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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Es zeiget sich aber in dieser Antinomie ein seltsamer
Contrast: daß nemlich aus eben demselben Beweisgrunde,
woraus in der Thesis das Daseyn eines Urwesens geschlos-
sen wurde, in der Antithesis das Nichtseyn desselben, und
zwar mit derselben Schärfe, geschlossen wird. Erst hieß
es: es ist ein nothwendiges Wesen, weil die ganze ver-
gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit also
auch das Unbedingte (Nothwendige) in sich faßt; Nun heißt
es: es ist kein nothwendiges Wesen, eben darum, weil
die ganze verflossene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die
mithin insgesamt wiederum bedingt seyn) in sich faßt. Die
Ursache hievon ist diese. Das erste Argument siehet nur auf die
absolute Totalität der Reihe der Bedingungen, deren
eine die andere in der Zeit bestimt, und bekomt dadurch
ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht
dagegen die Zufälligkeit alles dessen, was in der Zeitreihe
bestimt ist, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit
vorhergeht, darin die Bedingung selbst wiederum als be-
dingt bestimt seyn muß) wodurch denn alles Unbedingte,

und

Es zeiget ſich aber in dieſer Antinomie ein ſeltſamer
Contraſt: daß nemlich aus eben demſelben Beweisgrunde,
woraus in der Theſis das Daſeyn eines Urweſens geſchloſ-
ſen wurde, in der Antitheſis das Nichtſeyn deſſelben, und
zwar mit derſelben Schaͤrfe, geſchloſſen wird. Erſt hieß
es: es iſt ein nothwendiges Weſen, weil die ganze ver-
gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit alſo
auch das Unbedingte (Nothwendige) in ſich faßt; Nun heißt
es: es iſt kein nothwendiges Weſen, eben darum, weil
die ganze verfloſſene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die
mithin insgeſamt wiederum bedingt ſeyn) in ſich faßt. Die
Urſache hievon iſt dieſe. Das erſte Argument ſiehet nur auf die
abſolute Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, deren
eine die andere in der Zeit beſtimt, und bekomt dadurch
ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht
dagegen die Zufaͤlligkeit alles deſſen, was in der Zeitreihe
beſtimt iſt, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit
vorhergeht, darin die Bedingung ſelbſt wiederum als be-
dingt beſtimt ſeyn muß) wodurch denn alles Unbedingte,

und
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[[459]/0489] Es zeiget ſich aber in dieſer Antinomie ein ſeltſamer Contraſt: daß nemlich aus eben demſelben Beweisgrunde, woraus in der Theſis das Daſeyn eines Urweſens geſchloſ- ſen wurde, in der Antitheſis das Nichtſeyn deſſelben, und zwar mit derſelben Schaͤrfe, geſchloſſen wird. Erſt hieß es: es iſt ein nothwendiges Weſen, weil die ganze ver- gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit alſo auch das Unbedingte (Nothwendige) in ſich faßt; Nun heißt es: es iſt kein nothwendiges Weſen, eben darum, weil die ganze verfloſſene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die mithin insgeſamt wiederum bedingt ſeyn) in ſich faßt. Die Urſache hievon iſt dieſe. Das erſte Argument ſiehet nur auf die abſolute Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, deren eine die andere in der Zeit beſtimt, und bekomt dadurch ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht dagegen die Zufaͤlligkeit alles deſſen, was in der Zeitreihe beſtimt iſt, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit vorhergeht, darin die Bedingung ſelbſt wiederum als be- dingt beſtimt ſeyn muß) wodurch denn alles Unbedingte, und

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [459]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/489>, abgerufen am 30.04.2024.