Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Die spanische Jagd.
lockt wurden) mit Keulen von Eschenholz. Der gewöhnliche
Jagdsport der Damen aber war die Kaninchenjagd, mit Spür-
hunden und Flinten. Auf solchen Jagden folgten den Hofdamen
heimlich ihre galanes, was, wenn es bekannt wurde, Verweisung
vom Hof zur Folge hatte.

Die Liebe zur Jagd war allen Klassen eigen, jeder mochte
hier gerne Virtuos sein, und mit franqueza in schweren Stücken
sich zeigen; Reiche und Lumpen lernten Vögel im Flug, Hasen
und Kaninchen im Lauf treffen, vom trabenden Pferde herab.
Jeder fühlte sich als kompetenter Kunstrichter. Indess die könig-
lichen Jagdpartien waren nur sehr wenigen zugänglich, sie blieben
auf den intimsten Kreis beschränkt. Selbst fürstliche Gäste, die
in Buen Retiro oder in der Casa del tesoro einlogirt wurden,
nahm man selten mit. Denn "bei den tagelangen Fahrten und
dem Alleinsein war zuviel Gelegenheit für Vertraulichkeit und
,Humanität', die in Spanien nicht gebräuchlich war, ausser bei
nahen Verwandten und sehr grossen Fürsten." Nur bei den ein-
gestellten Jagden im Pardo strömten die Schaulustigen aus der
nur zwei Meilen entfernten Hauptstadt herbei, und suchten etwas
von diesem unvergleichlichen und aufregenden Schauspiel, in dem
die Majestät selbst Protagonist war, zu erhaschen.

Den Jagdhofstaat nennt der Venezianer Girolamo Giustiniani
ein Heer. Er vertheilt sich unter das alte kastilische Haus, zu
dem die monteria gehörte mit dem Montero mayor, immer einem
Granden, an der Spitze, und das burgundische Haus, die Schützen
(ballesteros), deren Haupt der Caballerizo mayor war. Die Re-
viere zwischen denen sich der Jahreslauf der Jagd bewegte,
waren der Escorial, Balsain (das spätere S. Ildefonso), Escalona,
Ventosilla del Tago, Toledo und vor allem Aranjuez, wo Dam-
und Schwarzwild und Hühner in solchem Ueberfluss waren, dass
der Umkreis von sechs Meilen "ein Thiergarten schien".

Philipp IV war der rüstigste und verwegenste Jäger seiner
Zeit, und in diesem Stück sogar Erfinder. Bereits als dreizehn-
jähriger hatte er in Gegenwart seines Vaters und seiner Gemahlin,
von dem Falben Guijarrillo herab einen Keiler abgefangen. Und
noch an der Schwelle des Greisenalters, eine Ruine, verdiente
er sich den donnernden Beifall der Jagdgesellschaft, als er ein
mächtiges Thier im Pardo mit der Lanze durchbohrte. Einer
seiner Meisterschüsse ist zum Gegenstand eines besondern Schrift-
chens gemacht worden. In einem Thiergefecht des Palastplatzes
hatte der Stier alle seine Mitkombattanten aus dem Felde ge-

Die spanische Jagd.
lockt wurden) mit Keulen von Eschenholz. Der gewöhnliche
Jagdsport der Damen aber war die Kaninchenjagd, mit Spür-
hunden und Flinten. Auf solchen Jagden folgten den Hofdamen
heimlich ihre galanes, was, wenn es bekannt wurde, Verweisung
vom Hof zur Folge hatte.

Die Liebe zur Jagd war allen Klassen eigen, jeder mochte
hier gerne Virtuos sein, und mit franqueza in schweren Stücken
sich zeigen; Reiche und Lumpen lernten Vögel im Flug, Hasen
und Kaninchen im Lauf treffen, vom trabenden Pferde herab.
Jeder fühlte sich als kompetenter Kunstrichter. Indess die könig-
lichen Jagdpartien waren nur sehr wenigen zugänglich, sie blieben
auf den intimsten Kreis beschränkt. Selbst fürstliche Gäste, die
in Buen Retiro oder in der Casa del tesoro einlogirt wurden,
nahm man selten mit. Denn „bei den tagelangen Fahrten und
dem Alleinsein war zuviel Gelegenheit für Vertraulichkeit und
‚Humanität‛, die in Spanien nicht gebräuchlich war, ausser bei
nahen Verwandten und sehr grossen Fürsten.“ Nur bei den ein-
gestellten Jagden im Pardo strömten die Schaulustigen aus der
nur zwei Meilen entfernten Hauptstadt herbei, und suchten etwas
von diesem unvergleichlichen und aufregenden Schauspiel, in dem
die Majestät selbst Protagonist war, zu erhaschen.

Den Jagdhofstaat nennt der Venezianer Girolamo Giustiniani
ein Heer. Er vertheilt sich unter das alte kastilische Haus, zu
dem die monteria gehörte mit dem Montero mayor, immer einem
Granden, an der Spitze, und das burgundische Haus, die Schützen
(ballesteros), deren Haupt der Caballerizo mayor war. Die Re-
viere zwischen denen sich der Jahreslauf der Jagd bewegte,
waren der Escorial, Balsain (das spätere S. Ildefonso), Escalona,
Ventosilla del Tago, Toledo und vor allem Aranjuez, wo Dam-
und Schwarzwild und Hühner in solchem Ueberfluss waren, dass
der Umkreis von sechs Meilen „ein Thiergarten schien“.

Philipp IV war der rüstigste und verwegenste Jäger seiner
Zeit, und in diesem Stück sogar Erfinder. Bereits als dreizehn-
jähriger hatte er in Gegenwart seines Vaters und seiner Gemahlin,
von dem Falben Guijarrillo herab einen Keiler abgefangen. Und
noch an der Schwelle des Greisenalters, eine Ruine, verdiente
er sich den donnernden Beifall der Jagdgesellschaft, als er ein
mächtiges Thier im Pardo mit der Lanze durchbohrte. Einer
seiner Meisterschüsse ist zum Gegenstand eines besondern Schrift-
chens gemacht worden. In einem Thiergefecht des Palastplatzes
hatte der Stier alle seine Mitkombattanten aus dem Felde ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0401" n="373"/><fw place="top" type="header">Die spanische Jagd.</fw><lb/>
lockt wurden) mit Keulen von Eschenholz. Der gewöhnliche<lb/>
Jagdsport der Damen aber war die Kaninchenjagd, mit Spür-<lb/>
hunden und Flinten. Auf solchen Jagden folgten den Hofdamen<lb/>
heimlich ihre <hi rendition="#i">galanes</hi>, was, wenn es bekannt wurde, Verweisung<lb/>
vom Hof zur Folge hatte.</p><lb/>
          <p>Die Liebe zur Jagd war allen Klassen eigen, jeder mochte<lb/>
hier gerne Virtuos sein, und mit <hi rendition="#i">franqueza</hi> in schweren Stücken<lb/>
sich zeigen; Reiche und Lumpen lernten Vögel im Flug, Hasen<lb/>
und Kaninchen im Lauf treffen, vom trabenden Pferde herab.<lb/>
Jeder fühlte sich als kompetenter Kunstrichter. Indess die könig-<lb/>
lichen Jagdpartien waren nur sehr wenigen zugänglich, sie blieben<lb/>
auf den intimsten Kreis beschränkt. Selbst fürstliche Gäste, die<lb/>
in Buen Retiro oder in der Casa del tesoro einlogirt wurden,<lb/>
nahm man selten mit. Denn &#x201E;bei den tagelangen Fahrten und<lb/>
dem Alleinsein war zuviel Gelegenheit für Vertraulichkeit und<lb/>
&#x201A;Humanität&#x201B;, die in Spanien nicht gebräuchlich war, ausser bei<lb/>
nahen Verwandten und sehr grossen Fürsten.&#x201C; Nur bei den ein-<lb/>
gestellten Jagden im Pardo strömten die Schaulustigen aus der<lb/>
nur zwei Meilen entfernten Hauptstadt herbei, und suchten etwas<lb/>
von diesem unvergleichlichen und aufregenden Schauspiel, in dem<lb/>
die Majestät selbst Protagonist war, zu erhaschen.</p><lb/>
          <p>Den Jagdhofstaat nennt der Venezianer Girolamo Giustiniani<lb/>
ein Heer. Er vertheilt sich unter das alte kastilische Haus, zu<lb/>
dem die <hi rendition="#i">monteria</hi> gehörte mit dem <hi rendition="#i">Montero mayor</hi>, immer einem<lb/>
Granden, an der Spitze, und das burgundische Haus, die Schützen<lb/>
(<hi rendition="#i">ballesteros</hi>), deren Haupt der <hi rendition="#i">Caballerizo mayor</hi> war. Die Re-<lb/>
viere zwischen denen sich der Jahreslauf der Jagd bewegte,<lb/>
waren der Escorial, Balsain (das spätere S. Ildefonso), Escalona,<lb/>
Ventosilla del Tago, Toledo und vor allem Aranjuez, wo Dam-<lb/>
und Schwarzwild und Hühner in solchem Ueberfluss waren, dass<lb/>
der Umkreis von sechs Meilen &#x201E;ein Thiergarten schien&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Philipp IV war der rüstigste und verwegenste Jäger seiner<lb/>
Zeit, und in diesem Stück sogar Erfinder. Bereits als dreizehn-<lb/>
jähriger hatte er in Gegenwart seines Vaters und seiner Gemahlin,<lb/>
von dem Falben Guijarrillo herab einen Keiler abgefangen. Und<lb/>
noch an der Schwelle des Greisenalters, eine Ruine, verdiente<lb/>
er sich den donnernden Beifall der Jagdgesellschaft, als er ein<lb/>
mächtiges Thier im Pardo mit der Lanze durchbohrte. Einer<lb/>
seiner Meisterschüsse ist zum Gegenstand eines besondern Schrift-<lb/>
chens gemacht worden. In einem Thiergefecht des Palastplatzes<lb/>
hatte der Stier alle seine Mitkombattanten aus dem Felde ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[373/0401] Die spanische Jagd. lockt wurden) mit Keulen von Eschenholz. Der gewöhnliche Jagdsport der Damen aber war die Kaninchenjagd, mit Spür- hunden und Flinten. Auf solchen Jagden folgten den Hofdamen heimlich ihre galanes, was, wenn es bekannt wurde, Verweisung vom Hof zur Folge hatte. Die Liebe zur Jagd war allen Klassen eigen, jeder mochte hier gerne Virtuos sein, und mit franqueza in schweren Stücken sich zeigen; Reiche und Lumpen lernten Vögel im Flug, Hasen und Kaninchen im Lauf treffen, vom trabenden Pferde herab. Jeder fühlte sich als kompetenter Kunstrichter. Indess die könig- lichen Jagdpartien waren nur sehr wenigen zugänglich, sie blieben auf den intimsten Kreis beschränkt. Selbst fürstliche Gäste, die in Buen Retiro oder in der Casa del tesoro einlogirt wurden, nahm man selten mit. Denn „bei den tagelangen Fahrten und dem Alleinsein war zuviel Gelegenheit für Vertraulichkeit und ‚Humanität‛, die in Spanien nicht gebräuchlich war, ausser bei nahen Verwandten und sehr grossen Fürsten.“ Nur bei den ein- gestellten Jagden im Pardo strömten die Schaulustigen aus der nur zwei Meilen entfernten Hauptstadt herbei, und suchten etwas von diesem unvergleichlichen und aufregenden Schauspiel, in dem die Majestät selbst Protagonist war, zu erhaschen. Den Jagdhofstaat nennt der Venezianer Girolamo Giustiniani ein Heer. Er vertheilt sich unter das alte kastilische Haus, zu dem die monteria gehörte mit dem Montero mayor, immer einem Granden, an der Spitze, und das burgundische Haus, die Schützen (ballesteros), deren Haupt der Caballerizo mayor war. Die Re- viere zwischen denen sich der Jahreslauf der Jagd bewegte, waren der Escorial, Balsain (das spätere S. Ildefonso), Escalona, Ventosilla del Tago, Toledo und vor allem Aranjuez, wo Dam- und Schwarzwild und Hühner in solchem Ueberfluss waren, dass der Umkreis von sechs Meilen „ein Thiergarten schien“. Philipp IV war der rüstigste und verwegenste Jäger seiner Zeit, und in diesem Stück sogar Erfinder. Bereits als dreizehn- jähriger hatte er in Gegenwart seines Vaters und seiner Gemahlin, von dem Falben Guijarrillo herab einen Keiler abgefangen. Und noch an der Schwelle des Greisenalters, eine Ruine, verdiente er sich den donnernden Beifall der Jagdgesellschaft, als er ein mächtiges Thier im Pardo mit der Lanze durchbohrte. Einer seiner Meisterschüsse ist zum Gegenstand eines besondern Schrift- chens gemacht worden. In einem Thiergefecht des Palastplatzes hatte der Stier alle seine Mitkombattanten aus dem Felde ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/401
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/401>, abgerufen am 29.04.2024.