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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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nach, und als ich ihn gelesen, alle möglichen
übrigen Begriffe, die ich theils schon gehört, theils
aus eben diesem Artikel abgezogen hatte, über
Schulen, Meister, Farbe, Licht, Perspektive und
dergleichen; las dazwischen schnell einen Artikel
über ein anderes Gebiet, der gerade neben einem
Malerartikel stand und mir auffiel, und als der
Mittag herannahte, war mein Kopf von Gelehr¬
samkeit vollgepfropft, ich fühlte beinahe selbst den
gravitätischen Hochmuth in meinen festgeschlosse¬
nen Lippen und aufgespannten Augen und schleppte
sämmtliche Kunstliteratur in mein Zimmer hin¬
über zu der Mappe des Junker Felix.

Kaum nahm ich mir nach Tische noch Zeit,
bei der Großmutter einen kurzen Besuch abzustat¬
ten, ein Glas Wein zu trinken, welchen sie schon
seit Vormittag für mich bereit gehalten, und ein
kleines Testamentchen mit Goldschnitt und silber¬
nem Schlößchen, welches nach ihrer Angabe ein
verspätetes Pathengeschenk für meinen schon fort¬
gezogenen Vater gewesen, vergessen worden und
lange Jahre in ihrem Schranke liegen geblieben
und welches sie treulich für mich aufgehoben hatte:

nach, und als ich ihn geleſen, alle moͤglichen
uͤbrigen Begriffe, die ich theils ſchon gehoͤrt, theils
aus eben dieſem Artikel abgezogen hatte, uͤber
Schulen, Meiſter, Farbe, Licht, Perſpektive und
dergleichen; las dazwiſchen ſchnell einen Artikel
uͤber ein anderes Gebiet, der gerade neben einem
Malerartikel ſtand und mir auffiel, und als der
Mittag herannahte, war mein Kopf von Gelehr¬
ſamkeit vollgepfropft, ich fuͤhlte beinahe ſelbſt den
gravitaͤtiſchen Hochmuth in meinen feſtgeſchloſſe¬
nen Lippen und aufgeſpannten Augen und ſchleppte
ſaͤmmtliche Kunſtliteratur in mein Zimmer hin¬
uͤber zu der Mappe des Junker Felix.

Kaum nahm ich mir nach Tiſche noch Zeit,
bei der Großmutter einen kurzen Beſuch abzuſtat¬
ten, ein Glas Wein zu trinken, welchen ſie ſchon
ſeit Vormittag fuͤr mich bereit gehalten, und ein
kleines Teſtamentchen mit Goldſchnitt und ſilber¬
nem Schloͤßchen, welches nach ihrer Angabe ein
verſpaͤtetes Pathengeſchenk fuͤr meinen ſchon fort¬
gezogenen Vater geweſen, vergeſſen worden und
lange Jahre in ihrem Schranke liegen geblieben
und welches ſie treulich fuͤr mich aufgehoben hatte:

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[42/0052] nach, und als ich ihn geleſen, alle moͤglichen uͤbrigen Begriffe, die ich theils ſchon gehoͤrt, theils aus eben dieſem Artikel abgezogen hatte, uͤber Schulen, Meiſter, Farbe, Licht, Perſpektive und dergleichen; las dazwiſchen ſchnell einen Artikel uͤber ein anderes Gebiet, der gerade neben einem Malerartikel ſtand und mir auffiel, und als der Mittag herannahte, war mein Kopf von Gelehr¬ ſamkeit vollgepfropft, ich fuͤhlte beinahe ſelbſt den gravitaͤtiſchen Hochmuth in meinen feſtgeſchloſſe¬ nen Lippen und aufgeſpannten Augen und ſchleppte ſaͤmmtliche Kunſtliteratur in mein Zimmer hin¬ uͤber zu der Mappe des Junker Felix. Kaum nahm ich mir nach Tiſche noch Zeit, bei der Großmutter einen kurzen Beſuch abzuſtat¬ ten, ein Glas Wein zu trinken, welchen ſie ſchon ſeit Vormittag fuͤr mich bereit gehalten, und ein kleines Teſtamentchen mit Goldſchnitt und ſilber¬ nem Schloͤßchen, welches nach ihrer Angabe ein verſpaͤtetes Pathengeſchenk fuͤr meinen ſchon fort¬ gezogenen Vater geweſen, vergeſſen worden und lange Jahre in ihrem Schranke liegen geblieben und welches ſie treulich fuͤr mich aufgehoben hatte:

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/52>, abgerufen am 05.05.2024.