Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

singend in unserm Kreise. Er sah fortwährend
seine Tochter an und ich ebenfalls, da wir ihr
im Rücken standen, sie sah wirklich aus wie eine
heilige Cäcilie, während die Stellung ihrer weißen
Finger auf den Tasten noch etwas Kindliches
ausdrückte. Als wir des musikalischen Vergnü¬
gens satt waren, gingen wir vor das Haus;
dort war auch Vieles verändert. Auf dem Trepp¬
chen standen Mandel- und Oleanderbäumchen,
das Gärtchen war nicht mehr ein krauses Rosen-
und Gelbveigeleingärtchen, sondern Anna's jetzi¬
ger Erscheinung mehr angemessen mit fremden
Gewächsen und einem grünen Tische nebst einigen
Gartenstühlen versehen. Nachdem wir hier eine
kleine Abendmahlzeit eingenommen, gingen wir
an das Ufer, wo ein neuer Kahn lag; Anna
hatte auf dem Genfersee fahren gelernt und der
Schulmeister deswegen das Fahrzeug machen las¬
sen, das erste, welches auf dem kleinen See seit
Menschengedenken zu sehen war. Außer dem
Schulmeister stiegen wir Alle hinein und fuhren
auf das ruhige glänzende Wasser hinaus; ich
ruderte, da ich als Anwohner eines größeren

ſingend in unſerm Kreiſe. Er ſah fortwaͤhrend
ſeine Tochter an und ich ebenfalls, da wir ihr
im Ruͤcken ſtanden, ſie ſah wirklich aus wie eine
heilige Caͤcilie, waͤhrend die Stellung ihrer weißen
Finger auf den Taſten noch etwas Kindliches
ausdruͤckte. Als wir des muſikaliſchen Vergnuͤ¬
gens ſatt waren, gingen wir vor das Haus;
dort war auch Vieles veraͤndert. Auf dem Trepp¬
chen ſtanden Mandel- und Oleanderbaͤumchen,
das Gaͤrtchen war nicht mehr ein krauſes Roſen-
und Gelbveigeleingaͤrtchen, ſondern Anna's jetzi¬
ger Erſcheinung mehr angemeſſen mit fremden
Gewaͤchſen und einem gruͤnen Tiſche nebſt einigen
Gartenſtuͤhlen verſehen. Nachdem wir hier eine
kleine Abendmahlzeit eingenommen, gingen wir
an das Ufer, wo ein neuer Kahn lag; Anna
hatte auf dem Genferſee fahren gelernt und der
Schulmeiſter deswegen das Fahrzeug machen laſ¬
ſen, das erſte, welches auf dem kleinen See ſeit
Menſchengedenken zu ſehen war. Außer dem
Schulmeiſter ſtiegen wir Alle hinein und fuhren
auf das ruhige glaͤnzende Waſſer hinaus; ich
ruderte, da ich als Anwohner eines groͤßeren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0257" n="247"/>
&#x017F;ingend in un&#x017F;erm Krei&#x017F;e. Er &#x017F;ah fortwa&#x0364;hrend<lb/>
&#x017F;eine Tochter an und ich ebenfalls, da wir ihr<lb/>
im Ru&#x0364;cken &#x017F;tanden, &#x017F;ie &#x017F;ah wirklich aus wie eine<lb/>
heilige Ca&#x0364;cilie, wa&#x0364;hrend die Stellung ihrer weißen<lb/>
Finger auf den Ta&#x017F;ten noch etwas Kindliches<lb/>
ausdru&#x0364;ckte. Als wir des mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Vergnu&#x0364;¬<lb/>
gens &#x017F;att waren, gingen wir vor das Haus;<lb/>
dort war auch Vieles vera&#x0364;ndert. Auf dem Trepp¬<lb/>
chen &#x017F;tanden Mandel- und Oleanderba&#x0364;umchen,<lb/>
das Ga&#x0364;rtchen war nicht mehr ein krau&#x017F;es Ro&#x017F;en-<lb/>
und Gelbveigeleinga&#x0364;rtchen, &#x017F;ondern Anna's jetzi¬<lb/>
ger Er&#x017F;cheinung mehr angeme&#x017F;&#x017F;en mit fremden<lb/>
Gewa&#x0364;ch&#x017F;en und einem gru&#x0364;nen Ti&#x017F;che neb&#x017F;t einigen<lb/>
Garten&#x017F;tu&#x0364;hlen ver&#x017F;ehen. Nachdem wir hier eine<lb/>
kleine Abendmahlzeit eingenommen, gingen wir<lb/>
an das Ufer, wo ein neuer Kahn lag; Anna<lb/>
hatte auf dem Genfer&#x017F;ee fahren gelernt und der<lb/>
Schulmei&#x017F;ter deswegen das Fahrzeug machen la&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en, das er&#x017F;te, welches auf dem kleinen See &#x017F;eit<lb/>
Men&#x017F;chengedenken zu &#x017F;ehen war. Außer dem<lb/>
Schulmei&#x017F;ter &#x017F;tiegen wir Alle hinein und fuhren<lb/>
auf das ruhige gla&#x0364;nzende Wa&#x017F;&#x017F;er hinaus; ich<lb/>
ruderte, da ich als Anwohner eines gro&#x0364;ßeren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0257] ſingend in unſerm Kreiſe. Er ſah fortwaͤhrend ſeine Tochter an und ich ebenfalls, da wir ihr im Ruͤcken ſtanden, ſie ſah wirklich aus wie eine heilige Caͤcilie, waͤhrend die Stellung ihrer weißen Finger auf den Taſten noch etwas Kindliches ausdruͤckte. Als wir des muſikaliſchen Vergnuͤ¬ gens ſatt waren, gingen wir vor das Haus; dort war auch Vieles veraͤndert. Auf dem Trepp¬ chen ſtanden Mandel- und Oleanderbaͤumchen, das Gaͤrtchen war nicht mehr ein krauſes Roſen- und Gelbveigeleingaͤrtchen, ſondern Anna's jetzi¬ ger Erſcheinung mehr angemeſſen mit fremden Gewaͤchſen und einem gruͤnen Tiſche nebſt einigen Gartenſtuͤhlen verſehen. Nachdem wir hier eine kleine Abendmahlzeit eingenommen, gingen wir an das Ufer, wo ein neuer Kahn lag; Anna hatte auf dem Genferſee fahren gelernt und der Schulmeiſter deswegen das Fahrzeug machen laſ¬ ſen, das erſte, welches auf dem kleinen See ſeit Menſchengedenken zu ſehen war. Außer dem Schulmeiſter ſtiegen wir Alle hinein und fuhren auf das ruhige glaͤnzende Waſſer hinaus; ich ruderte, da ich als Anwohner eines groͤßeren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/257
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/257>, abgerufen am 13.05.2024.