Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
werden. Die erstere sind die, welche Annehmlichkeit oder
Unannehmlichkeit, die zweyte welche Schönheit von ei-
nem Gegenstande, oder Vorstellungsart desselben, aus-
sagen; jene sind Sinnenurtheile (materiale ästhetische
Urtheile), diese allein eigentliche Geschmacksurtheile.

Ein Geschmacksurtheil ist also nur sofern rein, als
kein blos empirisches Wohlgefallen dem Bestimmungs-
grunde desselben beygemischt wird, dieses aber geschieht
allemal, wenn Reiz oder Rührung, einen Antheil an
dem Urtheile haben, dadurch etwas für schön erklärt
werden soll.

Nun thun sich wieder manche Einwürfe hervor, die
zuletzt den Reiz nicht blos zum nothwendigen Jngredienz
der Schönheit, sondern wohl gar als für sich allein hin-
reichend, um schön genannt zu werden, vorspiegeln.
Eine bloße Farbe, z. B. die grüne eines Rasenplatzes,
ein bloßer Ton (zum Unterschiede vom Schalle und Ge-
räusch), wie etwa der einer Violin, wird von den mei-
sten an sich für schön erklärt, ob zwar beyde blos die Ma-
terie der Vorstellungen, nämlich lediglich Empfindung,
zum Grunde zu haben scheinen und darum nur ange-
nehm genannt zu werden verdienten. Allein man wird
doch zugleich bemerken, daß die Empfindungen der Farbe
sowohl als des Tons sich nur sofern für schön gehalten
zu werden berechtigt halten, als beyde rein sind; wel-
ches eine Bestimmung ist, die schon die Form betrift und
auch das einzige, was sich vvn diesen Vorstellungen mit

C 4

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
werden. Die erſtere ſind die, welche Annehmlichkeit oder
Unannehmlichkeit, die zweyte welche Schoͤnheit von ei-
nem Gegenſtande, oder Vorſtellungsart deſſelben, aus-
ſagen; jene ſind Sinnenurtheile (materiale aͤſthetiſche
Urtheile), dieſe allein eigentliche Geſchmacksurtheile.

Ein Geſchmacksurtheil iſt alſo nur ſofern rein, als
kein blos empiriſches Wohlgefallen dem Beſtimmungs-
grunde deſſelben beygemiſcht wird, dieſes aber geſchieht
allemal, wenn Reiz oder Ruͤhrung, einen Antheil an
dem Urtheile haben, dadurch etwas fuͤr ſchoͤn erklaͤrt
werden ſoll.

Nun thun ſich wieder manche Einwuͤrfe hervor, die
zuletzt den Reiz nicht blos zum nothwendigen Jngredienz
der Schoͤnheit, ſondern wohl gar als fuͤr ſich allein hin-
reichend, um ſchoͤn genannt zu werden, vorſpiegeln.
Eine bloße Farbe, z. B. die gruͤne eines Raſenplatzes,
ein bloßer Ton (zum Unterſchiede vom Schalle und Ge-
raͤuſch), wie etwa der einer Violin, wird von den mei-
ſten an ſich fuͤr ſchoͤn erklaͤrt, ob zwar beyde blos die Ma-
terie der Vorſtellungen, naͤmlich lediglich Empfindung,
zum Grunde zu haben ſcheinen und darum nur ange-
nehm genannt zu werden verdienten. Allein man wird
doch zugleich bemerken, daß die Empfindungen der Farbe
ſowohl als des Tons ſich nur ſofern fuͤr ſchoͤn gehalten
zu werden berechtigt halten, als beyde rein ſind; wel-
ches eine Beſtimmung iſt, die ſchon die Form betrift und
auch das einzige, was ſich vvn dieſen Vorſtellungen mit

C 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0103" n="39"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
werden. Die er&#x017F;tere &#x017F;ind die, welche Annehmlichkeit oder<lb/>
Unannehmlichkeit, die zweyte welche Scho&#x0364;nheit von ei-<lb/>
nem Gegen&#x017F;tande, oder Vor&#x017F;tellungsart de&#x017F;&#x017F;elben, aus-<lb/>
&#x017F;agen; jene &#x017F;ind Sinnenurtheile (materiale a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;che<lb/>
Urtheile), die&#x017F;e allein eigentliche Ge&#x017F;chmacksurtheile.</p><lb/>
                <p>Ein Ge&#x017F;chmacksurtheil i&#x017F;t al&#x017F;o nur &#x017F;ofern rein, als<lb/>
kein blos empiri&#x017F;ches Wohlgefallen dem Be&#x017F;timmungs-<lb/>
grunde de&#x017F;&#x017F;elben beygemi&#x017F;cht wird, die&#x017F;es aber ge&#x017F;chieht<lb/>
allemal, wenn Reiz oder Ru&#x0364;hrung, einen Antheil an<lb/>
dem Urtheile haben, dadurch etwas fu&#x0364;r &#x017F;cho&#x0364;n erkla&#x0364;rt<lb/>
werden &#x017F;oll.</p><lb/>
                <p>Nun thun &#x017F;ich wieder manche Einwu&#x0364;rfe hervor, die<lb/>
zuletzt den Reiz nicht blos zum nothwendigen Jngredienz<lb/>
der Scho&#x0364;nheit, &#x017F;ondern wohl gar als fu&#x0364;r &#x017F;ich allein hin-<lb/>
reichend, um &#x017F;cho&#x0364;n genannt zu werden, vor&#x017F;piegeln.<lb/>
Eine bloße Farbe, z. B. die gru&#x0364;ne eines Ra&#x017F;enplatzes,<lb/>
ein bloßer Ton (zum Unter&#x017F;chiede vom Schalle und Ge-<lb/>
ra&#x0364;u&#x017F;ch), wie etwa der einer Violin, wird von den mei-<lb/>
&#x017F;ten an &#x017F;ich fu&#x0364;r &#x017F;cho&#x0364;n erkla&#x0364;rt, ob zwar beyde blos die Ma-<lb/>
terie der Vor&#x017F;tellungen, na&#x0364;mlich lediglich Empfindung,<lb/>
zum Grunde zu haben &#x017F;cheinen und darum nur ange-<lb/>
nehm genannt zu werden verdienten. Allein man wird<lb/>
doch zugleich bemerken, daß die Empfindungen der Farbe<lb/>
&#x017F;owohl als des Tons &#x017F;ich nur &#x017F;ofern fu&#x0364;r &#x017F;cho&#x0364;n gehalten<lb/>
zu werden berechtigt halten, als beyde <hi rendition="#fr">rein</hi> &#x017F;ind; wel-<lb/>
ches eine Be&#x017F;timmung i&#x017F;t, die &#x017F;chon die Form betrift und<lb/>
auch das einzige, was &#x017F;ich vvn die&#x017F;en Vor&#x017F;tellungen mit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 4</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0103] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. werden. Die erſtere ſind die, welche Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, die zweyte welche Schoͤnheit von ei- nem Gegenſtande, oder Vorſtellungsart deſſelben, aus- ſagen; jene ſind Sinnenurtheile (materiale aͤſthetiſche Urtheile), dieſe allein eigentliche Geſchmacksurtheile. Ein Geſchmacksurtheil iſt alſo nur ſofern rein, als kein blos empiriſches Wohlgefallen dem Beſtimmungs- grunde deſſelben beygemiſcht wird, dieſes aber geſchieht allemal, wenn Reiz oder Ruͤhrung, einen Antheil an dem Urtheile haben, dadurch etwas fuͤr ſchoͤn erklaͤrt werden ſoll. Nun thun ſich wieder manche Einwuͤrfe hervor, die zuletzt den Reiz nicht blos zum nothwendigen Jngredienz der Schoͤnheit, ſondern wohl gar als fuͤr ſich allein hin- reichend, um ſchoͤn genannt zu werden, vorſpiegeln. Eine bloße Farbe, z. B. die gruͤne eines Raſenplatzes, ein bloßer Ton (zum Unterſchiede vom Schalle und Ge- raͤuſch), wie etwa der einer Violin, wird von den mei- ſten an ſich fuͤr ſchoͤn erklaͤrt, ob zwar beyde blos die Ma- terie der Vorſtellungen, naͤmlich lediglich Empfindung, zum Grunde zu haben ſcheinen und darum nur ange- nehm genannt zu werden verdienten. Allein man wird doch zugleich bemerken, daß die Empfindungen der Farbe ſowohl als des Tons ſich nur ſofern fuͤr ſchoͤn gehalten zu werden berechtigt halten, als beyde rein ſind; wel- ches eine Beſtimmung iſt, die ſchon die Form betrift und auch das einzige, was ſich vvn dieſen Vorſtellungen mit C 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/103
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/103>, abgerufen am 29.04.2024.