Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsätzen
stellungen der Gegenstände mögen noch so ungleichartig, sie
mögen Verstandes-, selbst Vernunftvorstellungen im Gegensatze
der Vorstellungen der Sinne seyn, so ist doch das Gefühl der
Lust, wodurch jene doch eigentlich nur den Bestimmungsgrund
des Willens ausmachen, (die Annehmlichkeit, das Vergnügen,
das man davon erwartet, welches die Thätigkeit zur Hervor-
bringung des Objects antreibt,) nicht allein so fern von einer-
ley Art, daß es jederzeit blos empirisch erkannt werden kann,
sondern auch so fern, als er eine und dieselbe Lebenskraft, die
sich im Begehrungsvermögen äußert, afficirt, und in dieser
Beziehung von jedem anderen Bestimmungsgrunde in nichts,
als dem Grade, verschieden seyn kann. Wie würde man son-
sten zwischen zwey der Vorstellungsart nach gänzlich verschiede-
nen Bestimmungsgründen eine Vergleichung der Größe nach
anstellen können, um den, der am meisten das Begehrungs-
vermögen afficirt, vorzuziehen? Eben derselbe Mensch kann
ein ihm lehrreiches Buch, das ihm nur einmal zu Händen
kommt, ungelesen zurückgeben, um die Jagd nicht zu versäu-
men, in der Mitte einer schönen Rede weggehen, um zur
Mahlzeit nicht zu spät zu kommen, eine Unterhaltung durch
vernünftige Gespräche, die er sonst sehr schätzt, verlassen, um
sich an den Spieltisch zu setzen, so gar einen Armen, dem
wohlzuthun ihm sonst Freude ist, abweisen, weil er jetzt
eben nicht mehr Geld in der Tasche hat, als er braucht, um
den Eintritt in die Comödie zu bezahlen. Beruht die Wil-
lensbestimmung auf dem Gefühle der Annehmlichkeit oder
Unannehmlichkeit, die er aus irgend einer Ursache erwartet,
so ist es ihm gänzlich einerley, durch welche Vorstellungsart
er afficirt werde. Nur wie stark, wie lange, wie leicht er-
worben und oft wiederholt, diese Annehmlichkeit sey, daran
liegt es ihm, um sich zur Wahl zu entschließen. So wie dem-

jenigen,

I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
ſtellungen der Gegenſtaͤnde moͤgen noch ſo ungleichartig, ſie
moͤgen Verſtandes-, ſelbſt Vernunftvorſtellungen im Gegenſatze
der Vorſtellungen der Sinne ſeyn, ſo iſt doch das Gefuͤhl der
Luſt, wodurch jene doch eigentlich nur den Beſtimmungsgrund
des Willens ausmachen, (die Annehmlichkeit, das Vergnuͤgen,
das man davon erwartet, welches die Thaͤtigkeit zur Hervor-
bringung des Objects antreibt,) nicht allein ſo fern von einer-
ley Art, daß es jederzeit blos empiriſch erkannt werden kann,
ſondern auch ſo fern, als er eine und dieſelbe Lebenskraft, die
ſich im Begehrungsvermoͤgen aͤußert, afficirt, und in dieſer
Beziehung von jedem anderen Beſtimmungsgrunde in nichts,
als dem Grade, verſchieden ſeyn kann. Wie wuͤrde man ſon-
ſten zwiſchen zwey der Vorſtellungsart nach gaͤnzlich verſchiede-
nen Beſtimmungsgruͤnden eine Vergleichung der Groͤße nach
anſtellen koͤnnen, um den, der am meiſten das Begehrungs-
vermoͤgen afficirt, vorzuziehen? Eben derſelbe Menſch kann
ein ihm lehrreiches Buch, das ihm nur einmal zu Haͤnden
kommt, ungeleſen zuruͤckgeben, um die Jagd nicht zu verſaͤu-
men, in der Mitte einer ſchoͤnen Rede weggehen, um zur
Mahlzeit nicht zu ſpaͤt zu kommen, eine Unterhaltung durch
vernuͤnftige Geſpraͤche, die er ſonſt ſehr ſchaͤtzt, verlaſſen, um
ſich an den Spieltiſch zu ſetzen, ſo gar einen Armen, dem
wohlzuthun ihm ſonſt Freude iſt, abweiſen, weil er jetzt
eben nicht mehr Geld in der Taſche hat, als er braucht, um
den Eintritt in die Comoͤdie zu bezahlen. Beruht die Wil-
lensbeſtimmung auf dem Gefuͤhle der Annehmlichkeit oder
Unannehmlichkeit, die er aus irgend einer Urſache erwartet,
ſo iſt es ihm gaͤnzlich einerley, durch welche Vorſtellungsart
er afficirt werde. Nur wie ſtark, wie lange, wie leicht er-
worben und oft wiederholt, dieſe Annehmlichkeit ſey, daran
liegt es ihm, um ſich zur Wahl zu entſchließen. So wie dem-

jenigen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0050" n="42"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> B. <hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. Von den Grund&#x017F;a&#x0364;tzen</fw><lb/>
&#x017F;tellungen der Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde mo&#x0364;gen noch &#x017F;o ungleichartig, &#x017F;ie<lb/>
mo&#x0364;gen Ver&#x017F;tandes-, &#x017F;elb&#x017F;t Vernunftvor&#x017F;tellungen im Gegen&#x017F;atze<lb/>
der Vor&#x017F;tellungen der Sinne &#x017F;eyn, &#x017F;o i&#x017F;t doch das Gefu&#x0364;hl der<lb/>
Lu&#x017F;t, wodurch jene doch eigentlich nur den Be&#x017F;timmungsgrund<lb/>
des Willens ausmachen, (die Annehmlichkeit, das Vergnu&#x0364;gen,<lb/>
das man davon erwartet, welches die Tha&#x0364;tigkeit zur Hervor-<lb/>
bringung des Objects antreibt,) nicht allein &#x017F;o fern von einer-<lb/>
ley Art, daß es jederzeit blos empiri&#x017F;ch erkannt werden kann,<lb/>
&#x017F;ondern auch &#x017F;o fern, als er eine und die&#x017F;elbe Lebenskraft, die<lb/>
&#x017F;ich im Begehrungsvermo&#x0364;gen a&#x0364;ußert, afficirt, und in die&#x017F;er<lb/>
Beziehung von jedem anderen Be&#x017F;timmungsgrunde in nichts,<lb/>
als dem Grade, ver&#x017F;chieden &#x017F;eyn kann. Wie wu&#x0364;rde man &#x017F;on-<lb/>
&#x017F;ten zwi&#x017F;chen zwey der Vor&#x017F;tellungsart nach ga&#x0364;nzlich ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Be&#x017F;timmungsgru&#x0364;nden eine Vergleichung der Gro&#x0364;ße nach<lb/>
an&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen, um den, der am mei&#x017F;ten das Begehrungs-<lb/>
vermo&#x0364;gen afficirt, vorzuziehen? Eben der&#x017F;elbe Men&#x017F;ch kann<lb/>
ein ihm lehrreiches Buch, das ihm nur einmal zu Ha&#x0364;nden<lb/>
kommt, ungele&#x017F;en zuru&#x0364;ckgeben, um die Jagd nicht zu ver&#x017F;a&#x0364;u-<lb/>
men, in der Mitte einer &#x017F;cho&#x0364;nen Rede weggehen, um zur<lb/>
Mahlzeit nicht zu &#x017F;pa&#x0364;t zu kommen, eine Unterhaltung durch<lb/>
vernu&#x0364;nftige Ge&#x017F;pra&#x0364;che, die er &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;cha&#x0364;tzt, verla&#x017F;&#x017F;en, um<lb/>
&#x017F;ich an den Spielti&#x017F;ch zu &#x017F;etzen, &#x017F;o gar einen Armen, dem<lb/>
wohlzuthun ihm &#x017F;on&#x017F;t Freude i&#x017F;t, abwei&#x017F;en, weil er jetzt<lb/>
eben nicht mehr Geld in der Ta&#x017F;che hat, als er braucht, um<lb/>
den Eintritt in die Como&#x0364;die zu bezahlen. Beruht die Wil-<lb/>
lensbe&#x017F;timmung auf dem Gefu&#x0364;hle der Annehmlichkeit oder<lb/>
Unannehmlichkeit, die er aus irgend einer Ur&#x017F;ache erwartet,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es ihm ga&#x0364;nzlich einerley, durch welche Vor&#x017F;tellungsart<lb/>
er afficirt werde. Nur wie &#x017F;tark, wie lange, wie leicht er-<lb/>
worben und oft wiederholt, die&#x017F;e Annehmlichkeit &#x017F;ey, daran<lb/>
liegt es ihm, um &#x017F;ich zur Wahl zu ent&#x017F;chließen. So wie dem-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">jenigen,</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0050] I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen ſtellungen der Gegenſtaͤnde moͤgen noch ſo ungleichartig, ſie moͤgen Verſtandes-, ſelbſt Vernunftvorſtellungen im Gegenſatze der Vorſtellungen der Sinne ſeyn, ſo iſt doch das Gefuͤhl der Luſt, wodurch jene doch eigentlich nur den Beſtimmungsgrund des Willens ausmachen, (die Annehmlichkeit, das Vergnuͤgen, das man davon erwartet, welches die Thaͤtigkeit zur Hervor- bringung des Objects antreibt,) nicht allein ſo fern von einer- ley Art, daß es jederzeit blos empiriſch erkannt werden kann, ſondern auch ſo fern, als er eine und dieſelbe Lebenskraft, die ſich im Begehrungsvermoͤgen aͤußert, afficirt, und in dieſer Beziehung von jedem anderen Beſtimmungsgrunde in nichts, als dem Grade, verſchieden ſeyn kann. Wie wuͤrde man ſon- ſten zwiſchen zwey der Vorſtellungsart nach gaͤnzlich verſchiede- nen Beſtimmungsgruͤnden eine Vergleichung der Groͤße nach anſtellen koͤnnen, um den, der am meiſten das Begehrungs- vermoͤgen afficirt, vorzuziehen? Eben derſelbe Menſch kann ein ihm lehrreiches Buch, das ihm nur einmal zu Haͤnden kommt, ungeleſen zuruͤckgeben, um die Jagd nicht zu verſaͤu- men, in der Mitte einer ſchoͤnen Rede weggehen, um zur Mahlzeit nicht zu ſpaͤt zu kommen, eine Unterhaltung durch vernuͤnftige Geſpraͤche, die er ſonſt ſehr ſchaͤtzt, verlaſſen, um ſich an den Spieltiſch zu ſetzen, ſo gar einen Armen, dem wohlzuthun ihm ſonſt Freude iſt, abweiſen, weil er jetzt eben nicht mehr Geld in der Taſche hat, als er braucht, um den Eintritt in die Comoͤdie zu bezahlen. Beruht die Wil- lensbeſtimmung auf dem Gefuͤhle der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, die er aus irgend einer Urſache erwartet, ſo iſt es ihm gaͤnzlich einerley, durch welche Vorſtellungsart er afficirt werde. Nur wie ſtark, wie lange, wie leicht er- worben und oft wiederholt, dieſe Annehmlichkeit ſey, daran liegt es ihm, um ſich zur Wahl zu entſchließen. So wie dem- jenigen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/50
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/50>, abgerufen am 26.04.2024.