Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

"Heute habe ich von der hochgebornen und
gottesfürchtigen Frau von M. das schuldende
Kostgeld für das erste Quartal richtig erhalten,
alsogleich quittiret und Bericht erstattet. Ferner
der kleinen Meret (Emerentia) ihre wöchentlich
zukommende Correction ertheilt und verscherpft,
indeme sie nackent auf die Bank legte und mit
einer neuen Ruthen züchtigte, nicht ohne Lamen¬
tiren und Seufzen zum Herren, daß Er das
traurige Werk zu einem guten Ende führen möge.
Hat die Kleine zwaren jämmerlich geschrieen und
de- und wehmüthig um Pardon gebeten, aber
nichts desto weniger nachher in ihrer Verstocktheit
verharret und das Liederbuch verschmähet, so ich
ihr zum Lernen vorgehalten. Habe sie derowegen
kürzlich verschnauffen lassen und dann in Arrest
gebracht in die dunkle Speckkammer, allwo sie
gewimmert und geklaget, dann aber still gewor¬
den ist, bis sie urplötzlich zu singen und jubili¬
ren
angefangen, nicht anders, wie die drey seli¬
gen Männer im Feuerofen, und habe ich zugehö¬
ret und erkennt, daß sie die nämliche versificir¬
ten Psalmen gesungen, so sie sonsten zu lernen

„Heute habe ich von der hochgebornen und
gottesfuͤrchtigen Frau von M. das ſchuldende
Koſtgeld fuͤr das erſte Quartal richtig erhalten,
alſogleich quittiret und Bericht erſtattet. Ferner
der kleinen Meret (Emerentia) ihre woͤchentlich
zukommende Correction ertheilt und verſcherpft,
indeme ſie nackent auf die Bank legte und mit
einer neuen Ruthen zuͤchtigte, nicht ohne Lamen¬
tiren und Seufzen zum Herren, daß Er das
traurige Werk zu einem guten Ende fuͤhren moͤge.
Hat die Kleine zwaren jaͤmmerlich geſchrieen und
de- und wehmuͤthig um Pardon gebeten, aber
nichts deſto weniger nachher in ihrer Verſtocktheit
verharret und das Liederbuch verſchmaͤhet, ſo ich
ihr zum Lernen vorgehalten. Habe ſie derowegen
kuͤrzlich verſchnauffen laſſen und dann in Arreſt
gebracht in die dunkle Speckkammer, allwo ſie
gewimmert und geklaget, dann aber ſtill gewor¬
den iſt, bis ſie urploͤtzlich zu ſingen und jubili¬
ren
angefangen, nicht anders, wie die drey ſeli¬
gen Maͤnner im Feuerofen, und habe ich zugehoͤ¬
ret und erkennt, daß ſie die naͤmliche versificir¬
ten Pſalmen geſungen, ſo ſie ſonſten zu lernen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0171" n="157"/>
        <p>&#x201E;Heute habe ich von der hochgebornen und<lb/>
gottesfu&#x0364;rchtigen Frau von M. das &#x017F;chuldende<lb/>
Ko&#x017F;tgeld fu&#x0364;r das er&#x017F;te Quartal richtig erhalten,<lb/>
al&#x017F;ogleich <hi rendition="#aq">quittiret</hi> und Bericht er&#x017F;tattet. Ferner<lb/>
der kleinen Meret (Emerentia) ihre wo&#x0364;chentlich<lb/>
zukommende <hi rendition="#aq">Correction</hi> ertheilt und ver&#x017F;cherpft,<lb/>
indeme &#x017F;ie nackent auf die Bank legte und mit<lb/>
einer neuen Ruthen zu&#x0364;chtigte, nicht ohne <hi rendition="#aq">Lamen</hi>¬<lb/><hi rendition="#aq">tiren</hi> und Seufzen zum Herren, daß Er das<lb/>
traurige Werk zu einem guten Ende fu&#x0364;hren mo&#x0364;ge.<lb/>
Hat die Kleine zwaren ja&#x0364;mmerlich ge&#x017F;chrieen und<lb/>
de- und wehmu&#x0364;thig um <hi rendition="#aq">Pardon</hi> gebeten, aber<lb/>
nichts de&#x017F;to weniger nachher in ihrer Ver&#x017F;tocktheit<lb/>
verharret und das Liederbuch ver&#x017F;chma&#x0364;het, &#x017F;o ich<lb/>
ihr zum Lernen vorgehalten. Habe &#x017F;ie derowegen<lb/>
ku&#x0364;rzlich ver&#x017F;chnauffen la&#x017F;&#x017F;en und dann in Arre&#x017F;t<lb/>
gebracht in die dunkle Speckkammer, allwo &#x017F;ie<lb/>
gewimmert und geklaget, dann aber &#x017F;till gewor¬<lb/>
den i&#x017F;t, bis &#x017F;ie urplo&#x0364;tzlich zu &#x017F;ingen und <hi rendition="#aq">jubili¬<lb/>
ren</hi> angefangen, nicht anders, wie die drey &#x017F;eli¬<lb/>
gen Ma&#x0364;nner im Feuerofen, und habe ich zugeho&#x0364;¬<lb/>
ret und erkennt, daß &#x017F;ie die na&#x0364;mliche <hi rendition="#aq">versificir</hi>¬<lb/><hi rendition="#aq">ten</hi> P&#x017F;almen ge&#x017F;ungen, &#x017F;o &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;ten zu lernen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0171] „Heute habe ich von der hochgebornen und gottesfuͤrchtigen Frau von M. das ſchuldende Koſtgeld fuͤr das erſte Quartal richtig erhalten, alſogleich quittiret und Bericht erſtattet. Ferner der kleinen Meret (Emerentia) ihre woͤchentlich zukommende Correction ertheilt und verſcherpft, indeme ſie nackent auf die Bank legte und mit einer neuen Ruthen zuͤchtigte, nicht ohne Lamen¬ tiren und Seufzen zum Herren, daß Er das traurige Werk zu einem guten Ende fuͤhren moͤge. Hat die Kleine zwaren jaͤmmerlich geſchrieen und de- und wehmuͤthig um Pardon gebeten, aber nichts deſto weniger nachher in ihrer Verſtocktheit verharret und das Liederbuch verſchmaͤhet, ſo ich ihr zum Lernen vorgehalten. Habe ſie derowegen kuͤrzlich verſchnauffen laſſen und dann in Arreſt gebracht in die dunkle Speckkammer, allwo ſie gewimmert und geklaget, dann aber ſtill gewor¬ den iſt, bis ſie urploͤtzlich zu ſingen und jubili¬ ren angefangen, nicht anders, wie die drey ſeli¬ gen Maͤnner im Feuerofen, und habe ich zugehoͤ¬ ret und erkennt, daß ſie die naͤmliche versificir¬ ten Pſalmen geſungen, ſo ſie ſonſten zu lernen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/171
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/171>, abgerufen am 06.05.2024.