Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
oder auch Zuträglichkeit (für jedes andere Geschöpf) und
ist blos relativ, indessen daß die erstere eine innere Zweck-
mäßigkeit des Naturwesens ist.

Die Flüsse führen z. B. allerley zum Wachsthum
der Pflanzen dienliche Erde mit sich fort, die sie biswei-
len mitten im Lande, oft auch an ihren Mündnngen,
absetzen. Die Fluth führt diesen Schlich an manchen
Küsten über das Land, oder setzt ihn an dessen Ufer ab
und, wenn vornehmlich Menschen dazu helfen, damit
die Ebbe ihn nicht wieder wegführe, so nimmt das frucht-
bare Land zu und das Gewächsreich nimmt da Platz,
wo vorher Fische und Schaalthiere ihren Auffenthalt
gehabt hatten. Die meiste Landeserweiterungen auf
diese Art hat wohl die Natur selbst verrichtet und fährt
damit auch noch, ob zwar langsam fort.

Nun frägt sich, ob dies als ein Zweck der Natur
zu beurtheilen sey, weil es eine Nutzbarkeit für Men-
schen enthält; denn die für das Gewächsreich selber kann
man nicht in Anschlag bringen, weil dagegen eben so
viel den Meergeschöpfen entzogen wird, als dem Lande
Vortheil zuwächst. Oder, um ein Beyspiel von der Zu-
träglichkeit gewisser Naturdinge als Mittel für andere
Geschöpfe (wenn man sie als Zwecke voraussetzt) zu ge-
ben: so ist kein Boden den Fichten gedeylicher als ein
Sandboden. Nun hat das alte Meer, ehe es sich vom
Lande zurück zog, so viele Sandstriche in unsern nord-
lichen Gegenden zurückgelassen, daß auf diesen für alle

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
oder auch Zutraͤglichkeit (fuͤr jedes andere Geſchoͤpf) und
iſt blos relativ, indeſſen daß die erſtere eine innere Zweck-
maͤßigkeit des Naturweſens iſt.

Die Fluͤſſe fuͤhren z. B. allerley zum Wachsthum
der Pflanzen dienliche Erde mit ſich fort, die ſie biswei-
len mitten im Lande, oft auch an ihren Muͤndnngen,
abſetzen. Die Fluth fuͤhrt dieſen Schlich an manchen
Kuͤſten uͤber das Land, oder ſetzt ihn an deſſen Ufer ab
und, wenn vornehmlich Menſchen dazu helfen, damit
die Ebbe ihn nicht wieder wegfuͤhre, ſo nimmt das frucht-
bare Land zu und das Gewaͤchsreich nimmt da Platz,
wo vorher Fiſche und Schaalthiere ihren Auffenthalt
gehabt hatten. Die meiſte Landeserweiterungen auf
dieſe Art hat wohl die Natur ſelbſt verrichtet und faͤhrt
damit auch noch, ob zwar langſam fort.

Nun fraͤgt ſich, ob dies als ein Zweck der Natur
zu beurtheilen ſey, weil es eine Nutzbarkeit fuͤr Men-
ſchen enthaͤlt; denn die fuͤr das Gewaͤchsreich ſelber kann
man nicht in Anſchlag bringen, weil dagegen eben ſo
viel den Meergeſchoͤpfen entzogen wird, als dem Lande
Vortheil zuwaͤchſt. Oder, um ein Beyſpiel von der Zu-
traͤglichkeit gewiſſer Naturdinge als Mittel fuͤr andere
Geſchoͤpfe (wenn man ſie als Zwecke vorausſetzt) zu ge-
ben: ſo iſt kein Boden den Fichten gedeylicher als ein
Sandboden. Nun hat das alte Meer, ehe es ſich vom
Lande zuruͤck zog, ſo viele Sandſtriche in unſern nord-
lichen Gegenden zuruͤckgelaſſen, daß auf dieſen fuͤr alle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0340" n="276"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
oder auch Zutra&#x0364;glichkeit (fu&#x0364;r jedes andere Ge&#x017F;cho&#x0364;pf) und<lb/>
i&#x017F;t blos relativ, inde&#x017F;&#x017F;en daß die er&#x017F;tere eine innere Zweck-<lb/>
ma&#x0364;ßigkeit des Naturwe&#x017F;ens i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Die Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;hren z. B. allerley zum Wachsthum<lb/>
der Pflanzen dienliche Erde mit &#x017F;ich fort, die &#x017F;ie biswei-<lb/>
len mitten im Lande, oft auch an ihren Mu&#x0364;ndnngen,<lb/>
ab&#x017F;etzen. Die Fluth fu&#x0364;hrt die&#x017F;en Schlich an manchen<lb/>
Ku&#x0364;&#x017F;ten u&#x0364;ber das Land, oder &#x017F;etzt ihn an de&#x017F;&#x017F;en Ufer ab<lb/>
und, wenn vornehmlich Men&#x017F;chen dazu helfen, damit<lb/>
die Ebbe ihn nicht wieder wegfu&#x0364;hre, &#x017F;o nimmt das frucht-<lb/>
bare Land zu und das Gewa&#x0364;chsreich nimmt da Platz,<lb/>
wo vorher Fi&#x017F;che und Schaalthiere ihren Auffenthalt<lb/>
gehabt hatten. Die mei&#x017F;te Landeserweiterungen auf<lb/>
die&#x017F;e Art hat wohl die Natur &#x017F;elb&#x017F;t verrichtet und fa&#x0364;hrt<lb/>
damit auch noch, ob zwar lang&#x017F;am fort.</p><lb/>
            <p>Nun fra&#x0364;gt &#x017F;ich, ob dies als ein Zweck der Natur<lb/>
zu beurtheilen &#x017F;ey, weil es eine Nutzbarkeit fu&#x0364;r Men-<lb/>
&#x017F;chen entha&#x0364;lt; denn die fu&#x0364;r das Gewa&#x0364;chsreich &#x017F;elber kann<lb/>
man nicht in An&#x017F;chlag bringen, weil dagegen eben &#x017F;o<lb/>
viel den Meerge&#x017F;cho&#x0364;pfen entzogen wird, als dem Lande<lb/>
Vortheil zuwa&#x0364;ch&#x017F;t. Oder, um ein Bey&#x017F;piel von der Zu-<lb/>
tra&#x0364;glichkeit gewi&#x017F;&#x017F;er Naturdinge als Mittel fu&#x0364;r andere<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe (wenn man &#x017F;ie als Zwecke voraus&#x017F;etzt) zu ge-<lb/>
ben: &#x017F;o i&#x017F;t kein Boden den Fichten gedeylicher als ein<lb/>
Sandboden. Nun hat das alte Meer, ehe es &#x017F;ich vom<lb/>
Lande zuru&#x0364;ck zog, &#x017F;o viele Sand&#x017F;triche in un&#x017F;ern nord-<lb/>
lichen Gegenden zuru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;en, daß auf die&#x017F;en fu&#x0364;r alle<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0340] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. oder auch Zutraͤglichkeit (fuͤr jedes andere Geſchoͤpf) und iſt blos relativ, indeſſen daß die erſtere eine innere Zweck- maͤßigkeit des Naturweſens iſt. Die Fluͤſſe fuͤhren z. B. allerley zum Wachsthum der Pflanzen dienliche Erde mit ſich fort, die ſie biswei- len mitten im Lande, oft auch an ihren Muͤndnngen, abſetzen. Die Fluth fuͤhrt dieſen Schlich an manchen Kuͤſten uͤber das Land, oder ſetzt ihn an deſſen Ufer ab und, wenn vornehmlich Menſchen dazu helfen, damit die Ebbe ihn nicht wieder wegfuͤhre, ſo nimmt das frucht- bare Land zu und das Gewaͤchsreich nimmt da Platz, wo vorher Fiſche und Schaalthiere ihren Auffenthalt gehabt hatten. Die meiſte Landeserweiterungen auf dieſe Art hat wohl die Natur ſelbſt verrichtet und faͤhrt damit auch noch, ob zwar langſam fort. Nun fraͤgt ſich, ob dies als ein Zweck der Natur zu beurtheilen ſey, weil es eine Nutzbarkeit fuͤr Men- ſchen enthaͤlt; denn die fuͤr das Gewaͤchsreich ſelber kann man nicht in Anſchlag bringen, weil dagegen eben ſo viel den Meergeſchoͤpfen entzogen wird, als dem Lande Vortheil zuwaͤchſt. Oder, um ein Beyſpiel von der Zu- traͤglichkeit gewiſſer Naturdinge als Mittel fuͤr andere Geſchoͤpfe (wenn man ſie als Zwecke vorausſetzt) zu ge- ben: ſo iſt kein Boden den Fichten gedeylicher als ein Sandboden. Nun hat das alte Meer, ehe es ſich vom Lande zuruͤck zog, ſo viele Sandſtriche in unſern nord- lichen Gegenden zuruͤckgelaſſen, daß auf dieſen fuͤr alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/340
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/340>, abgerufen am 30.04.2024.