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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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soldatischen Schritt gegen ihr Gänsegetrippel
hervorzuheben suchten. Ich weiß nicht, war es
eine artige herkömmliche Vergessenheit, oder eine
Pietät, oder gar eine Absicht, daß es erlaubt
war, Blumen mitzubringen und während des
Unterrichts in den Händen zu halten, wenigstens
habe ich diese hübsche Licenz in keiner andern
Schule mehr gefunden; aber es war immer gut
anzusehen während des lustigen Marsches, wie
fast jedes Mädchen eine Rose oder eine Nelke in
den Fingern auf dem Rücken hielt, während die
Buben die Blumen im Munde trugen, wie
Tabakspfeifen, oder dieselben burschikos hinter
die Ohren steckten. Es waren alles Kinder von
Holzhackern, Tagelöhnern, armen Schneidern,
Schustern und von almosengenössigen Leuten.
Habliche Handwerker durften ihres Ranges und
Credits wegen die Schule nicht benutzen. Da¬
her war ich der best und reinlichst gekleidete
unter den Buben und galt für halb vornehm,
obgleich ich bald sehr vertraulich war mit den
buntscheckig geflickten armen Teufeln, ihren Sit¬
ten und Gewohnheiten, insofern sie mir nicht

ſoldatiſchen Schritt gegen ihr Gaͤnſegetrippel
hervorzuheben ſuchten. Ich weiß nicht, war es
eine artige herkoͤmmliche Vergeſſenheit, oder eine
Pietaͤt, oder gar eine Abſicht, daß es erlaubt
war, Blumen mitzubringen und waͤhrend des
Unterrichts in den Haͤnden zu halten, wenigſtens
habe ich dieſe huͤbſche Licenz in keiner andern
Schule mehr gefunden; aber es war immer gut
anzuſehen waͤhrend des luſtigen Marſches, wie
faſt jedes Maͤdchen eine Roſe oder eine Nelke in
den Fingern auf dem Ruͤcken hielt, waͤhrend die
Buben die Blumen im Munde trugen, wie
Tabakspfeifen, oder dieſelben burſchikos hinter
die Ohren ſteckten. Es waren alles Kinder von
Holzhackern, Tageloͤhnern, armen Schneidern,
Schuſtern und von almoſengenoͤſſigen Leuten.
Habliche Handwerker durften ihres Ranges und
Credits wegen die Schule nicht benutzen. Da¬
her war ich der beſt und reinlichſt gekleidete
unter den Buben und galt fuͤr halb vornehm,
obgleich ich bald ſehr vertraulich war mit den
buntſcheckig geflickten armen Teufeln, ihren Sit¬
ten und Gewohnheiten, inſofern ſie mir nicht

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[230/0244] ſoldatiſchen Schritt gegen ihr Gaͤnſegetrippel hervorzuheben ſuchten. Ich weiß nicht, war es eine artige herkoͤmmliche Vergeſſenheit, oder eine Pietaͤt, oder gar eine Abſicht, daß es erlaubt war, Blumen mitzubringen und waͤhrend des Unterrichts in den Haͤnden zu halten, wenigſtens habe ich dieſe huͤbſche Licenz in keiner andern Schule mehr gefunden; aber es war immer gut anzuſehen waͤhrend des luſtigen Marſches, wie faſt jedes Maͤdchen eine Roſe oder eine Nelke in den Fingern auf dem Ruͤcken hielt, waͤhrend die Buben die Blumen im Munde trugen, wie Tabakspfeifen, oder dieſelben burſchikos hinter die Ohren ſteckten. Es waren alles Kinder von Holzhackern, Tageloͤhnern, armen Schneidern, Schuſtern und von almoſengenoͤſſigen Leuten. Habliche Handwerker durften ihres Ranges und Credits wegen die Schule nicht benutzen. Da¬ her war ich der beſt und reinlichſt gekleidete unter den Buben und galt fuͤr halb vornehm, obgleich ich bald ſehr vertraulich war mit den buntſcheckig geflickten armen Teufeln, ihren Sit¬ ten und Gewohnheiten, inſofern ſie mir nicht

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/244>, abgerufen am 26.04.2024.