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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.

Jn der Musik geht dieses Spiel von der Empfindung
des Körpers zu ästhetischen Jdeen (der Objecte für Affecten)
von diesen alsdenn wieder zurück, aber mit vereinigter Kraft,
auf den Körper. Jm Scherze (der eben so wohl wie jene
eher zur angenehmen, als schönen Kunst gezählt zu werden
verdient) hebt das Spiel von Gedanken an, die insgesammt,
so fern sie sich sinnlich ausdrücken wollen, auch den Körper
beschäftigen und, indem der Verstand in dieser Darstellung,
darinn er das Erwartete nicht findet, plötzlich nachläßt, so
fühlt man die Wirkung dieser Nachlassung im Körper durch
die Schwingungen der Organen, welche die Herstellung ihres
Gleichgewichts befördert und auf die Gesundheit einen wohl-
thätigen Einflus hat.

Es muß in allem, was ein lebhaftes erschütterndes La-
chen erregen soll, etwas Widersinniges seyn, (woran also
der Verstand an sich kein Wohlgefallen finden kann). Das
Lachen ist ein Affect aus der plötzlichen Verwandlung
einer gespannten Erwartung in nichts.
Eben diese
Verwandlung, die für den Verstand gewis nicht erfreulich
ist, erfreuet doch indirect auf einen Augenblick sehr lebhaft;
also muß die Ursache in dem Einflusse der Vorstellung anf
dem Körper und dessen Wechselwirkung aufs Gemüth be-
stehen und zwar nicht, so fern die Vorstellung objectiv ein
Gegenstand des Vergnügens ist, wie etwa bey einem, der
von einem großen Handlungsgewinn Nachricht bekommt
(denn wie kann eine getäuschte Erwartung vergnügen), son-
dern lediglich dadurch daß sie, als bloßes Spiel der Vorstel-
lungen, ein Spiel der Lebenskräfte im Körper hervorbringt.

Wenn jemand erzählt: daß, als ein Jndianer an der
Tafel eines Engländers in Surat eine Bouteille mit Ale öf-
nen und alles dieses Bier, in Schaum verwandelt, her-
ausdringen sah und mit vielen Ausrufungen seine große Ver-

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Jn der Muſik geht dieſes Spiel von der Empfindung
des Koͤrpers zu aͤſthetiſchen Jdeen (der Objecte fuͤr Affecten)
von dieſen alsdenn wieder zuruͤck, aber mit vereinigter Kraft,
auf den Koͤrper. Jm Scherze (der eben ſo wohl wie jene
eher zur angenehmen, als ſchoͤnen Kunſt gezaͤhlt zu werden
verdient) hebt das Spiel von Gedanken an, die insgeſammt,
ſo fern ſie ſich ſinnlich ausdruͤcken wollen, auch den Koͤrper
beſchaͤftigen und, indem der Verſtand in dieſer Darſtellung,
darinn er das Erwartete nicht findet, ploͤtzlich nachlaͤßt, ſo
fuͤhlt man die Wirkung dieſer Nachlaſſung im Koͤrper durch
die Schwingungen der Organen, welche die Herſtellung ihres
Gleichgewichts befoͤrdert und auf die Geſundheit einen wohl-
thaͤtigen Einflus hat.

Es muß in allem, was ein lebhaftes erſchuͤtterndes La-
chen erregen ſoll, etwas Widerſinniges ſeyn, (woran alſo
der Verſtand an ſich kein Wohlgefallen finden kann). Das
Lachen iſt ein Affect aus der ploͤtzlichen Verwandlung
einer geſpannten Erwartung in nichtſ.
Eben dieſe
Verwandlung, die fuͤr den Verſtand gewis nicht erfreulich
iſt, erfreuet doch indirect auf einen Augenblick ſehr lebhaft;
alſo muß die Urſache in dem Einfluſſe der Vorſtellung anf
dem Koͤrper und deſſen Wechſelwirkung aufs Gemuͤth be-
ſtehen und zwar nicht, ſo fern die Vorſtellung objectiv ein
Gegenſtand des Vergnuͤgens iſt, wie etwa bey einem, der
von einem großen Handlungsgewinn Nachricht bekommt
(denn wie kann eine getaͤuſchte Erwartung vergnuͤgen), ſon-
dern lediglich dadurch daß ſie, als bloßes Spiel der Vorſtel-
lungen, ein Spiel der Lebenskraͤfte im Koͤrper hervorbringt.

Wenn jemand erzaͤhlt: daß, als ein Jndianer an der
Tafel eines Englaͤnders in Surat eine Bouteille mit Ale oͤf-
nen und alles dieſes Bier, in Schaum verwandelt, her-
ausdringen ſah und mit vielen Ausrufungen ſeine große Ver-

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[222/0286] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Jn der Muſik geht dieſes Spiel von der Empfindung des Koͤrpers zu aͤſthetiſchen Jdeen (der Objecte fuͤr Affecten) von dieſen alsdenn wieder zuruͤck, aber mit vereinigter Kraft, auf den Koͤrper. Jm Scherze (der eben ſo wohl wie jene eher zur angenehmen, als ſchoͤnen Kunſt gezaͤhlt zu werden verdient) hebt das Spiel von Gedanken an, die insgeſammt, ſo fern ſie ſich ſinnlich ausdruͤcken wollen, auch den Koͤrper beſchaͤftigen und, indem der Verſtand in dieſer Darſtellung, darinn er das Erwartete nicht findet, ploͤtzlich nachlaͤßt, ſo fuͤhlt man die Wirkung dieſer Nachlaſſung im Koͤrper durch die Schwingungen der Organen, welche die Herſtellung ihres Gleichgewichts befoͤrdert und auf die Geſundheit einen wohl- thaͤtigen Einflus hat. Es muß in allem, was ein lebhaftes erſchuͤtterndes La- chen erregen ſoll, etwas Widerſinniges ſeyn, (woran alſo der Verſtand an ſich kein Wohlgefallen finden kann). Das Lachen iſt ein Affect aus der ploͤtzlichen Verwandlung einer geſpannten Erwartung in nichtſ. Eben dieſe Verwandlung, die fuͤr den Verſtand gewis nicht erfreulich iſt, erfreuet doch indirect auf einen Augenblick ſehr lebhaft; alſo muß die Urſache in dem Einfluſſe der Vorſtellung anf dem Koͤrper und deſſen Wechſelwirkung aufs Gemuͤth be- ſtehen und zwar nicht, ſo fern die Vorſtellung objectiv ein Gegenſtand des Vergnuͤgens iſt, wie etwa bey einem, der von einem großen Handlungsgewinn Nachricht bekommt (denn wie kann eine getaͤuſchte Erwartung vergnuͤgen), ſon- dern lediglich dadurch daß ſie, als bloßes Spiel der Vorſtel- lungen, ein Spiel der Lebenskraͤfte im Koͤrper hervorbringt. Wenn jemand erzaͤhlt: daß, als ein Jndianer an der Tafel eines Englaͤnders in Surat eine Bouteille mit Ale oͤf- nen und alles dieſes Bier, in Schaum verwandelt, her- ausdringen ſah und mit vielen Ausrufungen ſeine große Ver-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/286>, abgerufen am 29.05.2024.