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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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ten wir die seltsamen Takte fort. Judith lachte
hell auf und rief: "O ihr Kindsköpfe!" Da
brachen wir laut aus: Ha ha ha! -- ha ha ha!
Der Gehöhnte aber spähte umher, zog unversehens
dem lautesten Spötter ein hervorguckendes Blatt
aus der Kutte und las dessen Ueberschrift: "Christ¬
liche Wochenbötin, ein conservatives Volksblätt¬
lein." Der Spott entlud sich nun auf den Ueber¬
raschten, dessen schwache Seite sein Conservatis¬
mus war, den er weder genugsam zu erklären
noch zu vertheidigen vermochte. Diese Benen¬
nung war erst seit einiger Zeit im Umlauf und
fing einige Leute, welche vorher im Nebelhaften
geschwebt. Der Kahle forderte den Conservativen
auf, er solle einmal sagen, was er sich eigentlich
darunter denke, wenn er behaupte, conservativ zu
sein. Dieser wollte thun, als ob er hierüber kei¬
nen Spaß verstehe und wünschte mit wichtigem
Gesicht, nicht zu politisiren! Doch ein Anderer
rief: "Die Erklärung ist schon im Paradies zu
suchen! Als Adam den Thieren ihren Namen
gab, war Eines darunter, das wedelte gar be¬
dächtig mit den Ohren und sagte, es sei conser¬

II. 28

ten wir die ſeltſamen Takte fort. Judith lachte
hell auf und rief: »O ihr Kindskoͤpfe!« Da
brachen wir laut aus: Ha ha ha! — ha ha ha!
Der Gehoͤhnte aber ſpaͤhte umher, zog unverſehens
dem lauteſten Spoͤtter ein hervorguckendes Blatt
aus der Kutte und las deſſen Ueberſchrift: »Chriſt¬
liche Wochenboͤtin, ein conſervatives Volksblaͤtt¬
lein.« Der Spott entlud ſich nun auf den Ueber¬
raſchten, deſſen ſchwache Seite ſein Conſervatis¬
mus war, den er weder genugſam zu erklaͤren
noch zu vertheidigen vermochte. Dieſe Benen¬
nung war erſt ſeit einiger Zeit im Umlauf und
fing einige Leute, welche vorher im Nebelhaften
geſchwebt. Der Kahle forderte den Conſervativen
auf, er ſolle einmal ſagen, was er ſich eigentlich
darunter denke, wenn er behaupte, conſervativ zu
ſein. Dieſer wollte thun, als ob er hieruͤber kei¬
nen Spaß verſtehe und wuͤnſchte mit wichtigem
Geſicht, nicht zu politiſiren! Doch ein Anderer
rief: »Die Erklaͤrung iſt ſchon im Paradies zu
ſuchen! Als Adam den Thieren ihren Namen
gab, war Eines darunter, das wedelte gar be¬
daͤchtig mit den Ohren und ſagte, es ſei conſer¬

II. 28
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[433/0443] ten wir die ſeltſamen Takte fort. Judith lachte hell auf und rief: »O ihr Kindskoͤpfe!« Da brachen wir laut aus: Ha ha ha! — ha ha ha! Der Gehoͤhnte aber ſpaͤhte umher, zog unverſehens dem lauteſten Spoͤtter ein hervorguckendes Blatt aus der Kutte und las deſſen Ueberſchrift: »Chriſt¬ liche Wochenboͤtin, ein conſervatives Volksblaͤtt¬ lein.« Der Spott entlud ſich nun auf den Ueber¬ raſchten, deſſen ſchwache Seite ſein Conſervatis¬ mus war, den er weder genugſam zu erklaͤren noch zu vertheidigen vermochte. Dieſe Benen¬ nung war erſt ſeit einiger Zeit im Umlauf und fing einige Leute, welche vorher im Nebelhaften geſchwebt. Der Kahle forderte den Conſervativen auf, er ſolle einmal ſagen, was er ſich eigentlich darunter denke, wenn er behaupte, conſervativ zu ſein. Dieſer wollte thun, als ob er hieruͤber kei¬ nen Spaß verſtehe und wuͤnſchte mit wichtigem Geſicht, nicht zu politiſiren! Doch ein Anderer rief: »Die Erklaͤrung iſt ſchon im Paradies zu ſuchen! Als Adam den Thieren ihren Namen gab, war Eines darunter, das wedelte gar be¬ daͤchtig mit den Ohren und ſagte, es ſei conſer¬ II. 28

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/443>, abgerufen am 12.05.2024.