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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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jene unanständigen Worte. Indessen ich rief,
schlichen sie sich hinter meinem Rücken davon, ein
Bauer kam in demselben Augenblicke heran, hörte
meine unsittlichen Reden und packte mich bei den
Ohren. "Wart ihr bösen Buben!" rief er, "die¬
sen hab' ich!" und hieb mir einige Streiche.
Dann ging er ebenfalls weg und ließ mich
stehen, während es schon dunkelte. Mit vieler
Mühe riß ich mich los und suchte den Heimweg
in dem dunklen Wald. Allein ich verirrte mich,
fiel in einen tiefen Bach, in welchem ich bis zum
Ausgange des Waldes theils schwamm, theils
watete, und so, nach Bestehung mancher Ge¬
fährde, den rechten Weg fand. Doch wurde ich
noch von einem großen Ziegenbocke angegriffen,
bekämpfte denselben mit einem rasch ausgerissenen
Zaunpfahl und schlug ihn in die Flucht.

Noch nie hatte man in der Schule eine solche
Beredsamkeit an mir bemerkt, wie bei dieser
Erzählung. Es kam Niemand in den Sinn,
etwa bei meiner Mutter anfragen zu lassen, ob
ich eines Tages durchnäßt und nächtlich nach
Hause gekommen sei? Dagegen brachte man

jene unanſtaͤndigen Worte. Indeſſen ich rief,
ſchlichen ſie ſich hinter meinem Ruͤcken davon, ein
Bauer kam in demſelben Augenblicke heran, hoͤrte
meine unſittlichen Reden und packte mich bei den
Ohren. »Wart ihr boͤſen Buben!« rief er, »die¬
ſen hab' ich!« und hieb mir einige Streiche.
Dann ging er ebenfalls weg und ließ mich
ſtehen, waͤhrend es ſchon dunkelte. Mit vieler
Muͤhe riß ich mich los und ſuchte den Heimweg
in dem dunklen Wald. Allein ich verirrte mich,
fiel in einen tiefen Bach, in welchem ich bis zum
Ausgange des Waldes theils ſchwamm, theils
watete, und ſo, nach Beſtehung mancher Ge¬
faͤhrde, den rechten Weg fand. Doch wurde ich
noch von einem großen Ziegenbocke angegriffen,
bekaͤmpfte denſelben mit einem raſch ausgeriſſenen
Zaunpfahl und ſchlug ihn in die Flucht.

Noch nie hatte man in der Schule eine ſolche
Beredſamkeit an mir bemerkt, wie bei dieſer
Erzaͤhlung. Es kam Niemand in den Sinn,
etwa bei meiner Mutter anfragen zu laſſen, ob
ich eines Tages durchnaͤßt und naͤchtlich nach
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[223/0237] jene unanſtaͤndigen Worte. Indeſſen ich rief, ſchlichen ſie ſich hinter meinem Ruͤcken davon, ein Bauer kam in demſelben Augenblicke heran, hoͤrte meine unſittlichen Reden und packte mich bei den Ohren. »Wart ihr boͤſen Buben!« rief er, »die¬ ſen hab' ich!« und hieb mir einige Streiche. Dann ging er ebenfalls weg und ließ mich ſtehen, waͤhrend es ſchon dunkelte. Mit vieler Muͤhe riß ich mich los und ſuchte den Heimweg in dem dunklen Wald. Allein ich verirrte mich, fiel in einen tiefen Bach, in welchem ich bis zum Ausgange des Waldes theils ſchwamm, theils watete, und ſo, nach Beſtehung mancher Ge¬ faͤhrde, den rechten Weg fand. Doch wurde ich noch von einem großen Ziegenbocke angegriffen, bekaͤmpfte denſelben mit einem raſch ausgeriſſenen Zaunpfahl und ſchlug ihn in die Flucht. Noch nie hatte man in der Schule eine ſolche Beredſamkeit an mir bemerkt, wie bei dieſer Erzaͤhlung. Es kam Niemand in den Sinn, etwa bei meiner Mutter anfragen zu laſſen, ob ich eines Tages durchnaͤßt und naͤchtlich nach Hauſe gekommen ſei? Dagegen brachte man

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/237>, abgerufen am 30.04.2024.