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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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nordischer Bauern, von den Hinterpommern bis
zu den tüchtigen Friesen, bei welchen noch Spu¬
ren männlichen Freiheitsinnes zu finden; ich sah
ihre Hochzeiten und Leichenbegängnisse, bis der
Geselle endlich auch von der Freiheit deutscher
Nation redete, und wie bald die stattliche Re¬
publik eingeführt werden müßte. Ich schnitzte
unterdessen nach seiner Anleitung eine Anzahl höl¬
zerner Nägel, er aber führte schon mit dem Dop¬
pelhobel die letzten Stöße über die Bretter, feine
Späne lösten sich gleich zarten glänzenden Sei¬
denbändern und mit einem hell singenden Tone,
welcher unter den Bäumen ein seltsames Lied
war. Die Herbstsonne schien warm und lieblich
drein, glänzte frei auf dem Wasser und verlor
sich im blauen Duft der Waldnacht, an deren
Eingang wir uns angesiedelt. Jetzt baueten wir
die glatten weißen Bretter zusammen, die Ham¬
merschläge hallten wieder durch den Wald, daß
die Vögel überrascht aufflogen und die Schwalben
erschreckt über den Seespiegel streiften, und bald
stand der fertige Sarg in seiner Einfachheit vor
uns, schlank und ebenmäßig, der Deckel schön

nordiſcher Bauern, von den Hinterpommern bis
zu den tuͤchtigen Frieſen, bei welchen noch Spu¬
ren maͤnnlichen Freiheitſinnes zu finden; ich ſah
ihre Hochzeiten und Leichenbegaͤngniſſe, bis der
Geſelle endlich auch von der Freiheit deutſcher
Nation redete, und wie bald die ſtattliche Re¬
publik eingefuͤhrt werden muͤßte. Ich ſchnitzte
unterdeſſen nach ſeiner Anleitung eine Anzahl hoͤl¬
zerner Naͤgel, er aber fuͤhrte ſchon mit dem Dop¬
pelhobel die letzten Stoͤße uͤber die Bretter, feine
Spaͤne loͤſten ſich gleich zarten glaͤnzenden Sei¬
denbaͤndern und mit einem hell ſingenden Tone,
welcher unter den Baͤumen ein ſeltſames Lied
war. Die Herbſtſonne ſchien warm und lieblich
drein, glaͤnzte frei auf dem Waſſer und verlor
ſich im blauen Duft der Waldnacht, an deren
Eingang wir uns angeſiedelt. Jetzt baueten wir
die glatten weißen Bretter zuſammen, die Ham¬
merſchlaͤge hallten wieder durch den Wald, daß
die Voͤgel uͤberraſcht aufflogen und die Schwalben
erſchreckt uͤber den Seeſpiegel ſtreiften, und bald
ſtand der fertige Sarg in ſeiner Einfachheit vor
uns, ſchlank und ebenmaͤßig, der Deckel ſchoͤn

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[150/0160] nordiſcher Bauern, von den Hinterpommern bis zu den tuͤchtigen Frieſen, bei welchen noch Spu¬ ren maͤnnlichen Freiheitſinnes zu finden; ich ſah ihre Hochzeiten und Leichenbegaͤngniſſe, bis der Geſelle endlich auch von der Freiheit deutſcher Nation redete, und wie bald die ſtattliche Re¬ publik eingefuͤhrt werden muͤßte. Ich ſchnitzte unterdeſſen nach ſeiner Anleitung eine Anzahl hoͤl¬ zerner Naͤgel, er aber fuͤhrte ſchon mit dem Dop¬ pelhobel die letzten Stoͤße uͤber die Bretter, feine Spaͤne loͤſten ſich gleich zarten glaͤnzenden Sei¬ denbaͤndern und mit einem hell ſingenden Tone, welcher unter den Baͤumen ein ſeltſames Lied war. Die Herbſtſonne ſchien warm und lieblich drein, glaͤnzte frei auf dem Waſſer und verlor ſich im blauen Duft der Waldnacht, an deren Eingang wir uns angeſiedelt. Jetzt baueten wir die glatten weißen Bretter zuſammen, die Ham¬ merſchlaͤge hallten wieder durch den Wald, daß die Voͤgel uͤberraſcht aufflogen und die Schwalben erſchreckt uͤber den Seeſpiegel ſtreiften, und bald ſtand der fertige Sarg in ſeiner Einfachheit vor uns, ſchlank und ebenmaͤßig, der Deckel ſchoͤn

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/160>, abgerufen am 30.04.2024.