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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Hause und spann in der Stille unserer Stube
den Stoff zu großen träumerischen Geweben aus,
wozu die erregte Phantasie den Einschlag gab.
In der That muß ich auf diese erste Kinderzeit
meinen Hang und ein gewisses Geschick zurück¬
führen, an die Vorkommnisse des Lebens erfun¬
dene Schicksale und verwickelte Geschichten anzu¬
knüpfen, und so im Fluge heitere und traurige
Romane zu entwerfen, deren Mittelpunkt ich
selbst oder die mir Nahestehenden waren, die mich
viele Tage lang beschäftigten und bewegten, bis
sie sich in neue Handlungen auflösten, je nach
der Stimmung und dem äußeren Ergehen. In
jener ersten Zeit waren es kurze und wechselnde
Bilder, welche sich rasch und unbewußt formir¬
ten und vorbeigingen, wie die befreiten Er¬
innerungen und Traumvorräthe eines Schlafen¬
den. Sie verflochten sich mir mit dem wirklichen
Leben, daß ich sie kaum von demselben unter¬
scheiden konnte.

Daraus nur kann ich mir unter Anderem
eine Geschichte erklären, welche ich ungefähr in
meinem siebenten Jahre anrichtete, und die ich

Hauſe und ſpann in der Stille unſerer Stube
den Stoff zu großen traͤumeriſchen Geweben aus,
wozu die erregte Phantaſie den Einſchlag gab.
In der That muß ich auf dieſe erſte Kinderzeit
meinen Hang und ein gewiſſes Geſchick zuruͤck¬
fuͤhren, an die Vorkommniſſe des Lebens erfun¬
dene Schickſale und verwickelte Geſchichten anzu¬
knuͤpfen, und ſo im Fluge heitere und traurige
Romane zu entwerfen, deren Mittelpunkt ich
ſelbſt oder die mir Naheſtehenden waren, die mich
viele Tage lang beſchaͤftigten und bewegten, bis
ſie ſich in neue Handlungen aufloͤſten, je nach
der Stimmung und dem aͤußeren Ergehen. In
jener erſten Zeit waren es kurze und wechſelnde
Bilder, welche ſich raſch und unbewußt formir¬
ten und vorbeigingen, wie die befreiten Er¬
innerungen und Traumvorraͤthe eines Schlafen¬
den. Sie verflochten ſich mir mit dem wirklichen
Leben, daß ich ſie kaum von demſelben unter¬
ſcheiden konnte.

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eine Geſchichte erklaͤren, welche ich ungefaͤhr in
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[218/0232] Hauſe und ſpann in der Stille unſerer Stube den Stoff zu großen traͤumeriſchen Geweben aus, wozu die erregte Phantaſie den Einſchlag gab. In der That muß ich auf dieſe erſte Kinderzeit meinen Hang und ein gewiſſes Geſchick zuruͤck¬ fuͤhren, an die Vorkommniſſe des Lebens erfun¬ dene Schickſale und verwickelte Geſchichten anzu¬ knuͤpfen, und ſo im Fluge heitere und traurige Romane zu entwerfen, deren Mittelpunkt ich ſelbſt oder die mir Naheſtehenden waren, die mich viele Tage lang beſchaͤftigten und bewegten, bis ſie ſich in neue Handlungen aufloͤſten, je nach der Stimmung und dem aͤußeren Ergehen. In jener erſten Zeit waren es kurze und wechſelnde Bilder, welche ſich raſch und unbewußt formir¬ ten und vorbeigingen, wie die befreiten Er¬ innerungen und Traumvorraͤthe eines Schlafen¬ den. Sie verflochten ſich mir mit dem wirklichen Leben, daß ich ſie kaum von demſelben unter¬ ſcheiden konnte. Daraus nur kann ich mir unter Anderem eine Geſchichte erklaͤren, welche ich ungefaͤhr in meinem ſiebenten Jahre anrichtete, und die ich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/232>, abgerufen am 30.04.2024.