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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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keit, welche nichts anderes ist, als das nothwen¬
dige und gesetzliche Wachsthum der Dinge. Alles
Schaffen aus dem Nothwendigen und Wirklichen
heraus sind Leben und Mühe, die sich selbst ver¬
zehren, wie im Blühen das Vergehen schon her¬
annaht; dies Erblühen ist die wahre Arbeit und
der wahre Fleiß; sogar eine simple Rose muß
vom Morgen bis zum Abend tapfer dabei sein
mit ihrem ganzen Corpus und hat zum Lohne
das Welken. Dafür ist sie aber eine wahrhaf¬
tige Rose gewesen.

Es war so artig und bequem für Heinrich,
daß er eine so lebendige Erfindungsgabe besaß,
aus dem Nichts heraus fort und fort schaffen,
zusammensetzen, binden und lösen konnte! Wie
schön, lieblich und mühelos war diese Thätigkeit,
wie wenig ahnte er, daß sie nur ein übertünchtes
Grab sei, das eine Welt umschloß, welche nie
gewesen ist, nicht ist und nicht sein wird! Wie
wunderbar dünkte ihm die schöne Gottesgabe des
vermeintlichen Ingeniums, und wie süß schmeckte
das Wunder dem rationellen aber dankbaren
Gottgläubigen! Er wußte sich nicht recht zu er¬

keit, welche nichts anderes iſt, als das nothwen¬
dige und geſetzliche Wachsthum der Dinge. Alles
Schaffen aus dem Nothwendigen und Wirklichen
heraus ſind Leben und Muͤhe, die ſich ſelbſt ver¬
zehren, wie im Bluͤhen das Vergehen ſchon her¬
annaht; dies Erbluͤhen iſt die wahre Arbeit und
der wahre Fleiß; ſogar eine ſimple Roſe muß
vom Morgen bis zum Abend tapfer dabei ſein
mit ihrem ganzen Corpus und hat zum Lohne
das Welken. Dafuͤr iſt ſie aber eine wahrhaf¬
tige Roſe geweſen.

Es war ſo artig und bequem fuͤr Heinrich,
daß er eine ſo lebendige Erfindungsgabe beſaß,
aus dem Nichts heraus fort und fort ſchaffen,
zuſammenſetzen, binden und loͤſen konnte! Wie
ſchoͤn, lieblich und muͤhelos war dieſe Thaͤtigkeit,
wie wenig ahnte er, daß ſie nur ein uͤbertuͤnchtes
Grab ſei, das eine Welt umſchloß, welche nie
geweſen iſt, nicht iſt und nicht ſein wird! Wie
wunderbar duͤnkte ihm die ſchoͤne Gottesgabe des
vermeintlichen Ingeniums, und wie ſuͤß ſchmeckte
das Wunder dem rationellen aber dankbaren
Gottglaͤubigen! Er wußte ſich nicht recht zu er¬

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[200/0210] keit, welche nichts anderes iſt, als das nothwen¬ dige und geſetzliche Wachsthum der Dinge. Alles Schaffen aus dem Nothwendigen und Wirklichen heraus ſind Leben und Muͤhe, die ſich ſelbſt ver¬ zehren, wie im Bluͤhen das Vergehen ſchon her¬ annaht; dies Erbluͤhen iſt die wahre Arbeit und der wahre Fleiß; ſogar eine ſimple Roſe muß vom Morgen bis zum Abend tapfer dabei ſein mit ihrem ganzen Corpus und hat zum Lohne das Welken. Dafuͤr iſt ſie aber eine wahrhaf¬ tige Roſe geweſen. Es war ſo artig und bequem fuͤr Heinrich, daß er eine ſo lebendige Erfindungsgabe beſaß, aus dem Nichts heraus fort und fort ſchaffen, zuſammenſetzen, binden und loͤſen konnte! Wie ſchoͤn, lieblich und muͤhelos war dieſe Thaͤtigkeit, wie wenig ahnte er, daß ſie nur ein uͤbertuͤnchtes Grab ſei, das eine Welt umſchloß, welche nie geweſen iſt, nicht iſt und nicht ſein wird! Wie wunderbar duͤnkte ihm die ſchoͤne Gottesgabe des vermeintlichen Ingeniums, und wie ſuͤß ſchmeckte das Wunder dem rationellen aber dankbaren Gottglaͤubigen! Er wußte ſich nicht recht zu er¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/210>, abgerufen am 28.04.2024.