Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

schmaler Streifen bebauter Erde zog sich um den
See herum, hinter demselben setzte sich überall
der ansteigende Wald fort, welcher aber da und
dort wieder ein stilles Ackerfeld bergen mußte, da
hier und da ein rothes Dach oder eine blaue
Rauchsäule aus dem Dickicht emporstieg. Nur
auf der Sonnenseite lag ein ansehnlicher Wein¬
berg und zu Füßen desselben das Haus des
Schulmeisters, dicht am See, unmittelbar über
den höchsten Weinreihen aber hing der reine tiefe
Himmel, und dieser spiegelte sich in dem glatten
Wasser, bis wo er durch den gelben Kornstreifen,
die smaragdenen Kleefelder und den dahinter lie¬
genden Wald, welche alle sich gänzlich unverän¬
dert in der Fluth auf den Kopf stellten, begränzt
wurde. Das Haus war weiß getünscht, das
Fachwerk roth angestrichen und die Fensterladen
mit großen Muscheln und Blumen bemalt, aus
den Fenstern wehten weiße Gardinen und aus
der Hausthür trat, ein zierliches Treppchen her¬
unter, das junge Bäschen, schlank und zart wie
eine Narzisse, in einem weißen Röckchen und mit
einem himmelblauen Bande gegürtet, mit gold¬

ſchmaler Streifen bebauter Erde zog ſich um den
See herum, hinter demſelben ſetzte ſich uͤberall
der anſteigende Wald fort, welcher aber da und
dort wieder ein ſtilles Ackerfeld bergen mußte, da
hier und da ein rothes Dach oder eine blaue
Rauchſaͤule aus dem Dickicht emporſtieg. Nur
auf der Sonnenſeite lag ein anſehnlicher Wein¬
berg und zu Fuͤßen deſſelben das Haus des
Schulmeiſters, dicht am See, unmittelbar uͤber
den hoͤchſten Weinreihen aber hing der reine tiefe
Himmel, und dieſer ſpiegelte ſich in dem glatten
Waſſer, bis wo er durch den gelben Kornſtreifen,
die ſmaragdenen Kleefelder und den dahinter lie¬
genden Wald, welche alle ſich gaͤnzlich unveraͤn¬
dert in der Fluth auf den Kopf ſtellten, begraͤnzt
wurde. Das Haus war weiß getuͤnſcht, das
Fachwerk roth angeſtrichen und die Fenſterladen
mit großen Muſcheln und Blumen bemalt, aus
den Fenſtern wehten weiße Gardinen und aus
der Hausthuͤr trat, ein zierliches Treppchen her¬
unter, das junge Baͤschen, ſchlank und zart wie
eine Narziſſe, in einem weißen Roͤckchen und mit
einem himmelblauen Bande geguͤrtet, mit gold¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0070" n="60"/>
&#x017F;chmaler Streifen bebauter Erde zog &#x017F;ich um den<lb/>
See herum, hinter dem&#x017F;elben &#x017F;etzte &#x017F;ich u&#x0364;berall<lb/>
der an&#x017F;teigende Wald fort, welcher aber da und<lb/>
dort wieder ein &#x017F;tilles Ackerfeld bergen mußte, da<lb/>
hier und da ein rothes Dach oder eine blaue<lb/>
Rauch&#x017F;a&#x0364;ule aus dem Dickicht empor&#x017F;tieg. Nur<lb/>
auf der Sonnen&#x017F;eite lag ein an&#x017F;ehnlicher Wein¬<lb/>
berg und zu Fu&#x0364;ßen de&#x017F;&#x017F;elben das Haus des<lb/>
Schulmei&#x017F;ters, dicht am See, unmittelbar u&#x0364;ber<lb/>
den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Weinreihen aber hing der reine tiefe<lb/>
Himmel, und die&#x017F;er &#x017F;piegelte &#x017F;ich in dem glatten<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er, bis wo er durch den gelben Korn&#x017F;treifen,<lb/>
die &#x017F;maragdenen Kleefelder und den dahinter lie¬<lb/>
genden Wald, welche alle &#x017F;ich ga&#x0364;nzlich unvera&#x0364;<lb/>
dert in der Fluth auf den Kopf &#x017F;tellten, begra&#x0364;nzt<lb/>
wurde. Das Haus war weiß getu&#x0364;n&#x017F;cht, das<lb/>
Fachwerk roth ange&#x017F;trichen und die Fen&#x017F;terladen<lb/>
mit großen Mu&#x017F;cheln und Blumen bemalt, aus<lb/>
den Fen&#x017F;tern wehten weiße Gardinen und aus<lb/>
der Hausthu&#x0364;r trat, ein zierliches Treppchen her¬<lb/>
unter, das junge Ba&#x0364;schen, &#x017F;chlank und zart wie<lb/>
eine Narzi&#x017F;&#x017F;e, in einem weißen Ro&#x0364;ckchen und mit<lb/>
einem himmelblauen Bande gegu&#x0364;rtet, mit gold¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0070] ſchmaler Streifen bebauter Erde zog ſich um den See herum, hinter demſelben ſetzte ſich uͤberall der anſteigende Wald fort, welcher aber da und dort wieder ein ſtilles Ackerfeld bergen mußte, da hier und da ein rothes Dach oder eine blaue Rauchſaͤule aus dem Dickicht emporſtieg. Nur auf der Sonnenſeite lag ein anſehnlicher Wein¬ berg und zu Fuͤßen deſſelben das Haus des Schulmeiſters, dicht am See, unmittelbar uͤber den hoͤchſten Weinreihen aber hing der reine tiefe Himmel, und dieſer ſpiegelte ſich in dem glatten Waſſer, bis wo er durch den gelben Kornſtreifen, die ſmaragdenen Kleefelder und den dahinter lie¬ genden Wald, welche alle ſich gaͤnzlich unveraͤn¬ dert in der Fluth auf den Kopf ſtellten, begraͤnzt wurde. Das Haus war weiß getuͤnſcht, das Fachwerk roth angeſtrichen und die Fenſterladen mit großen Muſcheln und Blumen bemalt, aus den Fenſtern wehten weiße Gardinen und aus der Hausthuͤr trat, ein zierliches Treppchen her¬ unter, das junge Baͤschen, ſchlank und zart wie eine Narziſſe, in einem weißen Roͤckchen und mit einem himmelblauen Bande geguͤrtet, mit gold¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/70
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/70>, abgerufen am 05.05.2024.