Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte der reinen Vernunft.
Welt glücklich zu seyn, als den guten Lebenswandel. Da-
her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern,
oder besser, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver-
nunftforschungen, denen man sich nachher iederzeit gewid-
met hat. Die erstere war indessen eigentlich das, was die
blos speculative Vernunft nach und nach in das Geschäfte
zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta-
physik so berühmt geworden.

Ich will iezt die Zeiten nicht unterscheiden, auf wel-
che diese oder iene Veränderung der Metaphysik traf, son-
dern nur die Verschiedenheit der Idee, welche die haupt-
sächlichste Revolutionen veranlaßte, in einem flüchtigen
Abrisse darstellen. Und da finde ich eine dreifache Absicht,
in welcher die nahmhafteste Veränderungen auf dieser Büh-
ne des Streits gestiftet worden.

1. In Ansehung des Gegenstandes aller unserer
Vernunfterkentnisse, waren einige blos Sensual- andere
blos Intellectualphilosophen. Epikur kan der vornehm-
ste Philosoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen
genant werden. Dieser Unterschied der Schulen aber, so
subtil er auch ist, hatte schon in den frühesten Zeiten an-
gefangen und hat sich lange ununterbrochen erhalten. Die
von der ersteren behaupteten: in den Gegenständen der
Sinne sey allein Wirklichkeit, alles übrige sey Einbildung;
die von der zweiten sagten dagegen: in den Sinnen ist

nichts
H h h 3

Die Geſchichte der reinen Vernunft.
Welt gluͤcklich zu ſeyn, als den guten Lebenswandel. Da-
her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern,
oder beſſer, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver-
nunftforſchungen, denen man ſich nachher iederzeit gewid-
met hat. Die erſtere war indeſſen eigentlich das, was die
blos ſpeculative Vernunft nach und nach in das Geſchaͤfte
zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta-
phyſik ſo beruͤhmt geworden.

Ich will iezt die Zeiten nicht unterſcheiden, auf wel-
che dieſe oder iene Veraͤnderung der Metaphyſik traf, ſon-
dern nur die Verſchiedenheit der Idee, welche die haupt-
ſaͤchlichſte Revolutionen veranlaßte, in einem fluͤchtigen
Abriſſe darſtellen. Und da finde ich eine dreifache Abſicht,
in welcher die nahmhafteſte Veraͤnderungen auf dieſer Buͤh-
ne des Streits geſtiftet worden.

1. In Anſehung des Gegenſtandes aller unſerer
Vernunfterkentniſſe, waren einige blos Senſual- andere
blos Intellectualphiloſophen. Epikur kan der vornehm-
ſte Philoſoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen
genant werden. Dieſer Unterſchied der Schulen aber, ſo
ſubtil er auch iſt, hatte ſchon in den fruͤheſten Zeiten an-
gefangen und hat ſich lange ununterbrochen erhalten. Die
von der erſteren behaupteten: in den Gegenſtaͤnden der
Sinne ſey allein Wirklichkeit, alles uͤbrige ſey Einbildung;
die von der zweiten ſagten dagegen: in den Sinnen iſt

nichts
H h h 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0883" n="853"/><fw place="top" type="header">Die Ge&#x017F;chichte der reinen Vernunft.</fw><lb/>
Welt glu&#x0364;cklich zu &#x017F;eyn, als den guten Lebenswandel. Da-<lb/>
her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern,<lb/>
oder be&#x017F;&#x017F;er, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver-<lb/>
nunftfor&#x017F;chungen, denen man &#x017F;ich nachher iederzeit gewid-<lb/>
met hat. Die er&#x017F;tere war inde&#x017F;&#x017F;en eigentlich das, was die<lb/>
blos &#x017F;peculative Vernunft nach und nach in das Ge&#x017F;cha&#x0364;fte<lb/>
zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta-<lb/>
phy&#x017F;ik &#x017F;o beru&#x0364;hmt geworden.</p><lb/>
          <p>Ich will iezt die Zeiten nicht unter&#x017F;cheiden, auf wel-<lb/>
che die&#x017F;e oder iene Vera&#x0364;nderung der Metaphy&#x017F;ik traf, &#x017F;on-<lb/>
dern nur die Ver&#x017F;chiedenheit der Idee, welche die haupt-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;chlich&#x017F;te Revolutionen veranlaßte, in einem flu&#x0364;chtigen<lb/>
Abri&#x017F;&#x017F;e dar&#x017F;tellen. Und da finde ich eine dreifache Ab&#x017F;icht,<lb/>
in welcher die nahmhafte&#x017F;te Vera&#x0364;nderungen auf die&#x017F;er Bu&#x0364;h-<lb/>
ne des Streits ge&#x017F;tiftet worden.</p><lb/>
          <p>1. In An&#x017F;ehung des Gegen&#x017F;tandes aller un&#x017F;erer<lb/>
Vernunfterkentni&#x017F;&#x017F;e, waren einige blos <hi rendition="#fr">Sen&#x017F;ual</hi>- andere<lb/>
blos Intellectualphilo&#x017F;ophen. Epikur kan der vornehm-<lb/>
&#x017F;te Philo&#x017F;oph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen<lb/>
genant werden. Die&#x017F;er Unter&#x017F;chied der Schulen aber, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ubtil er auch i&#x017F;t, hatte &#x017F;chon in den fru&#x0364;he&#x017F;ten Zeiten an-<lb/>
gefangen und hat &#x017F;ich lange ununterbrochen erhalten. Die<lb/>
von der er&#x017F;teren behaupteten: in den Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden der<lb/>
Sinne &#x017F;ey allein Wirklichkeit, alles u&#x0364;brige &#x017F;ey Einbildung;<lb/>
die von der zweiten &#x017F;agten dagegen: in den Sinnen i&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H h h 3</fw><fw place="bottom" type="catch">nichts</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[853/0883] Die Geſchichte der reinen Vernunft. Welt gluͤcklich zu ſeyn, als den guten Lebenswandel. Da- her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern, oder beſſer, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver- nunftforſchungen, denen man ſich nachher iederzeit gewid- met hat. Die erſtere war indeſſen eigentlich das, was die blos ſpeculative Vernunft nach und nach in das Geſchaͤfte zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta- phyſik ſo beruͤhmt geworden. Ich will iezt die Zeiten nicht unterſcheiden, auf wel- che dieſe oder iene Veraͤnderung der Metaphyſik traf, ſon- dern nur die Verſchiedenheit der Idee, welche die haupt- ſaͤchlichſte Revolutionen veranlaßte, in einem fluͤchtigen Abriſſe darſtellen. Und da finde ich eine dreifache Abſicht, in welcher die nahmhafteſte Veraͤnderungen auf dieſer Buͤh- ne des Streits geſtiftet worden. 1. In Anſehung des Gegenſtandes aller unſerer Vernunfterkentniſſe, waren einige blos Senſual- andere blos Intellectualphiloſophen. Epikur kan der vornehm- ſte Philoſoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen genant werden. Dieſer Unterſchied der Schulen aber, ſo ſubtil er auch iſt, hatte ſchon in den fruͤheſten Zeiten an- gefangen und hat ſich lange ununterbrochen erhalten. Die von der erſteren behaupteten: in den Gegenſtaͤnden der Sinne ſey allein Wirklichkeit, alles uͤbrige ſey Einbildung; die von der zweiten ſagten dagegen: in den Sinnen iſt nichts H h h 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/883
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 853. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/883>, abgerufen am 02.05.2024.