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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Gedächtniß in Wasserfarben malte. Dies war
für mich das allergrößte Glück, wenn ich mich an
einem klaren Spiegelwässerchen unter dichtem Blät¬
terdache so wohnlich eingerichtet hatte, das Bild
auf den Knieen. Ich konnte nicht zeichnen, daher
fiel das Ganze etwas byzantinisch aus, was ihm
bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben
ein eigenes Ansehen gab. Jeden Tag betrachtete
ich Anna verstohlen oder offen und verbesserte
danach das Bild, bis es zuletzt ganz ähnlich
wurde. Es war in ganzer Figur und stand in
einem reichen Blumenbeete, dessen hohe Blüthen
und Kronen mit Anna's Haupt in den tief¬
blauen Himmel ragten; der obere Theil der
Zeichnung war bogenförmig abgerundet und mit
Rankenwerk eingefaßt, in welchem glänzende
Vögel und Schmetterlinge saßen, deren Farben
ich noch mit Goldlichtern erhöhte. Alles dies,
sowie Anna's Gewand, welches ich phantasie¬
voll bereicherte, war mir die angenehmste Arbeit
während vieler Tage, die ich im Walde zu¬
brachte, und ich unterbrach diese Arbeit nur, um
auf meiner Flöte zu spielen, welche ich beständig

Gedaͤchtniß in Waſſerfarben malte. Dies war
fuͤr mich das allergroͤßte Gluͤck, wenn ich mich an
einem klaren Spiegelwaͤſſerchen unter dichtem Blaͤt¬
terdache ſo wohnlich eingerichtet hatte, das Bild
auf den Knieen. Ich konnte nicht zeichnen, daher
fiel das Ganze etwas byzantiniſch aus, was ihm
bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben
ein eigenes Anſehen gab. Jeden Tag betrachtete
ich Anna verſtohlen oder offen und verbeſſerte
danach das Bild, bis es zuletzt ganz aͤhnlich
wurde. Es war in ganzer Figur und ſtand in
einem reichen Blumenbeete, deſſen hohe Bluͤthen
und Kronen mit Anna's Haupt in den tief¬
blauen Himmel ragten; der obere Theil der
Zeichnung war bogenfoͤrmig abgerundet und mit
Rankenwerk eingefaßt, in welchem glaͤnzende
Voͤgel und Schmetterlinge ſaßen, deren Farben
ich noch mit Goldlichtern erhoͤhte. Alles dies,
ſowie Anna's Gewand, welches ich phantaſie¬
voll bereicherte, war mir die angenehmſte Arbeit
waͤhrend vieler Tage, die ich im Walde zu¬
brachte, und ich unterbrach dieſe Arbeit nur, um
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[268/0278] Gedaͤchtniß in Waſſerfarben malte. Dies war fuͤr mich das allergroͤßte Gluͤck, wenn ich mich an einem klaren Spiegelwaͤſſerchen unter dichtem Blaͤt¬ terdache ſo wohnlich eingerichtet hatte, das Bild auf den Knieen. Ich konnte nicht zeichnen, daher fiel das Ganze etwas byzantiniſch aus, was ihm bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben ein eigenes Anſehen gab. Jeden Tag betrachtete ich Anna verſtohlen oder offen und verbeſſerte danach das Bild, bis es zuletzt ganz aͤhnlich wurde. Es war in ganzer Figur und ſtand in einem reichen Blumenbeete, deſſen hohe Bluͤthen und Kronen mit Anna's Haupt in den tief¬ blauen Himmel ragten; der obere Theil der Zeichnung war bogenfoͤrmig abgerundet und mit Rankenwerk eingefaßt, in welchem glaͤnzende Voͤgel und Schmetterlinge ſaßen, deren Farben ich noch mit Goldlichtern erhoͤhte. Alles dies, ſowie Anna's Gewand, welches ich phantaſie¬ voll bereicherte, war mir die angenehmſte Arbeit waͤhrend vieler Tage, die ich im Walde zu¬ brachte, und ich unterbrach dieſe Arbeit nur, um auf meiner Floͤte zu ſpielen, welche ich beſtaͤndig

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/278>, abgerufen am 12.05.2024.