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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
morphistischen Vorstellungsart des höchsten Wesens)
herabsinke: daß Religion nicht in Theurgie (ein
schwärmerischer Wahn, von anderen übersinnlichen We-
sen Gefühl und auf sie wiederum Einflus haben zu kön-
nen), oder in Jdololatrie (ein abergläubischer Wahn,
dem höchsten Wesen sich durch andere Mittel, als durch
eine moralische Gesinnung, wohlgefällig machen zu kön-
nen) gerathe. *)

Denn, wenn man der Eitelkeit oder Vermessenheit
des Vernünftelns in Ansehung dessen, was über die
Sinnenwelt hinausliegt, auch nur das Mindeste theore-
tisch (und Erkenntnis erweiternd) zu bestimmen ein-
räumt, wenn man mit Einsichten vom Daseyn und der
Beschaffenheit der göttlichen Natur, von seinem Ver-
stande und Willen, den Gesetzen beyder und denen dar-
aus auf die Welt abfließenden Eigenschaften gros zu
thun verstattet, so möchte ich wohl wissen, wo und an
welcher Stelle man die Anmaßungen der Vernunft be-

gren-
*) Abgötterey im practischen Verstande ist noch immer dieje-
nige Religion, welche sich das höchste Wesen mit Eigen-
schaften denkt, nach denen noch etwas anders, als Mora-
lität, die für sich taugliche Bedingung seyn könne, seinem
Willen in dem was der Mensch zu thun vermag, gemäs zu
seyn. Denn so rein und frey von sinnlichen Bildern man
auch in theoretischer Rücksicht jenen Begrif gefaßt haben
mag, so ist er im practischen alsdann dennoch als ein Jdeal,
d. i. der Beschaffenheit seines Willens nach, anthromo[r]-
phistisch vorgestellt.
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
morphiſtiſchen Vorſtellungsart des hoͤchſten Weſens)
herabſinke: daß Religion nicht in Theurgie (ein
ſchwaͤrmeriſcher Wahn, von anderen uͤberſinnlichen We-
ſen Gefuͤhl und auf ſie wiederum Einflus haben zu koͤn-
nen), oder in Jdololatrie (ein aberglaͤubiſcher Wahn,
dem hoͤchſten Weſen ſich durch andere Mittel, als durch
eine moraliſche Geſinnung, wohlgefaͤllig machen zu koͤn-
nen) gerathe. *)

Denn, wenn man der Eitelkeit oder Vermeſſenheit
des Vernuͤnftelns in Anſehung deſſen, was uͤber die
Sinnenwelt hinausliegt, auch nur das Mindeſte theore-
tiſch (und Erkenntnis erweiternd) zu beſtimmen ein-
raͤumt, wenn man mit Einſichten vom Daſeyn und der
Beſchaffenheit der goͤttlichen Natur, von ſeinem Ver-
ſtande und Willen, den Geſetzen beyder und denen dar-
aus auf die Welt abfließenden Eigenſchaften gros zu
thun verſtattet, ſo moͤchte ich wohl wiſſen, wo und an
welcher Stelle man die Anmaßungen der Vernunft be-

gren-
*) Abgoͤtterey im practiſchen Verſtande iſt noch immer dieje-
nige Religion, welche ſich das hoͤchſte Weſen mit Eigen-
ſchaften denkt, nach denen noch etwas anders, als Mora-
litaͤt, die fuͤr ſich taugliche Bedingung ſeyn koͤnne, ſeinem
Willen in dem was der Menſch zu thun vermag, gemaͤs zu
ſeyn. Denn ſo rein und frey von ſinnlichen Bildern man
auch in theoretiſcher Ruͤckſicht jenen Begrif gefaßt haben
mag, ſo iſt er im practiſchen alsdann dennoch als ein Jdeal,
d. i. der Beſchaffenheit ſeines Willens nach, anthromo[r]-
phiſtiſch vorgeſtellt.
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[435/0499] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. morphiſtiſchen Vorſtellungsart des hoͤchſten Weſens) herabſinke: daß Religion nicht in Theurgie (ein ſchwaͤrmeriſcher Wahn, von anderen uͤberſinnlichen We- ſen Gefuͤhl und auf ſie wiederum Einflus haben zu koͤn- nen), oder in Jdololatrie (ein aberglaͤubiſcher Wahn, dem hoͤchſten Weſen ſich durch andere Mittel, als durch eine moraliſche Geſinnung, wohlgefaͤllig machen zu koͤn- nen) gerathe. *) Denn, wenn man der Eitelkeit oder Vermeſſenheit des Vernuͤnftelns in Anſehung deſſen, was uͤber die Sinnenwelt hinausliegt, auch nur das Mindeſte theore- tiſch (und Erkenntnis erweiternd) zu beſtimmen ein- raͤumt, wenn man mit Einſichten vom Daſeyn und der Beſchaffenheit der goͤttlichen Natur, von ſeinem Ver- ſtande und Willen, den Geſetzen beyder und denen dar- aus auf die Welt abfließenden Eigenſchaften gros zu thun verſtattet, ſo moͤchte ich wohl wiſſen, wo und an welcher Stelle man die Anmaßungen der Vernunft be- gren- *) Abgoͤtterey im practiſchen Verſtande iſt noch immer dieje- nige Religion, welche ſich das hoͤchſte Weſen mit Eigen- ſchaften denkt, nach denen noch etwas anders, als Mora- litaͤt, die fuͤr ſich taugliche Bedingung ſeyn koͤnne, ſeinem Willen in dem was der Menſch zu thun vermag, gemaͤs zu ſeyn. Denn ſo rein und frey von ſinnlichen Bildern man auch in theoretiſcher Ruͤckſicht jenen Begrif gefaßt haben mag, ſo iſt er im practiſchen alsdann dennoch als ein Jdeal, d. i. der Beſchaffenheit ſeines Willens nach, anthromor- phiſtiſch vorgeſtellt. E e 2

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/499>, abgerufen am 29.04.2024.