Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite
In einer Kiste liegt sie still
Bis auf den Tag, da sich mein Leben
Beschließen soll, und muß, und will.
Da heiß ich mir die Blumen geben,
Küß eine nach der andern noch,
Und spreche dann zu meinen Kindern:
"Ach Kinder, hört, ihr wisset doch,
"Was meine Ruhe kann vermindern,
"Wenn ihr mit Thränen mich begrabt,
"Mit Ausruf banger Klagelieder,
"Und diese Blumen mir nicht mitgegeben habt:
"Alsdann kommt meine Seele wieder
"Und rasselt um den Nachttisch her,
"Wird über dieser Kiste schweben,
"Als wenn es eine Taube wär,
"Wird Achtung auf die Blumen geben,
"Wie eines Geitzigen schwerabgeschiedner Geist
"Auf sein vergrabnes Gold im Keller Achtung giebet,
"Darum erfüllet gern, was euch die Mutter heißt,
"Die noch im Tode liebet -- --

Amarillis.




T 3
In einer Kiſte liegt ſie ſtill
Bis auf den Tag, da ſich mein Leben
Beſchließen ſoll, und muß, und will.
Da heiß ich mir die Blumen geben,
Kuͤß eine nach der andern noch,
Und ſpreche dann zu meinen Kindern:
„Ach Kinder, hoͤrt, ihr wiſſet doch,
„Was meine Ruhe kann vermindern,
„Wenn ihr mit Thraͤnen mich begrabt,
„Mit Ausruf banger Klagelieder,
„Und dieſe Blumen mir nicht mitgegeben habt:
„Alsdann kommt meine Seele wieder
„Und raſſelt um den Nachttiſch her,
„Wird uͤber dieſer Kiſte ſchweben,
„Als wenn es eine Taube waͤr,
„Wird Achtung auf die Blumen geben,
„Wie eines Geitzigen ſchwerabgeſchiedner Geiſt
„Auf ſein vergrabnes Gold im Keller Achtung giebet,
„Darum erfuͤllet gern, was euch die Mutter heißt,
„Die noch im Tode liebet — —

Amarillis.




T 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0453" n="293"/>
              <l>In einer Ki&#x017F;te liegt &#x017F;ie &#x017F;till</l><lb/>
              <l>Bis auf den Tag, da &#x017F;ich mein Leben</l><lb/>
              <l>Be&#x017F;chließen &#x017F;oll, und muß, und will.</l><lb/>
              <l>Da heiß ich mir die Blumen geben,</l><lb/>
              <l>Ku&#x0364;ß eine nach der andern noch,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;preche dann zu meinen Kindern:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ach Kinder, ho&#x0364;rt, ihr wi&#x017F;&#x017F;et doch,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Was meine Ruhe kann vermindern,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wenn ihr mit Thra&#x0364;nen mich begrabt,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Mit Ausruf banger Klagelieder,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Und die&#x017F;e Blumen mir nicht mitgegeben habt:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Alsdann kommt meine Seele wieder</l><lb/>
              <l>&#x201E;Und ra&#x017F;&#x017F;elt um den Nachtti&#x017F;ch her,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wird u&#x0364;ber die&#x017F;er Ki&#x017F;te &#x017F;chweben,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Als wenn es eine Taube wa&#x0364;r,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wird Achtung auf die Blumen geben,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wie eines Geitzigen &#x017F;chwerabge&#x017F;chiedner Gei&#x017F;t</l><lb/>
              <l>&#x201E;Auf &#x017F;ein vergrabnes Gold im Keller Achtung giebet,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Darum erfu&#x0364;llet gern, was euch die Mutter heißt,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Die noch im Tode liebet &#x2014; &#x2014;</l>
            </lg><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">Amarillis.</hi> </p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig">T 3</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0453] In einer Kiſte liegt ſie ſtill Bis auf den Tag, da ſich mein Leben Beſchließen ſoll, und muß, und will. Da heiß ich mir die Blumen geben, Kuͤß eine nach der andern noch, Und ſpreche dann zu meinen Kindern: „Ach Kinder, hoͤrt, ihr wiſſet doch, „Was meine Ruhe kann vermindern, „Wenn ihr mit Thraͤnen mich begrabt, „Mit Ausruf banger Klagelieder, „Und dieſe Blumen mir nicht mitgegeben habt: „Alsdann kommt meine Seele wieder „Und raſſelt um den Nachttiſch her, „Wird uͤber dieſer Kiſte ſchweben, „Als wenn es eine Taube waͤr, „Wird Achtung auf die Blumen geben, „Wie eines Geitzigen ſchwerabgeſchiedner Geiſt „Auf ſein vergrabnes Gold im Keller Achtung giebet, „Darum erfuͤllet gern, was euch die Mutter heißt, „Die noch im Tode liebet — — Amarillis. T 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/453
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/453>, abgerufen am 29.04.2024.