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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.

Das Buch ist darum noch nicht eine blosse Compilation von
rein literarischem Niveau, nein, es trägt das Colorit einer Künstler-
arbeit, in Interessen, Urtheilen, Ausdrücken, und steht in Gehalt
und Lebendigkeit doch über jenen phrasenhaften Machwerken
der Italiener, die nur der Buchmachereitelkeit ihre Entstehung
verdanken. Am werthvollsten sind die zahlreichen Notizen über
spanische Künstler, welche einen Einblick geben in die Parteiun-
gen, Streitfragen und Losungsworte von damals. Von manchen
Controversen würde man, da die Ultraradikalen und Knownothings
jener Tage, Dank dem Sieb der Zeit, der Vergessenheit ver-
fallen sind, keine Ahnung haben. Hier wo er selbst Partei war,
gewinnt seine Sprache Wärme und Farbe. Kurz während man
oft kaum die Geduld übrig hat seine Bilder anzusehen, liest
man das Buch mit wachsendem Interesse, besonders da es auch
in reinem, klarem Spanisch geschrieben ist. Wir lernen da einen
Mann kennen, beschränkt und allseitig, peinlich streng und
liberal, Kosmopolit und advocatus patriae, Humanist und im
Vertrauen des heil. Uffiz. Die verächtlich von dem Buch gesprochen
haben, bewiesen damit, falls sie es gelesen haben, dass sie nicht
einmal im stande waren, es zu gebrauchen; seine Benutzung in
gegenwärtiger Schrift wird den Beweis liefern, wie verfehlt es
war, es "ein ebenso gelehrtes wie unnützes Werk" zu nennen1).

Der Abschnitt, auf welchen er selbst am meisten Werth
legte2), eine Art Kanon der heiligen Bilder, ist freilich voll von
Wunderlichkeiten. Seine Absicht war (wie sein Temperament)
kritisch: das Factum von den Entstellungen der Zeit zu säu-
bern, das echte Bild des Alterthums zu gewinnen. Sein höchster
Ehrgeiz war, dass man ihn des Ehrennamens für werth halte,
den Petrarca im Triumph des Ruhms dem Homer ertheilt:
primo pittor delle memorie antiche.

Er übt auch an einigen der beliebtesten Legenden, wie des
heil. Georg, Christoph, eine vielen gewiss unbequeme Kritik.
Die Wahrheit gehe über die Kunst, ja über das Bedürfniss der
Frommen. "Die kirchlichen Bilder sind ein Volksbuch, aber es
soll ein wahres Buch sein . . . . Leider lieben gerade die her-
vorragenden Künstler die Freiheit ihrer Ideen gar zu sehr, un-
geduldig das Joch der Vernunft abschüttelnd; in ihren Werken

1) Obra tan docta como inutil. Menendez Pelayo, Historia de las ideas este-
ticas II, 622 hat dies Urtheil P. Madrazo's noch mit andern Gründen widerlegt.
2) El mas ilustre y grande argumento de nuestro libro. I, 104.
Erstes Buch.

Das Buch ist darum noch nicht eine blosse Compilation von
rein literarischem Niveau, nein, es trägt das Colorit einer Künstler-
arbeit, in Interessen, Urtheilen, Ausdrücken, und steht in Gehalt
und Lebendigkeit doch über jenen phrasenhaften Machwerken
der Italiener, die nur der Buchmachereitelkeit ihre Entstehung
verdanken. Am werthvollsten sind die zahlreichen Notizen über
spanische Künstler, welche einen Einblick geben in die Parteiun-
gen, Streitfragen und Losungsworte von damals. Von manchen
Controversen würde man, da die Ultraradikalen und Knownothings
jener Tage, Dank dem Sieb der Zeit, der Vergessenheit ver-
fallen sind, keine Ahnung haben. Hier wo er selbst Partei war,
gewinnt seine Sprache Wärme und Farbe. Kurz während man
oft kaum die Geduld übrig hat seine Bilder anzusehen, liest
man das Buch mit wachsendem Interesse, besonders da es auch
in reinem, klarem Spanisch geschrieben ist. Wir lernen da einen
Mann kennen, beschränkt und allseitig, peinlich streng und
liberal, Kosmopolit und advocatus patriae, Humanist und im
Vertrauen des heil. Uffiz. Die verächtlich von dem Buch gesprochen
haben, bewiesen damit, falls sie es gelesen haben, dass sie nicht
einmal im stande waren, es zu gebrauchen; seine Benutzung in
gegenwärtiger Schrift wird den Beweis liefern, wie verfehlt es
war, es „ein ebenso gelehrtes wie unnützes Werk“ zu nennen1).

Der Abschnitt, auf welchen er selbst am meisten Werth
legte2), eine Art Kanon der heiligen Bilder, ist freilich voll von
Wunderlichkeiten. Seine Absicht war (wie sein Temperament)
kritisch: das Factum von den Entstellungen der Zeit zu säu-
bern, das echte Bild des Alterthums zu gewinnen. Sein höchster
Ehrgeiz war, dass man ihn des Ehrennamens für werth halte,
den Petrarca im Triumph des Ruhms dem Homer ertheilt:
primo pittor delle memorie antiche.

Er übt auch an einigen der beliebtesten Legenden, wie des
heil. Georg, Christoph, eine vielen gewiss unbequeme Kritik.
Die Wahrheit gehe über die Kunst, ja über das Bedürfniss der
Frommen. „Die kirchlichen Bilder sind ein Volksbuch, aber es
soll ein wahres Buch sein . . . . Leider lieben gerade die her-
vorragenden Künstler die Freiheit ihrer Ideen gar zu sehr, un-
geduldig das Joch der Vernunft abschüttelnd; in ihren Werken

1) Obra tan docta como inútil. Menendez Pelayo, Historia de las ideas esté-
ticas II, 622 hat dies Urtheil P. Madrazo’s noch mit andern Gründen widerlegt.
2) El mas ilustre y grande argumento de nuestro libro. I, 104.
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[70/0090] Erstes Buch. Das Buch ist darum noch nicht eine blosse Compilation von rein literarischem Niveau, nein, es trägt das Colorit einer Künstler- arbeit, in Interessen, Urtheilen, Ausdrücken, und steht in Gehalt und Lebendigkeit doch über jenen phrasenhaften Machwerken der Italiener, die nur der Buchmachereitelkeit ihre Entstehung verdanken. Am werthvollsten sind die zahlreichen Notizen über spanische Künstler, welche einen Einblick geben in die Parteiun- gen, Streitfragen und Losungsworte von damals. Von manchen Controversen würde man, da die Ultraradikalen und Knownothings jener Tage, Dank dem Sieb der Zeit, der Vergessenheit ver- fallen sind, keine Ahnung haben. Hier wo er selbst Partei war, gewinnt seine Sprache Wärme und Farbe. Kurz während man oft kaum die Geduld übrig hat seine Bilder anzusehen, liest man das Buch mit wachsendem Interesse, besonders da es auch in reinem, klarem Spanisch geschrieben ist. Wir lernen da einen Mann kennen, beschränkt und allseitig, peinlich streng und liberal, Kosmopolit und advocatus patriae, Humanist und im Vertrauen des heil. Uffiz. Die verächtlich von dem Buch gesprochen haben, bewiesen damit, falls sie es gelesen haben, dass sie nicht einmal im stande waren, es zu gebrauchen; seine Benutzung in gegenwärtiger Schrift wird den Beweis liefern, wie verfehlt es war, es „ein ebenso gelehrtes wie unnützes Werk“ zu nennen 1). Der Abschnitt, auf welchen er selbst am meisten Werth legte 2), eine Art Kanon der heiligen Bilder, ist freilich voll von Wunderlichkeiten. Seine Absicht war (wie sein Temperament) kritisch: das Factum von den Entstellungen der Zeit zu säu- bern, das echte Bild des Alterthums zu gewinnen. Sein höchster Ehrgeiz war, dass man ihn des Ehrennamens für werth halte, den Petrarca im Triumph des Ruhms dem Homer ertheilt: primo pittor delle memorie antiche. Er übt auch an einigen der beliebtesten Legenden, wie des heil. Georg, Christoph, eine vielen gewiss unbequeme Kritik. Die Wahrheit gehe über die Kunst, ja über das Bedürfniss der Frommen. „Die kirchlichen Bilder sind ein Volksbuch, aber es soll ein wahres Buch sein . . . . Leider lieben gerade die her- vorragenden Künstler die Freiheit ihrer Ideen gar zu sehr, un- geduldig das Joch der Vernunft abschüttelnd; in ihren Werken 1) Obra tan docta como inútil. Menendez Pelayo, Historia de las ideas esté- ticas II, 622 hat dies Urtheil P. Madrazo’s noch mit andern Gründen widerlegt. 2) El mas ilustre y grande argumento de nuestro libro. I, 104.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/90>, abgerufen am 28.04.2024.