Ruinen- feldern, über dem Boden, wo sie geschaffen, bewundert, ange- gebetet worden waren, der sie begraben hatte, und dem sie wieder entstiegen waren, gefärbt vom Goldton des Gewesenen, umklungen von den elegischen Harmonien des Verfalls, jener Mi- schung immer jungen Lebens der Natur und eines Todes, über dem noch ein Hauch ewiger Jugend schwebt. Werden die Statuen in die sicheren Säle gerettet und die Ruinen abgeräumt, so ist der Zauber dahin, und man versteht nicht mehr, wie diese Steine Mignon mitleidig ansehen konnten. — Ein drittes Andenken dieser ersten römischen Monate ist die Ansicht des Titusbogens. Die Ausführung dürfte weder am Ort gemacht noch ganz vom Meister sein; unter dem Himmel Roms würde sie schwerlich einen so trüben Ton bekommen haben, der sich aber in Landschaften seines Schülers Mazo findet. Von diesem Denkmal sah man damals nur noch das Thor nebst den zwei Kompositsäulen und dem Fries mit der Inschrift- tafel, eingeschlossen von den Mauerresten der mittelalterlichen Burg, zu der die Frangipani diess Trümmerfeld umgebaut hatten; in jenen Zeiten diente er als Thorburg. Bekanntlich ist der Bo- gen erst seit 1822 wieder frei gemacht und die zerstörten Seiten von Travertin wiederhergestellt worden. Der Maler hat seinen Stand genommen an der Seite nach dem Kolosseum zu, in der Axe der hier durchgehenden Via Sacra. Links ganz vorn sieht man noch die Ecke der längst abgebrochenen Turris cartularia. Rechts eine mittelalterliche Mauer in der Flucht des Klosters S. Fran-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/325>, abgerufen am 28.04.2024.