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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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nächsten Angehörigen begleitete den Zug. Auf
der sonnigen Höhe des Berges wurde ein kurzer
Halt gemacht und die Bahre auf die Erde ge¬
setzt. Es war so schön hier oben! der Blick
schweifte über die umliegenden Thäler bis in die
blauen Berge, das Land lag in glänzender Far¬
benpracht rings um uns. Die vier kräftigen
Jünglinge, welche die Bahre zuletzt getragen,
saßen ruhend auf den Tragewangen derselben, die
Häupter auf ihre Hände gestützt, und schaueten
schweigend in alle vier Weltgegenden hinaus.
Hoch am blauen Himmel zogen leuchtende weiße
Wolken und schienen über dem Blumensarge einen
Augenblick still zu stehen und neugierig durch das
Fensterchen zu gucken, welches fast schalkhaft zwi¬
schen den Myrthen und Rosen hervorfunkelte im
Widerscheine der Wolken. Wir saßen, wie es
sich traf, umher und selbst mich rührte jetzt eine
große Traurigkeit, so daß mir einige Thränen
entfielen, als ich bedachte, daß Anna nun zum
letzten Mal und todt über diesen schönen Berg
gehe.

Als wir in's Dorf hinunter gestiegen, läutete

naͤchſten Angehoͤrigen begleitete den Zug. Auf
der ſonnigen Hoͤhe des Berges wurde ein kurzer
Halt gemacht und die Bahre auf die Erde ge¬
ſetzt. Es war ſo ſchoͤn hier oben! der Blick
ſchweifte uͤber die umliegenden Thaͤler bis in die
blauen Berge, das Land lag in glaͤnzender Far¬
benpracht rings um uns. Die vier kraͤftigen
Juͤnglinge, welche die Bahre zuletzt getragen,
ſaßen ruhend auf den Tragewangen derſelben, die
Haͤupter auf ihre Haͤnde geſtuͤtzt, und ſchaueten
ſchweigend in alle vier Weltgegenden hinaus.
Hoch am blauen Himmel zogen leuchtende weiße
Wolken und ſchienen uͤber dem Blumenſarge einen
Augenblick ſtill zu ſtehen und neugierig durch das
Fenſterchen zu gucken, welches faſt ſchalkhaft zwi¬
ſchen den Myrthen und Roſen hervorfunkelte im
Widerſcheine der Wolken. Wir ſaßen, wie es
ſich traf, umher und ſelbſt mich ruͤhrte jetzt eine
große Traurigkeit, ſo daß mir einige Thraͤnen
entfielen, als ich bedachte, daß Anna nun zum
letzten Mal und todt uͤber dieſen ſchoͤnen Berg
gehe.

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[155/0165] naͤchſten Angehoͤrigen begleitete den Zug. Auf der ſonnigen Hoͤhe des Berges wurde ein kurzer Halt gemacht und die Bahre auf die Erde ge¬ ſetzt. Es war ſo ſchoͤn hier oben! der Blick ſchweifte uͤber die umliegenden Thaͤler bis in die blauen Berge, das Land lag in glaͤnzender Far¬ benpracht rings um uns. Die vier kraͤftigen Juͤnglinge, welche die Bahre zuletzt getragen, ſaßen ruhend auf den Tragewangen derſelben, die Haͤupter auf ihre Haͤnde geſtuͤtzt, und ſchaueten ſchweigend in alle vier Weltgegenden hinaus. Hoch am blauen Himmel zogen leuchtende weiße Wolken und ſchienen uͤber dem Blumenſarge einen Augenblick ſtill zu ſtehen und neugierig durch das Fenſterchen zu gucken, welches faſt ſchalkhaft zwi¬ ſchen den Myrthen und Roſen hervorfunkelte im Widerſcheine der Wolken. Wir ſaßen, wie es ſich traf, umher und ſelbſt mich ruͤhrte jetzt eine große Traurigkeit, ſo daß mir einige Thraͤnen entfielen, als ich bedachte, daß Anna nun zum letzten Mal und todt uͤber dieſen ſchoͤnen Berg gehe. Als wir in's Dorf hinunter geſtiegen, laͤutete

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/165>, abgerufen am 30.04.2024.