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Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.

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Allgemeine Naturgeschichte
ein System in den verschiedenen Gegenden des un-
endlichen Raumes gebrauchet, zur Reise seiner
Ausbildung zu kommen, so, daß diese Periode de-
sto kürzer ist, je näher der Bildungsplatz eines
Weltbaues sich dem Centro der Schöpfung befin-
det, weil daselbst die Elemente des Stoffes dichter
gehäufet sind, und dagegen um desto länger Zeit
erfordert, je weiter der Abstand ist, weil die Par-
tikeln daselbst zerstreueter sind, und später zur Bil-
dung zusammen kommen.

Wenn man die ganze Hypothese, die ich ent-
werfe, in dem ganzen Umfange sowohl dessen, was
ich gesagt habe, als was ich noch eigentlich darle-
gen werde, erweget; so wird man die Kühnheit
ihrer Forderungen wenigstens nicht vor unfähig
halten, eine Entschuldigung anzunehmen. Man
kan den unvermeidlichen Hang, den ein jegliches
zur Vollkommenheit gebrachtes Weltgebäude nach
und nach zu seinem Untergange hat, unter die
Gründe rechnen, die es bewähren können, daß das
Universum dagegen in andern Gegenden an Wel-
ten fruchtbar seyn werde, um den Mangel zu erse-
tzen, den es an einem Orte erlitten hat. Das gan-
ze Stück der Natur, das wir kennen, ob es gleich
nur ein Atomus in Ansehung dessen ist, was über
oder unter unserem Gesichtskreise verborgen bleibt,
bestätiget doch diese Fruchtbarkeit der Natur,
die ohne Schranken ist, weil sie nicht anders, als
die Ausübung der göttlichen Allmacht, selber ist.
Unzählige Thiere und Pflanzen werden täglich zer-

stö-

Allgemeine Naturgeſchichte
ein Syſtem in den verſchiedenen Gegenden des un-
endlichen Raumes gebrauchet, zur Reiſe ſeiner
Ausbildung zu kommen, ſo, daß dieſe Periode de-
ſto kuͤrzer iſt, je naͤher der Bildungsplatz eines
Weltbaues ſich dem Centro der Schoͤpfung befin-
det, weil daſelbſt die Elemente des Stoffes dichter
gehaͤufet ſind, und dagegen um deſto laͤnger Zeit
erfordert, je weiter der Abſtand iſt, weil die Par-
tikeln daſelbſt zerſtreueter ſind, und ſpaͤter zur Bil-
dung zuſammen kommen.

Wenn man die ganze Hypotheſe, die ich ent-
werfe, in dem ganzen Umfange ſowohl deſſen, was
ich geſagt habe, als was ich noch eigentlich darle-
gen werde, erweget; ſo wird man die Kuͤhnheit
ihrer Forderungen wenigſtens nicht vor unfaͤhig
halten, eine Entſchuldigung anzunehmen. Man
kan den unvermeidlichen Hang, den ein jegliches
zur Vollkommenheit gebrachtes Weltgebaͤude nach
und nach zu ſeinem Untergange hat, unter die
Gruͤnde rechnen, die es bewaͤhren koͤnnen, daß das
Univerſum dagegen in andern Gegenden an Wel-
ten fruchtbar ſeyn werde, um den Mangel zu erſe-
tzen, den es an einem Orte erlitten hat. Das gan-
ze Stuͤck der Natur, das wir kennen, ob es gleich
nur ein Atomus in Anſehung deſſen iſt, was uͤber
oder unter unſerem Geſichtskreiſe verborgen bleibt,
beſtaͤtiget doch dieſe Fruchtbarkeit der Natur,
die ohne Schranken iſt, weil ſie nicht anders, als
die Ausuͤbung der goͤttlichen Allmacht, ſelber iſt.
Unzaͤhlige Thiere und Pflanzen werden taͤglich zer-

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[118/0186] Allgemeine Naturgeſchichte ein Syſtem in den verſchiedenen Gegenden des un- endlichen Raumes gebrauchet, zur Reiſe ſeiner Ausbildung zu kommen, ſo, daß dieſe Periode de- ſto kuͤrzer iſt, je naͤher der Bildungsplatz eines Weltbaues ſich dem Centro der Schoͤpfung befin- det, weil daſelbſt die Elemente des Stoffes dichter gehaͤufet ſind, und dagegen um deſto laͤnger Zeit erfordert, je weiter der Abſtand iſt, weil die Par- tikeln daſelbſt zerſtreueter ſind, und ſpaͤter zur Bil- dung zuſammen kommen. Wenn man die ganze Hypotheſe, die ich ent- werfe, in dem ganzen Umfange ſowohl deſſen, was ich geſagt habe, als was ich noch eigentlich darle- gen werde, erweget; ſo wird man die Kuͤhnheit ihrer Forderungen wenigſtens nicht vor unfaͤhig halten, eine Entſchuldigung anzunehmen. Man kan den unvermeidlichen Hang, den ein jegliches zur Vollkommenheit gebrachtes Weltgebaͤude nach und nach zu ſeinem Untergange hat, unter die Gruͤnde rechnen, die es bewaͤhren koͤnnen, daß das Univerſum dagegen in andern Gegenden an Wel- ten fruchtbar ſeyn werde, um den Mangel zu erſe- tzen, den es an einem Orte erlitten hat. Das gan- ze Stuͤck der Natur, das wir kennen, ob es gleich nur ein Atomus in Anſehung deſſen iſt, was uͤber oder unter unſerem Geſichtskreiſe verborgen bleibt, beſtaͤtiget doch dieſe Fruchtbarkeit der Natur, die ohne Schranken iſt, weil ſie nicht anders, als die Ausuͤbung der goͤttlichen Allmacht, ſelber iſt. Unzaͤhlige Thiere und Pflanzen werden taͤglich zer- ſtoͤ-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/186>, abgerufen am 29.04.2024.