Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

die Voraussetzung, daß ich als ein junger Bursche
noch was zu lernen möglich fände, nicht aufzu¬
geben. Auch war der Schulmeister eher froh
über meine abweichenden Meinungen, indem sie
ihm Veranlassung zu geistiger Bewegung gaben
und er Ursache fand, mich förmlich lieb zu ge¬
winnen, der Mühe wegen, die ich ihm machte.
Er sagte, es sei ganz in der Ordnung, ich sei
wieder einmal ein Mensch, bei welchem das
Christenthum das Ergebniß des Lebens und
nicht der Kirche sein würde, und werde noch ein
rechter Christ werden, wenn ich erst etwas er¬
fahren habe. Der Schulmeister stand sich nicht
gut mit der Kirche und behauptete, ihre gegen¬
wärtigen Diener wären unwissende und rohe Men¬
schen. Ich habe ihn aber ein wenig im Verdacht,
daß dies nur darin seinen Grund hatte, daß sie
Hebräisch und Griechisch verstanden, was ihm
verschlossen war. Ich lernte bei ihm viele Bü¬
cher kennen, die wieder eine ganz andere Welt
enthielten, als diejenigen des Philosophen, wel¬
cher ein mächtiges Zuckerfaß voll philosophischer
Bücher in's Dorf gebracht hatte.

die Vorausſetzung, daß ich als ein junger Burſche
noch was zu lernen moͤglich faͤnde, nicht aufzu¬
geben. Auch war der Schulmeiſter eher froh
uͤber meine abweichenden Meinungen, indem ſie
ihm Veranlaſſung zu geiſtiger Bewegung gaben
und er Urſache fand, mich foͤrmlich lieb zu ge¬
winnen, der Muͤhe wegen, die ich ihm machte.
Er ſagte, es ſei ganz in der Ordnung, ich ſei
wieder einmal ein Menſch, bei welchem das
Chriſtenthum das Ergebniß des Lebens und
nicht der Kirche ſein wuͤrde, und werde noch ein
rechter Chriſt werden, wenn ich erſt etwas er¬
fahren habe. Der Schulmeiſter ſtand ſich nicht
gut mit der Kirche und behauptete, ihre gegen¬
waͤrtigen Diener waͤren unwiſſende und rohe Men¬
ſchen. Ich habe ihn aber ein wenig im Verdacht,
daß dies nur darin ſeinen Grund hatte, daß ſie
Hebraͤiſch und Griechiſch verſtanden, was ihm
verſchloſſen war. Ich lernte bei ihm viele Buͤ¬
cher kennen, die wieder eine ganz andere Welt
enthielten, als diejenigen des Philoſophen, wel¬
cher ein maͤchtiges Zuckerfaß voll philoſophiſcher
Buͤcher in's Dorf gebracht hatte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0298" n="288"/>
die Voraus&#x017F;etzung, daß ich als ein junger Bur&#x017F;che<lb/>
noch was zu lernen mo&#x0364;glich fa&#x0364;nde, nicht aufzu¬<lb/>
geben. Auch war der Schulmei&#x017F;ter eher froh<lb/>
u&#x0364;ber meine abweichenden Meinungen, indem &#x017F;ie<lb/>
ihm Veranla&#x017F;&#x017F;ung zu gei&#x017F;tiger Bewegung gaben<lb/>
und er Ur&#x017F;ache fand, mich fo&#x0364;rmlich lieb zu ge¬<lb/>
winnen, der Mu&#x0364;he wegen, die ich ihm machte.<lb/>
Er &#x017F;agte, es &#x017F;ei ganz in der Ordnung, ich &#x017F;ei<lb/>
wieder einmal ein Men&#x017F;ch, bei welchem das<lb/>
Chri&#x017F;tenthum das Ergebniß des Lebens und<lb/>
nicht der Kirche &#x017F;ein wu&#x0364;rde, und werde noch ein<lb/>
rechter Chri&#x017F;t werden, wenn ich er&#x017F;t etwas er¬<lb/>
fahren habe. Der Schulmei&#x017F;ter &#x017F;tand &#x017F;ich nicht<lb/>
gut mit der Kirche und behauptete, ihre gegen¬<lb/>
wa&#x0364;rtigen Diener wa&#x0364;ren unwi&#x017F;&#x017F;ende und rohe Men¬<lb/>
&#x017F;chen. Ich habe ihn aber ein wenig im Verdacht,<lb/>
daß dies nur darin &#x017F;einen Grund hatte, daß &#x017F;ie<lb/>
Hebra&#x0364;i&#x017F;ch und Griechi&#x017F;ch ver&#x017F;tanden, was ihm<lb/>
ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war. Ich lernte bei ihm viele Bu&#x0364;¬<lb/>
cher kennen, die wieder eine ganz andere Welt<lb/>
enthielten, als diejenigen des Philo&#x017F;ophen, wel¬<lb/>
cher ein ma&#x0364;chtiges Zuckerfaß voll philo&#x017F;ophi&#x017F;cher<lb/>
Bu&#x0364;cher in's Dorf gebracht hatte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0298] die Vorausſetzung, daß ich als ein junger Burſche noch was zu lernen moͤglich faͤnde, nicht aufzu¬ geben. Auch war der Schulmeiſter eher froh uͤber meine abweichenden Meinungen, indem ſie ihm Veranlaſſung zu geiſtiger Bewegung gaben und er Urſache fand, mich foͤrmlich lieb zu ge¬ winnen, der Muͤhe wegen, die ich ihm machte. Er ſagte, es ſei ganz in der Ordnung, ich ſei wieder einmal ein Menſch, bei welchem das Chriſtenthum das Ergebniß des Lebens und nicht der Kirche ſein wuͤrde, und werde noch ein rechter Chriſt werden, wenn ich erſt etwas er¬ fahren habe. Der Schulmeiſter ſtand ſich nicht gut mit der Kirche und behauptete, ihre gegen¬ waͤrtigen Diener waͤren unwiſſende und rohe Men¬ ſchen. Ich habe ihn aber ein wenig im Verdacht, daß dies nur darin ſeinen Grund hatte, daß ſie Hebraͤiſch und Griechiſch verſtanden, was ihm verſchloſſen war. Ich lernte bei ihm viele Buͤ¬ cher kennen, die wieder eine ganz andere Welt enthielten, als diejenigen des Philoſophen, wel¬ cher ein maͤchtiges Zuckerfaß voll philoſophiſcher Buͤcher in's Dorf gebracht hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/298
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/298>, abgerufen am 12.05.2024.